Vor dem OVG Münster wird verhandelt, ob die AfD und ihre Jugendorganisation als Verdachtsfälle geführt werden dürfen. Zuvor hatte die Partei gegen ein Urteil Berufung eingelegt.12.03.2024 | 1:40 min
Es geht um nicht mehr als einen Verdacht, heute vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Doch schon dieser Verdacht hat es in sich. Denn er betrifft mit der
AfD eine Partei, die im
Bundestag und sämtlichen Länderparlamenten sowie im EU-Parlament vertreten ist - in einer Zeit, in der zugleich
über ein Verbotsverfahren diskutiert wird.
Die AfD ist für den Bundesverfassungsschutz seit Anfang 2021 ein rechtsextremistischer Verdachtsfall. Diese Einschätzung beruht auf mehreren Gutachten, in denen der Geheimdienst Parteiprogramme und Äußerungen einzelner Mitglieder ausgewertet hat. Auch im Verfassungsschutzbericht 2022 ist die AfD als Verdachtsfall benannt.
Die AfD sieht sich in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt und hat gegen die Einstufung geklagt. Auch gegen die Beobachtung ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative" sowie der mittlerweile offiziell aufgelösten Gruppierung "Flügel" geht sie vor.
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Was bedeutet die Einstufung als Verdachtsfall?
Prüffall, Verdachtsfall, gesichert extremistische Bestrebung - in diese Kategorien teilt der Verfassungsschutz Parteien ein, die sich aus Sicht der Behörde gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten könnten - je nachdem, wie stark er die Anhaltspunkte dafür einschätzt.
Die Einstufung hat konkrete Folgen: Eine Partei, die Verdachtsfall ist, darf der Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten - also etwa die Kommunikation von Parteimitgliedern überwachen oder auch Parteimitglieder als Informanten (sogenannte V-Leute) anwerben.
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Alle Maßnahmen müssen allerdings verhältnismäßig sein - je stichhaltiger die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, desto intensiver darf der Verfassungsschutz beobachten. Für eine Telekommunikationsüberwachung, etwa um Telefonate mitzuschneiden, müssen im Einzelfall noch zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein. Bereits jetzt darf der Verfassungsschutz die AfD innerhalb dieser Regeln überwachen. Sollte die AfD vor Gericht siegen, würde sich das ändern.
Worum wird es in der Gerichtsverhandlung gehen?
Das Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt ab heute in zweiter Instanz, nachdem vor zwei Jahren das Verwaltungsgericht Köln die Einstufung der AfD als Verdachtsfall bestätigt hatte. Die Richterinnen und Richter überprüfen neu, ob ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die AfD insgesamt eine verfassungsfeindliche Bestrebung sein könnte. Auch neue Entwicklungen können dabei eine Rolle spielen.
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Wie hatte das erste Gericht sein Urteil begründet?
Das Verwaltungsgericht Köln hatte in seinem mehr als 100-seitigen erstinstanzlichen Urteil die Einschätzung des Verfassungsschutzes zur AfD bestätigt. Zentral war für das Gericht, dass die AfD-Jugendorganisation sowie der aufgelöste "Flügel", dessen Mitglieder weiterhin in der AfD aktiv seien, einen ethnischen Volksbegriff verträten und Ausländer pauschal als kriminell verunglimpften. Das verstoße gegen die Menschenwürde.
Die AfD insgesamt, so die Einschätzung der Richterinnen und Richter im März 2022, befinde sich in einem Richtungsstreit mit offenem Ausgang. Daneben gebe es Anhaltspunkte dafür, dass relevante Teile der Partei sich gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richteten.
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Das Gericht stellte unter anderem auf Inhalte des "Deutschlandplans" der AfD-Jugendorganisation sowie etwa auf
Äußerungen des Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke ab. Rechtlich knifflig ist insbesondere die Frage, inwieweit Äußerungen einzelner Parteimitglieder sich auf die Einstufung der Gesamtpartei auswirken. Unter anderem darum dürfte es auch bei der Verhandlung in Münster gehen.
Wie geht es nach einem Urteil weiter?
Bestätigt das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil, darf der Verfassungsschutz die AfD weiterhin als Verdachtsfall führen und beobachten - auch wenn die AfD dagegen abermals Rechtsmittel einlegen würde, um den Fall vor das Bundesverwaltungsgericht zu tragen.
Bekäme die AfD vor dem Berufungsgericht Recht, müsste der Verfassungsschutz die Beobachtung einstellen, könnte aber seinerseits Rechtsmittel gegen das Urteil beim Bundesverwaltungsgericht einlegen. Letztendlich könnte der Fall nach Jahren dann vor dem Bundesverfassungsgericht landen.
Samuel Kirsch ist Redakteur der ZDF-Fachredaktion Recht und Justiz.