Die AfD: alte Grabenkämpfe, neue Fronten

Zwei Parteivorsitzende, von denen eine Kanzlerkandidatin werden soll und der zuliebe der andere selbstlos zurücksteckt. Eine Landtagsfraktion in Thüringen, die sich in "Alle gegen uns, wir gegen alle"-Manier inszeniert: Diese Woche wirkte die AfD wie eine Wagenburg, wie ein Hort des Zusammenhalts.

Sie hat auch guten Grund dazu: Die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liefen gut. Die Ampel streitet weiter. Die Grünen geben ihre massive Krise offen zu. Und die CDU steht in Sachsen und Thüringen vor schwierigen Koalitionsbildungen, die in der Partei für Debatten sorgen: ein schwieriger Balanceakt zwischen Machtoption und Erhalt des Markenkerns.

Und doch ist die AfD eben die AfD - zu deren Markenkern weiterhin die inneren Grabenkämpfe gehören. Papiere, die dem ZDF-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegen, zeigen: Die Frontlinien haben sich zwar verändert. Nicht aber die Härte, mit der man gegeneinander vorgeht.

Eines dieser Papiere trägt die vielsagende Überschrift "Das Beute-Netzwerk Münzenmaier - Ein Netzwerk ohne Abschlüsse und falscher Selbstdarstellungen". Darin heißt es:

Und weiter: "In seiner Biografie erweckt er den Eindruck eines abgeschlossenen Jurastudiums, das er jedoch nach sechs Jahren (2010 - 2016) ohne Erfolg beendete. Zudem präsentiert er ein IHK-Zertifikat wie einen echten Berufsabschluss."

Tatsächlich wurde Münzenmaier 2017 wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt; auch im Berufungsverfahren wurde er für schuldig befunden.

Münzenmaier ist nicht nur stellvertretender Fraktionschef der AfD im Bundestag, sondern gilt außerdem als enger Vertrauter von Alice Weidel und Hoffnungsträger seiner Partei. Seit Längerem wird er als möglicher AfD-Generalsekretär gehandelt.

Was klingt wie eine handelsübliche parteipolitische Personalie, birgt allerdings einigen Sprengstoff. Den Posten eines Generalsekretärs gibt es in der AfD bislang nämlich nicht. Und seine Schaffung wird gern im Zusammenhang mit der möglichen Abschaffung der Doppelspitze diskutiert.

So auch im Vorfeld des diesjährigen Bundesparteitags in Essen Ende Juni. Da sorgte die Diskussion für Wirbel: Weidels Co an der Spitze der Partei, Tino Chrupalla, sah sich plötzlich Gerüchten ausgesetzt, er würde wackeln und in Essen womöglich seinen Posten verlieren. An Weidel, die künftig allein herrschen und von einem Generalsekretär Münzenmaier tatkräftig unterstützt werden würde.

Dieses Szenario wurde aus der Partei heraus gestreut in Hintergrundgesprächen mit Journalisten. Das Interesse, Chrupalla mindestens zu verunsichern, schien groß.

Es kam völlig anders. Beide wurden wiedergewählt - Chrupalla sogar überraschend mit einem besseren Ergebnis als Weidel - seine angeblich "geliebte Co-Sprecherin", wie er sie in seiner Parteitagsrede vor großem Publikum ansprach.

Die AfD will gesehen und deshalb gewählt werden als Partei, die ihre Lehren gezogen hat aus den Zeiten öffentlich ausgetragener Schlachten zwischen Vertretern des offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels von Björn Höcke und den zumindest für AfD-Verhältnisse Gemäßigten.

Dazu in starkem Kontrast stehen jedoch die Ereignisse rund um Essen und Papiere wie die, die dem ZDF von interessierter AfD-Seite zugespielt wurden. Und in deren Mittelpunkt Sebastian Münzenmaier steht.

Neben ihm taucht darin auch der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete und ehemalige Chef der inzwischen als gesichert rechtsextremistisch eingestuften "Jungen Alternative", Damian Lohr, auf. Er fungiere als "rechte Hand" Münzenmaiers und habe "2014 ein Studium der Wirtschaftsrecht begonnen, das er bis heute nicht abgeschlossen hat. Auch Andreas Bleck, sein Fraktionskollege, begann 2009 ein Lehramtsstudium, das bis heute nicht erfolgreich beendet wurde." Und weiter heißt es:

Münzenmaier wird von Parteifunktionären als sehr gut vernetzt beschrieben und als Kopf einer Gruppe von jungen Karrieristen genannt. Dazu gehören der brandenburgische Landeschef René Springer und René Aust, der Vorsitzende der ESN-Fraktion im EU-Parlament.

Der ESN-Partei, kurz für "Europa der Vereinten Nationen", gehört die AfD inzwischen an, nachdem sie die ID-Partei im Streit verlassen hatte. Die AfD war anderen dort, wie etwa dem Rassemblement National von Marine Le Pen, zu radikal geworden.

Aust, Springer und der einflussreiche Münzenmaier sind Männer in den Dreißigern, die den ehemaligen "Flügel"-Leuten in ihrer Radikalität in nichts nachstehen, im Auftreten aber eher dem Typ Schwiegersohn entsprechen, statt leicht entrückt und unnahbar aufzutreten wie Höcke.

In einem weiteren Papier, das sich ebenfalls um Münzenmaier und sein "Netzwerk" dreht und das dem ZDF ebenfalls exklusiv vorliegt, wird angezweifelt, ob der Beitritt zur ESN satzungsgemäß war.

Neben Aust an der Spitze der Fraktion wird darin auch Alexander Sell genannt, der als Chef der ESN-Partei fungiert. Auch er: ein Münzenmaier-Mann und damit im weiteren Sinne ein Player im Team Weidel.

Das Papier wirft formelle Fragen und Probleme auf. Solche, die eher für den internen Kreis gedacht sind und intern beigelegt und korrigiert werden können - sofern alle Beteiligten ein Interesse daran haben. Einige in der Partei jedoch haben weiterhin größeres Interesse an Grabenkämpfen. Zumindest daran hat sich nichts geändert.