Abnehmspritzen: Lifestyle-Medikament oder Kassenleistung?
Lifestyle oder Therapeutikum:Sollen Abnehmspritzen Kassenleistung werden?
von Dorthe Ferber
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Abnehmspritzen boomen nicht nur bei Promis. Denn die Mittel sind sehr wirksam - aber auch sehr teuer. Die Diskussion ist entbrannt, ob Krankenkassen die Kosten übernehmen sollen.
Mit der Abnehmspritze könnten Folgekrankheiten für Übergewichtige verhindert werden. Doch sie gelten als Lifestyle-Medikament. Bisher erstattet die Krankenkasse die Kosten nicht.10.05.2024 | 2:51 min
Stars wie Oprah Winfrey und Robbie Williams haben den Hype auf die neuen Diät-Spritzen befeuert - Ozempic, Wegovy und Mounjaro lassen Pfunde schnell purzeln. Schlank per Spritze geht inzwischen auch in Deutschland.
Hauner: Abnehmarznei bewirkt Lebensverlängerung
Die Medikamente sind zugelassen, aber teuer: 300 Euro kostet eine Monatsration der Abnehmspritze Wegovy derzeit. Kosten, die die Versicherten selbst tragen müssen, denn die appetitzügelnde Spritze gilt als so genanntes Lifestyle-Arzneimittel und wird nicht von den Kassen erstattet.
Das muss sich ändern, fordern Experten wie der Ernährungswissenschaftler Hans Hauner:
Adipositas, also starkes Übergewicht, könne Folgen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach sich ziehen: "Ich bin der Meinung, dass Menschen mit besonders hohem Risiko dieses Medikament von den Kassen ersetzt bekommen sollten, weil damit wirklich ein gewaltiger Nutzen zu erwarten ist, der am Ende vielleicht auch noch zu Kosteneinsparungen führt."
Purzelnde Kilos, weniger Appetit: Abnehmspritzen sorgen bei Übergewichtigen für Euphorie. Ärztin Sylvia Weiner sieht Chancen, aber auch Risiken bei der Behandlung von Adipositas.
Interview
Kassen fürchten Kostenexplosion durch Diät-Spritzen
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, sieht die Datenlage schon als sehr überzeugend an. Ullmann fordert eine Debatte darüber, ob die rezeptpflichtigen Diät-Spritzen als Therapeutikum angesehen werden können und nicht nur als Lifestyle-Medikament.
Das Abnehmmittel Wegovy
Um Wegovy, ein verschreibungspflichtiges Medikament zum Abnehmen und Halten des Gewichts. Seit Mitte Juli 2023 können Ärzte es nach Angaben des Herstellers Novo Nordisk auch in Deutschland Patienten mit Adipositas verschreiben.
Patienten können sich Wegovy aus einem Fertigpen, der ein bisschen aussieht wie ein Textmarker, einmal pro Woche selbst unter die Haut spritzen: am Bauch, Oberschenkel oder Oberarm. An der Injektionslösung mit dem Wirkstoff Semaglutid hat sich in den USA auch wegen so mancher Promi-Äußerung großes Interesse entwickelt.
Gedacht ist das Präparat für Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30, also Adipositas. Der BMI wird aus Größe und Gewicht errechnet. Wer als Mann zum Beispiel 1,80 Meter groß ist und 100 Kilo wiegt, überschreitet die 30er-Marke knapp.
Daneben kann das Mittel auch bei Übergewichtigen (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung wie Diabetes Typ 2 eingesetzt werden. Und bei Jugendlichen ab einem Alter von 12 Jahren mit Adipositas oder einem Gewicht von mehr als 60 Kilo.
Die Spritzen allein sollen es allerdings bei keiner dieser Gruppen richten: Sie sollen vielmehr eine Ergänzung zu Diät und Sport sein.
Quelle: dpa
Die Krankenversicherungen fürchten hingegen hohe Kosten. Fast jeder fünfte Deutsche hat einen Body-Maß-Index von über 30 und gilt damit als adipös. Wenn alle die Spritze erstattet bekämen, bedeute das bei den derzeitigen Preisen Kosten von 50 Milliarden Euro, hat die AOK errechnet.
Das ist genau so viel, wie alle Medikamenten-Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland zusammen. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigt sich skeptisch:
Pharmaunternehmen erfreut über hohe Nachfrage
Zugleich sieht Lauterbach die überraschende Wirkung der Medikamente zum Abnehmen: Wenn sich die günstige Wirkung stabilisiere und Langzeitstudien vorlägen, könne man die Kostenübernahme diskutieren.
Die Unternehmen sehen erstmal die Gewinne. Denn die Spritzen boomen, auch ohne Kassenübernahme. Die Hersteller kommen gar nicht mehr hinterher, die riesige Nachfrage zu decken.
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Abnehmmittel wirkt nur, solange man es spritzt
Die Spritzen sind das dicke Ding auf dem Pharmamarkt. Wenn künftig mehr davon auf dem Markt erhältlich sind, dürften die Kosten sinken.
Allerdings: Wer die Abnehmspritze absetzt, bekommt wieder Appetit. Derzeit sieht es so aus, als müsse das Schlankmittel dauerhaft verabreicht werden, um die Gewichtsabnahme zu halten. Und das bedeutet dann eben auch dauerhafte Kosten.
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Eine generelle Kostenübernahme für alle Betroffenen durch die Kassen scheint unter diesen Umständen unwahrscheinlich. Aber das heißt nicht unbedingt, dass sich künftig nur Reiche schlank spritzen können.
Auch Adipositas hat hohe Kosten zur Folge
Denn auch die Folgen von Adipositas kosten die Kassen viel Geld und das große Rechnen hat gerade erst begonnen: Was würde eine Kassenzulassung für besonders schwer Betroffene mit einem Body-Maß-Index ab 35 und Vorerkrankungen bedeuten?
Muss ein Patient erst einen Herzinfarkt bekommen, um die Abnehmspritze auf Rezept zu erhalten? Wann überhaupt ist Abnehmen medizinisch nötig, wann ist es Lifestyle? Die Schlankspritze wirft komplizierte Fragen auf - leichte Antworten gibt es nicht.
Dorthe Ferber ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
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