Mannheim-Attacke: Welche Hürden für Abschiebungen gelten

    FAQ

    Debatte nach Attacke in Mannheim:Welche Hürden es für Abschiebungen gibt

    von Torben Heine
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    Der tödliche Messerangriff in Mannheim hat eine Debatte über Abschiebungen von Straftätern ausgelöst. Welche Einschränkungen dafür gelten und welche Rolle das Herkunftsland spielt.

    SGS mit Peter Neumann
    Die islamistische Bedrohung sei in den letzten Monaten sehr stark angestiegen, sagt Terrorismus-Forscher Peter Neumann. Abschiebungen von Gefährdern seien in der Praxis schwierig.06.06.2024 | 4:47 min
    Geflüchtete und Menschen ohne deutschen Pass, die hierzulande straffällig geworden sind, sollen schneller abgeschoben werden - das fordern zahlreiche Politikerinnen und Politiker nach dem Messerangriff eines aus Afghanistan stammenden Mannes am Freitag in Mannheim, bei dem die Behörden von einem "religiösen Motiv" ausgehen.
    Wie realistisch sind Abschiebungen nach Afghanistan, Syrien und in andere Herkunftsländer? Welche Hürden gibt es? Ein Überblick zur aktuellen Abschiebedebatte.

    Welche Einschränkungen gibt es für Abschiebungen?

    "Wir müssen, vereinfacht gesagt, zwischen zwei Gruppen unterscheiden", sagt Daniel Thym, Experte für Ausländer- und Asylrecht, bei ZDFheute live. Menschen, denen in ihrer Heimat etwa wegen ihres Geschlechts oder ihrer politischen Haltung Verfolgung droht, dürften nie abgeschoben werden. Das sei etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die aus Staaten wie Afghanistan oder Syrien nach Deutschland kommen.
    Asyl-Experte Prof. Daniel Thym bei ZDFheute live.
    Nach dem tödlichen Messerangriff in Mannheim fordern mehrere Politiker, Straftäter nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Eine Einordnung von Asyl-Experte Prof. Daniel Thym.04.06.2024 | 10:38 min
    Daneben gebe es noch eine zweite Gruppe von Geflüchteten in Deutschland, die unter Umständen schon abgeschoben werden dürfen: "Allerdings kommt es sehr auf die Verhältnisse im Einzelfall an", sagt Thym.

    Das kann die Politik nur begrenzt steuern. Letztlich entscheiden das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die deutschen Gerichte, ob die Voraussetzungen für eine Abschiebung gegeben sind oder nicht.

    Daniel Thym, Experte für Ausländer- und Asylrecht

    Neben drohender Verfolgung in der Heimat erlauben deutsche Gerichte oftmals auch keine Abschiebung, wenn die Lebensbedingungen vor Ort zu schlecht sind und etwa Hunger droht. Die Behörden in Deutschland müssten Thym zufolge also in den entsprechenden Ländern Regionen identifizieren, in denen die Lebensbedingungen gut genug sind, und dann die Gerichte hierzulande von dieser Einschätzung überzeugen.
    Kommen Menschen aus "sicheren Herkunftsstaaten" nach Deutschland, wird grundsätzlich davon angenommen, dass dort generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und dass der jeweilige Staat grundsätzlich vor nicht-staatlicher Verfolgung schützen kann. Asylbewerber können diese Annahme im Verfahren aber mit Beweisen widerlegen und dennoch Anspruch auf Asyl erhalten und eine Abschiebung verhindern.

    In Deutschland gelten derzeit folgende Länder als sichere Herkunftsstaaten:

    • die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
    • Albanien
    • Bosnien und Herzegowina
    • Georgien
    • Ghana
    • Kosovo
    • Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik
    • Montenegro
    • Republik Moldau
    • Senegal
    • Serbien

    Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

    04.06.2024, Berlin: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, gibt in Berlin eine Pressekonferenz. Faeser warnt nach der Messerattacke vor einem Generalverdacht gegen Muslime.
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    Was ändert sich, wenn Geflüchtete straffällig werden?

    "Der Schutzstatus im Sinne von 'man darf nicht abgeschoben werden' hängt mit einer Straffälligkeit eigentlich gar nicht zusammen", sagt Thym bei ZDFheute live. Kriminalität sei aber meistens der Grund, warum die Politik sage: "Wir wollen jetzt die nötigen Ressourcen investieren, um die sehr hohen Hürden, die ja existieren, in der Praxis zu überwinden."
    Abschiebungen in den Irak seien beispielsweise rechtlich und in der Praxis ebenfalls schwierig, finden aber statt.

    Da müssen dann entsprechende Ressourcen - politisch und auch administrativ - investiert werden, damit das rechtlich und tatsächlich möglich ist. Und diese Ressourcen investiert man eher bei Straftätern.

    Daniel Thym, Experte für Ausländer- und Asylrecht

    Es sei also "eine Frage der politischen Prioritätensetzung".

    Welche neuen Forderungen gibt es?

    Nach der Gewalttat in Mannheim, bei der ein Polizist getötet wurde, ist die Debatte über die Wiederaufnahme der 2021 ausgesetzten Abschiebungen nach Afghanistan neu entbrannt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) prüft derzeit die Möglichkeit für Abschiebungen in das nach dem Abzug der internationalen Truppen von den radikalislamischen Taliban eroberte Land.
    Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hält die Abschiebung von Straftätern und sogenannten Gefährdern aus Deutschland nach Afghanistan grundsätzlich für möglich. Nicht im ganzen Land sei die Sicherheitslage so schlecht, dass Abschiebungen nicht möglich seien, sagte Maier im Deutschlandfunk. Ähnlich argumentiert auch CDU-Innenexperte Torsten Frei bei "Markus Lanz".

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    Wo liegen die Hürden bei den neuen Forderungen?

    Für die deutsche Öffentlichkeit sei schwierig zu akzeptieren, dass auch Straftäter, denen in der Heimat Verfolgung droht, nicht abgeschoben werden dürfen, räumt Experte Thym ein. Aber: "Das ist seit über zwei Jahrzehnten die fest etablierte Rechtsprechung der deutschen und europäischen Gerichte." Diese Rechtsprechung bedeute jedoch nicht, dass die Menschen nicht bestraft werden dürfen.

    Wer hier eine Straftat begeht, auch wenn er Ausländer ist, wird natürlich mit genau denselben Regeln behandelt wie Deutsche auch.

    Daniel Thym, Experte für Ausländer- und Asylrecht

    Eine weitere Hürde sei häufig die operative Umsetzung der Abschiebung, sagt Thym. Es gebe zwar einheitliche europäische Regeln, die jedoch von den Mitgliedsstaaten der EU unterschiedlich interpretiert würden und so unterschiedliche Entscheidungspraktiken zur Folge hätten.

    Etwas pauschal kann man sagen, dass die deutschen Gerichte dann immer auch besonders streng sind, strenger auch als in anderen europäischen Ländern.

    Daniel Thym, Experte für Ausländer- und Asylrecht

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    Warum sind Abschiebungen in einige Länder besonders schwierig?

    Migrationsexperte Gerald Knaus gibt bei "Markus Lanz" zu bedenken, dass konsequentes Abschieben teuer sei. Daher sei es wichtig, sich auf Gefährder und Intensivstraftäter zu fokussieren.
    Entscheidend sei zudem ein guter Kontakt der Behörden in die Herkunftsstaaten. "Es ist nicht leicht, aus einem westafrikanischen Land die ganzen Papiere zu bekommen", betont Knaus. Und auch bei Syrien und Afghanistan sei die Situation kompliziert, weil es keine Verhandlungen mit diesen Ländern gibt:

    Kein Land schiebt derzeit Menschen nach Afghanistan ab, kein Land schiebt derzeit Menschen nach Syrien ab. Das ist ein Problem und es ist nicht leicht zu lösen.

    Gerald Knaus, Migrationsexperte

    Omid Nouripour, Vorsitzender der Grünen, warnt daher vor Wahlkampfparolen: "Ich kann nur davor warnen, so zu tun, als müsste man einfach nur zwei Knöpfe drücken und dann würde sich das Problem lösen. So ist es leider nicht", sagte er bei MDR Aktuell.
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    Quelle: Mit Material von epd

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