Experte zu Desinformation: "Eine völlig neue Dimension"
Interview
Experte zu Desinformations-Welle:"Eine völlig neue Dimension"
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Medienexperte Andre Wolf entlarvt seit Jahren Fake News. Er sagt: So eine große Desinformationskampagne wie die aktuelle pro-russische in Sozialen Medien habe er noch nie gesehen.
Faktenchecker Andre Wolf nennt die aktuelle Desinformations-Kampagne eine "straff durchdachte Propaganda-Aktion".
Quelle: imago
In einer riesigen Desinformations-Kampagne verbreiten täuschend echt nachgemachte Medienseiten pro-russische Propaganda, hunderte Fake-Accounts teilen sie massenhaft in Sozialen Medien. Tenor: Die Sanktionen gegen Russland müssten aufhören, sonst werde Deutschland verarmen, es drohe Hunger, Menschen könnten im Winter erfrieren, die Wirtschaft kollabieren.
Social-Media-Experte Andre Wolf vom Verein "Mimikama" aus Österreich entlarvt mit seinem Team seit über zehn Jahren Fake News. Für ihn ist die Kampagne bisher einzigartig: So viele, so gut gemachte Fälschungen von Medienwebseiten seien ihm noch nicht untergekommen, erklärt er im Interview mit ZDFheute.
ZDFheute: Dass bekannte Medienmarken imitiert werden, um Fake News zu verbreiten, ist kein neues Phänomen. Was ist das Besondere an der aktuellen Desinformationskampagne?
Andre Wolf: Das hat eine völlig neue Dimension angenommen. Früher konnte man solche Fake-Seiten meist sehr schnell erkennen – die Adressen der Webseiten passten meist überhaupt nicht, manchmal waren die Logos verzerrt, man konnte sehen, dass das nicht die Original-Nachrichtenseiten sind. Bei dieser Kampagne ist das anders: Man kann die gefälschten Nachrichtenseiten optisch kaum von den echten unterscheiden. Für die Propaganda-Artikel wurden die Original-Seiten drumherum eins zu eins übernommen. Wenn ich andere Artikel anklicke, selbst beim Impressum: Dann wird die Original-Seite geladen. Und auch die Masse an Falschnachrichten habe ich so noch nicht gesehen. Wir haben es hier nicht mit drei oder vier Artikeln oder Videos zu tun, die mal eben erstellt wurden, sondern mit einer sehr, sehr großen Zahl, die wir noch gar nicht beziffern können. Und die stetig wächst.
Es ist die größte Desinformations-Kampagne bisher: Nachgemachte Medienseiten verbreiten pro-russische Propaganda, hunderte Fake-Accounts teilen sie massenhaft in Sozialen Medien.
von Oliver Klein
ZDFheute: Gleichzeitig gibt es auch ein Heer von extra angelegten Fake Accounts, die das verbreiten. Gab es so was zuvor schon?
Wolf: Wir hatten im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 schon ein halb automatisiertes Bot-Netzwerk gesehen, das Desinformation auf Facebook verbreitet hat. Das ist nun eine ähnliche Situation.
ZDFheute: Was braucht es, um so eine Kampagne zu stemmen?
Wolf: Wir erkennen eine richtige Organisationsstruktur, allein aufgrund der Masse der Seiten und weil sie so perfekt und technisch gleich aufgebaut sind. Das sind keine einzelnen Trolle. Und es müssen Vertriebswege aufgebaut werden, das ist auch nicht so einfach: Man kann nicht von jetzt auf gleich mehrere Kanäle aufsetzen und dann dort einfach etwas streuen.
Quelle: privat
... ist Faktenchecker und Pressesprecher des österreichischen Vereins "Mimikama". Sein Fachgebiet ist die Analyse von Inhalten in Sozialen Medien. Der Verein sieht sich sowohl als Anlaufstelle zur Aufklärung über Falschmeldungen als auch Beobachtungsstelle für Desinformation.
ZDFheute: Kann so eine Kampagne mit relativ glaubwürdigen Medienmarken auch Menschen erreichen, die generell eher skeptisch sind und weniger empfänglich für Falschnachrichten?
Wolf: Ganz genau - hier liegt das große Manipulationspotenzial. Diese Nachrichten werden so auch an Menschen getragen, die gar nicht so stark politisch und auch gar nicht politisch extrem sind - die jedoch aufgrund des Aufbaus und der Optik der nachgemachten Nachrichten-Seiten nicht unterscheiden können, ob das jetzt echte Meldungen sind oder nicht. Wenn ich das glaube, weil es scheinbar von etablierten Medien stammt, werde ich in meiner Meinungsbildung beeinflusst. Das ist das große Problem.
ZDFheute: Auch, weil es dem Vertrauen der Menschen in die Medien generell schaden kann?
Wolf: Ja, denn wenn man merkt: Moment, das stimmt ja alles gar nicht – dann könnten die Menschen den Eindruck bekommen, dass sie von den Medien angelogen wurden. Nicht von den Fälschern.
Bereits 2018 geriet eine russische Trollfabrik in die Schlagzeilen.20.02.2018 | 1:32 min
ZDFheute: Was ist Ihrer Meinung nach das Ziel der Kampagne?
Wolf: Wir haben ein sehr interessantes Wording: Es werden Worte verwendet, die sehr stark framen, also in eine bestimmte Richtung lenken. Da wird beispielsweise von "Schmarotzern" gesprochen, wenn es um Flüchtende aus der Ukraine geht.
Es soll das Verhältnis zwischen der Ukraine und Deutschland gestört werden, in Deutschland Unruhe gestiftet und Ängste geschürt werden.
ZDFheute: Wer macht sowas?
Wolf: Wir können nur spekulieren – aber anhand der Inhalte können wir sagen: Das ist pro-russische Propaganda. Die Ukraine und die deutsche Bundesregierung werden ständig negativ dargestellt, Russland entweder nicht erwähnt - oder wenn, dann positiv. Wer profitiert also davon? Es könnte sein, dass die Seiten aus den bekannten Trollfabriken in Russland stammen. Aber wir wissen es halt nicht.