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Starke AfD bei Europawahl:Blauer Osten: Wenig Sinn für Brandmauern
von Thomas Bärsch
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In fast jedem ostdeutschen Wahlkreis wurde die AfD stärkste Kraft. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht verbuchte Erfolge. Das dürfte die Brandmauer-Debatte neu entfachen.
In fast jedem ostdeutschen Wahlkreis wurde die AfD stärkste Kraft. Warum? Wir haben uns in Sachsen umgehört.14.06.2024 | 8:04 min
Als am 9. Juni die Wahllokale schlossen und die Stimmenauszählung begann schälten sich schnell zwei Erkenntnisse heraus.
Zum einen verbuchte die AfD bei der Europawahl bundesweit hohe Gewinne, zum anderen lebte in der grafischen Darstellung die deutsche Teilung wieder auf: Links der alten Grenze siegte fast flächendeckend die CDU, rechts davon färbten sich fast alle Wahlkreise ebenso flächendeckend blau. Ungeachtet der Spionagevorwürfe, ungeachtet der innerparteilichen Querelen und auch ungeachtet der Einstufung mehrerer AfD-Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch".
Soziologe: Erfolg der AfD kein Ostphänomen
Raj Kollmorgen, Soziologe aus Görlitz, hält das Erstarken der AfD dennoch nicht zwingend für ein Ostphänomen. In Gegenden im Westen mit vergleichbaren sozio-ökonomischen Problemen komme die AfD auf ähnlich hohe Stimmgewinne, etwa in Gelsenkirchen.
"Dennoch", stellt er fest, "haben wir im Osten eine politische Kultur, die den Rechtsextremismus anders codiert. Insofern ist im Osten die Hürde nicht so hoch wie für die Mitte im Westen, eine Partei zu wählen, die sich teils selbst als rechts verortet."
In allen Landkreisen, in allen Städten in Sachsen hat die AfD die meisten Stimmen gewonnen. Was sind die Gründe, die die Bürger*innen dazu gebracht haben, die AfD so zu stärken?
10.06.2024 | 2:24 min
Verzweiflung, Wut und Resignation
Wer mit einem ZDF-Kamerateam Antworten auf Fragen nach der Wahlentscheidung sucht, erfährt auf den Straßen von Sachsen viel Ablehnung. Wer mit uns aber redet, erzählt oft Geschichten, die mit Wendeerfahrungen zu tun haben, mit Verzweiflung, mit Wut, mit Resignation und mit dem Gefühl, von der Politik nicht gehört zu werden.
Und für manche stellt sich die Demokratie als ein System dar, das seine Unzulänglichkeit in den letzten Jahrzehnten zu oft bewiesen hat. Die Rente erwies sich als nicht so sicher, wie lange behauptet. Der Euro kam ohne Volksbefragung und trieb die Preise hoch. Die Hartz-IV-Reformen ausgerechnet der SPD wurden hier als Verrat empfunden - und die Finanzkrise 2008 drückte die Renditen der Rentensparverträge nach unten.
Dann kamen Flüchtlingskrise, Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und am Ende das Heizungsgesetz und der Dauerstreit der Ampel. Und immer das Gefühl, alles werde immer schlechter und teurer und für alles sei Geld da, nur nicht für den Osten.
In Sachsen und weiteren Bundesländern wird in wenigen Monaten ein neuer Landtag gewählt. Umso interessanter ist der Erfolg der AfD und des BSW bei der Europawahl. 10.06.2024 | 1:31 min
"Zum Weinen ist das"
Bernd Wolf zum Beispiel aus Görlitz kann kaum an sich halten. In der DDR kämpfte er in der Judo-Nationalmannschaft, heute kämpft er mit dem Existenzminimum. Sport an den Leistungsgrenzen hält den Rentner am Leben. Doch die hohen Startgebühren für die Wettkämpfe kann er sich nicht leisten.
Wer ihm dabei ins Gesicht schaut, der weiß, dass Bernd Wolf diese Worte nicht einfach so dahinsagt. Er kann mit der Einordnung der AfD als "rechte Partei" nichts anfangen. "Es kann nicht rechts sein, wenn man sich um die eigene Welt immer kümmert."
"Sachsen war noch nie eine Hochburg von Grünen und SPD", so ZDF-Reporterin Steffi Moritz-Möller. Es werde spannend, wie die Ergebnisse bei den Landtagswahlen ausfallen werden.10.06.2024 | 7:20 min
Kein Verständnis für die Brandmauer
Es ist der herrschende Tenor auf den Straßen von Görlitz oder Pirna, die wir besucht haben. Es ist das diffuse Gefühl, die Politik sei nicht Herr der Lage, steuere das Land in den Abgrund und nur die AfD sei mächtig genug, um die Probleme zu benennen.
Insofern findet auch die Diskussion um die Brandmauer, mit der sich andere Parteien von AfD und dem Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) abgrenzen, kein Verständnis. Unternehmer Karl Friedrich Drechsel sagt:
Man könne doch nicht die ganze AfD als Dummköpfe und Nazis bezeichnen.
Soziologe Kollmorgen kann das Bestreben der anderen Parteien nach Abgrenzung zur AfD nachvollziehen. "Allerdings fühlen sich die Ossis dann auch tatsächlich ausgegrenzt. Und das wiederum spült dann wieder Wasser auf die Mühlen der AfD. Dessen muss man sich bewusst sein."
Thomas Bärsch ist Reporter im ZDF-Studio Sachsen
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