AfD-Gutachten vom Verassungsschutz weiter nicht fertig
Bewertung von Verfassungsschutz:Warum das AfD-Gutachten auf sich warten lässt
von Julia Klaus
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Das Verfassungsschutzgutachten zur AfD ist weiter in Arbeit - dabei sollte längst entschieden sein. Warum dauert das so lange? Und für wen gilt die Zwei-Jahres-Frist?
Bundesamt für Verfassungsschutz: Bundestagsneuwahlen plus Personalwechsel verzögern eine Entscheidung in Sachen AfD.
Quelle: dpa
Es war ein Routinetermin, bei dem Thomas Haldenwang, damals Präsident des Verfassungsschutzes, aber erstaunlich konkret wurde: Bei der öffentlichen Anhörung der Nachrichtendienst-Chefs im Oktober 2024 im Bundestag nannte er eine Frist für die weitere Bewertung der AfD.
Haldenwang sagte: "Mit einer Entscheidung wird noch in diesem Jahr zu rechnen sein." Er machte drei Szenarien auf.
Die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD könne theoretisch herabgestuft werden, so Haldenwang. Das sei aber "äußerst unwahrscheinlich".
Die Partei könne, zweitens, Verdachtsfall bleiben oder,
drittens, hochgestuft werden und dann als erwiesen rechtsextremistisch gelten.
In Hintergrundgesprächen hatte Haldenwang angedeutet, dass er eine Hochstufung begründet sieht.
Innenministerium: "Gutachten noch nicht fertig"
Heute, ein halbes Jahr später, ist Haldenwang nicht mehr Präsident des Verfassungsschutzes - und die Entscheidung über die AfD-Einstufung steht noch aus. Das Bundesinnenministerium schreibt auf Anfrage von ZDF Frontal:
Das Gutachten war und ist noch nicht fertig gestellt.
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Sprecherin Bundesinnenministerium
Das Gutachten zur AfD ist eines der wohl politisch heikelsten Schriftstücke. Da Haldenwang schon 2024 entscheiden wollte und offenbar eine Grundlage da ist: Wo bleibt dann die Entscheidung?
Aus Behördenkreisen heißt es gegenüber ZDF frontal: "So ein Gutachten wird fertig, wenn das Bundesinnenministerium will, dass es fertig ist." Grundsätzlich prüft das Innenministerium das Gutachten nur fachlich, zur inhaltlichen Entscheidung kommt der Verfassungsschutz selbständig.
Die Ankündigung, für die CDU in den Bundestag einziehen zu wollen, hat Ex-Verfassungsschutzchef Haldenwang Kritik eingebracht. War er bei seinen Entscheidungen politisch neutral?17.11.2024 | 4:12 min
Das Bundesamt möchte sich zu möglichen Zeitplänen nicht äußern. Denkbar ist, dass der jetzigen Hausleitung - anders als Haldenwang damals - die Nachweise nicht ausreichen und man noch mehr sammeln lassen will.
Derzeit führen die Vizepräsidenten Sinan Selen und Silke Willems den Inlandsdienst. Thomas Haldenwang hatte die Leitung niedergelgt, weil er selbst in den Bundestag wollte. Nach dem Bruch der Ampel-Regierung und den vorgezogenen Neuwahlen kandidierte er für die CDU. Er sah darin kein Problem, doch selbst in seiner Partei kritisierten das hinter vorgehaltener Hand einige als amtsschädigend.
Was würde eine Hochstufung bedeuten?
Der Verfassungsschutz darf beim Verdachtsfall AfD bereits jetzt nachrichtendienstliche Mittel anwenden, etwa V-Leute anwerben, Personen observieren und Telefone abhören. Für die praktische Arbeit des Dienstes würde sich bei einer Hochstufung deshalb nicht allzu viel verändern. Lediglich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit würde nivelliert, sodass das Bundesamt noch leichter diese Mittel anwenden könnte.
Es dürfen noch keine nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden - es wird also nicht überwacht. Doch es liegen "erste tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer extremistischen Bestrebung" vor. Der Verfassungsschutz darf öffentlich einsehbare Informationen sammeln - etwa, wenn eine Person etwas bei Facebook postet, bei einer Demo auftritt oder dort eine Rede hält.
Ab jetzt dürfen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Beim Verdachtsfall liegen für den Verfassungsschutz "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer extremistischen Bestrebung" vor.
Wenn sich die "tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet haben", ist die oberste Stufe erreicht. Der Verfassungsschutz darf beobachten - und hat bei der Verhältnismäßigkeits-Abwägung mehr Spielraum.
Eine Überwachung ist ein starker Eingriff in die Grundrechte, der immer begründet sein muss. Beim Verdachtsfall muss der Verfassungsschutz noch stärker abwägen, ob eine Maßnahme es wert ist, um eine bestimmte Information zu generieren. Ihr Nutzen muss größer sein als der Schaden, den sie möglicherweise auch verursacht - es geht immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Quelle: Julia Klaus
Der größtmögliche Schaden für den Nachrichtendienst wäre eine juristische Niederlage. Dass die AfD gegen eine weitere Hochstufung klagen würde, gilt als sicher. Zuständig wären erneut das Kölner Verwaltungsgericht sowie im Anschluss vor allem das Oberverwaltungsgericht Münster. Das OVG hatte schon bei der Überprüfung der Verdachtsfalleinstufung bestimmte Punkte angemahnt, so Nachrichtendienstexperte Luca Manns gegenüber ZDF frontal:
"In seiner Verhandlung hatte das Gericht wiederholt durchblicken lassen, dass besonders im Bereich der Delegitimierung des Staats die Belege nicht so dicht waren, wie es der Bundesverfassungsschutz angenommen hatte. Bei einer möglichen weiteren Hochstufung müsste der Inlandsdienst hier sicher deutlich mehr liefern."
Bei ihrer Gründung 2013 war die AfD eine konservativ-bürgerliche Partei, gerichtet vor allem gegen die Euro-Rettungspolitik. Heute gilt sie in Teilen als gesichert rechtsextrem. 08.10.2024 | 43:48 min
Frist für Verdachtsfälle: Was es damit auf sich hat
Der Druck auf den Verfassungsschutz steigt auch, weil die AfD mittlerweile seit über vier Jahren als Verdachtsfall geführt wird.
In diesem Schwebezustand kann ein beobachtetes Objekt nicht ewig verbleiben.
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Luca Manns, Geschäftsführer Forschungsstelle Nachrichtendienste, Universität Köln
Manns betont: "Die Stufe dient schon ihrem Namen nach der Prüfung, ob sich ein Verdacht für Verfassungsfeindlichkeit bestätigt oder nicht." Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit müsse der Verfassungsschutz irgendwann entscheiden, hoch- oder runterzustufen - auch wenn auf Bundesebene keine starre Frist existiert, anders als etwa in Niedersachsen mit dortigen Zwei-Jahres-Zeiträumen.
Eine Gruppe wartet besonders auf eine Entscheidung des Verfassungsschutzes. Parlamentarier verschiedener Parteien wollen im Bundestag einen AfD-Verbotsantrag vorantreiben. Das Bundesverfassungsgericht würde damit aufgefordert, die Verfassungswidrigkeit der AfD zu prüfen.
AfD-Verbotsverfahren im Bundestag: Gutachten als "Schlüssel"
Wegen der vorgezogenen Neuwahlen hatte das alte Parlament über den Antrag nie abgestimmt, eine Mehrheit war damals ohnehin nicht in Sicht. Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen, der den Antrag neu einbringen will, betonte gegenüber ZDF frontal: "Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, vor allem in der Union, die ihre Entscheidung von dem Gutachten des Verfassungsschutzes abhängig machen. Es ist gewissermaßen der Schlüssel."
Der Druck auf den Verfassungsschutz ist auch hausgemacht. Sein ehemaliger Chef wollte zügig entscheiden, doch die Neuwahlen mit den Personalwechseln verzögern den Prozess. Der Nachrichtendienstexperte Luca Manns sagt:
Einen 'dauerhaften Verdachtsfall AfD' wird es vermutlich nicht geben. Ich erwarte eine baldige Entscheidung.
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Luca Manns, Geschäftsführer Forschungsstelle Nachrichtendienste, Universität Köln
Quelle: dpa
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