Kritik und Absagen: Geringe Erwartungen an Bildungsgipfel

    Kritik am Bildungsministerium:Stark-Watzinger lädt zum Gipfel: Keiner kommt

    Nicole Diekmann
    von Nicole Diekmann
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    Kommende Woche soll in Berlin der Bildungsgipfel der Bundesregierung stattfinden. Die Bildungsministerin erntet im Voraus jedoch scharfe Kritik, aus den Ländern hagelt es Absagen.

    Eigentlich sehen politische Gipfel so aus: Es kommen diejenigen zusammen, die Ahnung vom Thema haben und Macht, die etwas besser machen wollen, können - und anschließend verkünden, wie sie das werden. Deshalb mutet es erstaunlich an, wenn die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) den eigens von ihr anberaumten "Bildungsgipfel" folgendermaßen unambitioniert kleinredet:

    Es ist ein Arbeitsprozess, den wir starten wollen. Denn wir werden nicht in zwei Tagen die großen Herausforderungen lösen.

    Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung

    In der Tat sind die Herausforderungen riesig: Deutschland, einst von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zur Bildungsrepublik ausgerufen, ist vieles - aber keine Bildungsrepublik. Seit vielen, vielen Jahren schlagen alle Verantwortlichen und Betroffenen Alarm. Trotzdem ändert sich nichts. Zumindest nicht zum Guten.

    Rund 50.000 Schüler jährlich ohne Schulabschluss 

    50.000 Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, jedes Jahr, das hat sich verstetigt. Die Zahl der Schüler insgesamt wird in den kommenden Jahren stark steigen. Bundesweit im Zeitraum 2020 bis 2030 um neun Prozent.
    In Berlin und Nordrhein-Westfalen wird sich die schon jetzt angespannte Situation nach Einschätzung des Instituts für Wirtschaftsforschung besonders verschärfen: In der Hauptstadt erwarten die Modellierer einen Anstieg der Schülerzahl um 17,3 Prozent, im größten Bundesland um 13,6 Prozent. Dem gegenüber steht ein schon jetzt eklatanter Mangel an Lehrern - der parallel zur wachsenden Schülerzahl ebenfalls steigen wird.

    Schulleiter mit geringen Erwartungen an Gipfel

    Angelika Wollny spürt den Druck jeden Tag. Sie leitet die Integrierte Gesamtschule Paffrath mitten in Bergisch-Gladbach. Sie ist schon so lange im Job, dass sie trotz allen Herzbluts für ihren Job und ihre Schüler nur noch abwinkt, wenn sie nach ihren Erwartungen an den Gipfel gefragt wird.
    Sie würde gern nach Berlin oder nach Düsseldorf fahren, sagt sie, und "einfach mal sagen, wie ich das sehe. Und ich glaube, jeder Schulleiter, der einfach mal dahin gehen und sagen könnte, woran kann man was ändern, der würde die ganze Sache vielleicht auch mal ein bisschen beschleunigen".
    [Warum Schulleiter für Grundschulen kaum zu finden sind]

    Kritik und Absagen aus den Ländern

    Wollny wird beim Gipfel nicht dabei sein - und dasselbe gilt für fast alle 16 Kultusminister. Kein Landesminister aus der Union, von den Grünen oder der Linken macht Stark-Watzingers Veranstaltung zu dem, wonach sie klingt: einem Gipfel. Einer nach dem anderen hat abgesagt. Auch Alexander Lorz (CDU) aus Hessen, der der Bundesministerin schlichtweg die Professionalität abspricht.

    Wenn man so etwas wirklich so groß anlegen will, muss man das anders aufsetzen. Dann muss es Vorabsprachen geben, über die Terminfindung sowieso. Aber eben auch über die Struktur des Prozesses, über die Themen, die zu behandeln sind.

    Alexander Lorz, CDU

    "Was erwartet man sich davon? Was soll da herauskommen? An alledem fehlt es mit Blick auf die Veranstaltung am Dienstag", so sein vernichtendes Urteil.

    Familienministerin Paus gesteht Fehler in Corona-Politik

    Es ist verheerendes Bild, das die Bildungspolitik abgibt. Auch ohne den eklatanten Unterrichtsausfall, der mancherorts schon zur Vier-Tage-Woche zwingt, ohne Kompetenzkurven deutscher Schüler, die nur noch eine Richtung kennen - nämlich nach unten. Und auch ohne Fachkräftemangel wäre dieser erneute Tiefpunkt im traditionellen Streit zwischen Bund und Ländern auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ein Desaster.
    In der Ampel, die mit einem großen Bildungsversprechen angetreten ist und dies auch im Koalitionsvertrag verankert hat, weiß man das natürlich alles. "Wir haben drei Jahre Corona hinter uns, und dort haben Kinder und Jugendliche, ich glaube zurecht den Eindruck gewonnen, dass die offizielle Politik sich nicht so sehr um sie kümmert", sagt Stark-Watzingers Kabinettskollegin, die grüne Bundesfamilienministerin. Das ist ebenso schonungslos wie selbstkritisch.

    Energiepauschale für Studenten: Kritik an Antragsprozess

    Ein Problem-Analyseproblem hat die aktuelle Regierung also anscheinend nicht. Aber ganz offensichtlich ein Problem-Lösungs-Problem: Paus bleibt nur der etwas hilflose Verweis darauf, die Ampel habe "doch sehr gut nachgesteuert: Wir haben drei Entlastungspakete beschlossen. Wir haben den großen Fonds geschlossen für Energie- und Strompreisbremse."
    Ausgerechnet mit diesem Verteidigungsargument aber lenkt Paus, die nichts Schlechtes über Stark-Watzinger sagen will, unabsichtlich die Aufmerksamkeit auf ein weiteres verunglücktes Projekt aus dem Bundesbildungsministerium: die Auszahlung von 200 Euro Energiepauschale an Studierende. Erst über ein halbes Jahr nach der Ankündigung des Geldes gehen nun die ersten Test-Zahlungen raus. Wer sie beantragt, muss einen enervierend komplizierten Antragsprozess durchlaufen.
    Studenten und Corona
    Die Corona-Pandemie hat auch Studierende hart getroffen. Fast drei Jahre lang durften sie nur online studieren. Das hat Spuren hinterlassen, wie unsere Nahaufnahme zeigt.26.01.2023 | 3:06 min

    SPD-Mitglied: Junge Menschen von Politik frustriert

    In der Praxis ein Problem für viele Studierende, die oft auf jeden Cent angewiesen sind. Eine Ebene drüber aber sogar ein Problem für unsere Demokratie, sagt Dario Schramm, Mitglied der SPD und bis Herbst 2021 Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz:

    Ich erlebe zunehmend junge Menschen, die eigentlich sehr hoch politisch sind, die Abläufe kennen und sich eigentlich auch einbringen wollen. Die sagen: 'Es ist eigentlich egal, was ich tue.'

    Dario Schramm, SPD

    Man kann also nur hoffen, dass der Bildungsgipfel die Talsohle ist. Denn nach ihr geht es bekanntermaßen bergauf.