Baumann-Interview im Faktencheck:AfD-Politiker verharmlost radikale Aussagen
von Nils Metzger
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Im ZDF-Interview lieferte sich AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann ein Wortgefecht mit Dunja Hayali. Aussagen zum Demo-Wochenende oder dem Potsdam-Treffen waren inkorrekt.
Laut AfD-Politiker Bernd Baumann war nur ein Rechtsextremist beim Potsdamer Geheimtreffen. Der Faktencheck von Nils Metzger widerlegt auch Aussagen zu einer Rede von Björn Höcke.23.01.2024 | 11:02 min
In Folge des Correctiv-Berichts über die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland und bundesweiten Protesten gegen Rechtsextremismus steht die AfD unter Druck wie lange nicht. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, versuchte am Dienstag im Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin erneut, die Bedeutung der Ereignisse herunterzuspielen. Im teils hitzigen Wortgefecht mit Moderatorin Dunja Hayali machte Baumann auch eine Reihe von Aussagen, die einer Überprüfung nicht standhalten.
Wer war am Wochenende gegen Rechtsextremismus auf der Straße?
Baumann behauptete: "Das waren einerseits sehr junge Leute, Lehrer mit Schülern und andererseits viele alte Leute, Alt-68er und Omas gegen Rechts. Die breite Mitte hat gefehlt."
Eine exakte demografische Übersicht, wer sich den Protesten am Wochenende angeschlossen hat, gibt es nicht. Bilder aus zahlreichen Städten dokumentieren jedoch zweifelsfrei, dass die Proteste eine große Bandbreite an Menschen mobilisieren konnte - auch über das klassische linke und aktivistische Lager hinaus. Selten in der jüngeren deutschen Geschichte wurde ein Demonstrationsaufruf von so einer breiten gesellschaftlichen Basis getragen. Etwa Kirchen, Sportvereine und Gewerkschaften hatten zum Protest aufgerufen.
Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner wies gegenüber ZDFheute darauf hin, dass es ein zentrales Anliegen der AfD sei, "Größe und Relevanz der Proteste in Frage zu stellen".
"Wir stehen zu unserem Plan für eine Remigration von Menschen", doch "hier geht es nicht um Deportation", so Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD.23.01.2024 | 7:51 min
Wer hat an dem Treffen von Potsdam teilgenommen?
Die Presseberichterstattung zum Treffen von rechtsextremistischen Aktivisten, Geldgebern und AfD-Vertretern nahe Potsdam bezeichnete Baumann erneut als "Kampagne" und stritt sogar ab, dass sich dort Extremisten getroffen hätten: "Gegen keinen lag und liegt irgendwas vor. Das sind keine Rechtsextremisten, das ist eine Lüge, das ist eine Kampagne. Die Fakten sind falsch. (…) Martin Sellner war ein Gast, der auch geladen war, das war der einzige Auffällige. Der gehörte aber nicht zu dem einladenden Gesprächskreis", sagte Baumann im ZDF.
Nachdem Pläne zur sogenannten Remigration das Land in Aufruhr versetzt haben, versucht die AfD abzuwiegeln. Dabei wird immer deutlicher, dass Ausweisungen schon länger Thema sind.23.01.2024 | 2:35 min
In der Einladung des Treffens, die ZDFheute vorliegt, wurde Martin Sellner namentlich erwähnt und seine Vorstellung eines "Masterplans" angekündigt. Darüber hinaus waren - anders als von Baumann behauptet - weitere Teilnehmer den Verfassungsschutzbehörden vorher bekannt. Darunter etwa Mario Müller, Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten. Der Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2017 verweist explizit auf Müller als "Funktionär der Identitären Bewegung" und zitiert mehrere Aussagen Müllers, die völkisch-rassistisches Denken offenbaren.
Beweis, dass Sellner explizit erwähnt wurde: Auszug aus der Einladung zum Treffen des "Düsseldorfer Forums" nahe Potsdam
Quelle: Correctiv
Auch Organisator Gernot Mörig wurde als führendes Mitglied einer neonazistischen Organisation in den 1970er und 1980er Jahren in den Berichten des Verfassungsschutzes aufgeführt. Der anwesende Heilpraktiker Henning Pless war in den 1990er Jahren Vorsitzender der Vorgängerorganisation der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die 2009 vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Dass Sellner die einzige Person beim Treffen war, über die Verfassungsschützer Erkenntnisse gesammelt haben, ist nicht korrekt.
Wie groß ist das Problem Clan-Kriminalität?
In der Debatte um mögliche Ausweisungsvorhaben ist ein zentraler Vorwurf in Richtung AfD, dass sie sich nach außen harmloser gibt, als hinter verschlossenen Türen und es Stimmen in der Partei gibt, die auch Menschen mit deutschem Pass und Migrationsgeschichte aus dem Land vertreiben wollen. Baumann betonte, dass es für die AfD keine Unterscheidung in eine "Staatsbürgerschaft erster und zweiter Klasse" gebe, bekräftigte aber, "es gibt die Möglichkeit, bei Menschen, die sich nicht integrieren wollen, (...) denen kann man Angebote freiwilliger Art machen." Baumann argumentiert: "Wir haben ja mittlerweile Hunderttausende Clan-Mitglieder, nur als Beispiel, die hier orientalische Clan-Mentalität ausleben, inklusive Kriminalität."
Sprachrohr des Volkes zu sein, sei ein typisches Narrativ der Rechten, so Politikwissenschaftler Höhne. Die Proteste zeigten aber: Die Mehrheit sei gegen Rechtspopulisten.23.01.2024 | 9:52 min
Hier unterstellt Baumann Hunderttausenden Menschen kriminelle Aktivitäten, die Faktenlage ist jedoch dünn. Immer wieder wird in Medien die Zahl von 200.000 mutmaßlichen Clan-Mitgliedern in Deutschland zitiert. Grundlage dafür ist eine grobe Schätzung des Bundeskriminalamts (BKA) aus dem Jahr 2015. Dort wird jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass lediglich die Zugehörigkeit zu einem Familienverbund noch kein Beleg für kriminelle Handlungen sei. Die meisten dieser Personen würden laut BKA unbescholten in Deutschland leben.
Es ist etwas in Bewegung geraten: Hunderttausende Menschen demonstrieren deutschlandweit gegen Rechtsextremismus. Eine Demo in München musste wegen Überfüllung abgebrochen werden.21.01.2024 | 3:28 min
Das BKA veröffentlicht ein jährliches Lagebild zur organisierten Kriminalität. Dort wurden für 2022 bundesweit 47 laufende Verfahren im Bereich Clan-Kriminalität aufgeführt. 32,6 Prozent dieser mutmaßlichen Clan-Angehörigen hätten die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Ausmaß von Kriminalität mit Clan-Bezug nimmt seit mehreren Jahren zu, wozu aber auch die genauere statischen Erfassung beiträgt. Niedersachsen registrierte 2022 2.622 Tatverdächtige im Bereich Clan-Kriminalität, Berlin rechnet der Szene 582 Personen zu, Nordrhein-Westfalen erfasste im gleichen Jahr 6.573 Clan-Straftaten. Einen statistischen Beleg für Hunderttausende kriminelle Clan-Mitglieder gibt es nicht. Es sind solche definitorischen Unklarheiten, die den Eindruck verstärken, Teile der AfD könnten deutlich mehr als nur Ausreisepflichtige und Flüchtlinge außer Landes schaffen wollen.
Wen sieht Björn Höcke als Deutschen an?
ZDF-Moderatorin Dunja Hayali konfrontierte Baumann mit einer Aussage des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke zu dessen Verständnis, wer Deutscher sei:
Baumann wollte darin kein völkisches Denken erkennen und entgegnete: "Das hat doch nichts mit Volk zu tun, was Höcke da meint. Das ist doch völliger Unsinn. Da redet er doch nicht über das Volk. (…) Er hat nichts völkisch-rassistisches gesagt. Was denn? Wir werden uns erkennen - da meint er uns AfD-Mitglieder, uns Aktivisten."
Ausschnitt aus der Höcke-Rede
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Die Höcke-Aussage fiel bei einer Pegida-Veranstaltung im November in Dresden.
"Was ist denn das deutsche Volk überhaupt? Was ist vom deutschen Volk denn überhaupt noch übrig? Eine berechtigte Frage. Was das deutsche Volk ist, was unsere Identität ist, ist vielleicht ein Thema, das man in einer Vorlesung oder einem Vortrag ausführlich besprechen und erörtern müsste. Das ist kein Thema für eine Demonstration. Vielleicht abschließend nur so viel: Schaut euch ins Gesicht. Sprecht miteinander. Hört euch zu. Nehmt euch wahr. Begegnet euch und glaubt mir: Wenn es hart auf hart kommt, dann werden wir uns erkennen. Dann werden wir uns finden. Dann sind wir das, was wir immer waren, treu und deutsch und eine Gemeinschaft, die die Zukunft erkämpfen wird. Wir sind wir. Wir wollen wir bleiben." Sehen Sie hier die Rede im Video
Der weitere Kontext seiner Aussage verdeutlicht, dass es Höcke hier nicht nur um AfD-Anhänger ging, sondern explizit um eine Zugehörigkeit zum "deutschen Volk".
Alternativmedien und AfD verbreiten falsche Gerüchte über manipulierte Bilder der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Sie wollen Zweifel säen, neue Technologien helfen dabei.