Beginn des Zweiten Weltkriegs: Zeitzeugen erinnern sich

    Weltkrieg begann vor 85 Jahren:Überfall auf Polen: Was Zeitzeugen erlebten

    von Milena Drzewiecka & Roman Krysztofiak, Warschau
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    Zerstörte Länder und unterbrochene Lebensgeschichten. Unerfüllte Träume und verlorene Familien. Hunger. Angst. Tod: Zeitzeugen erinnern sich an das Leid im Zweiten Weltkrieg.

    Steinmeier bittet um Vergebung für deutsche Gräuel in Polen
    Vor 80 Jahren begann der Aufstand der polnischen „Heimatarmee“ gegen die deutsche Besatzung. 63 Tage dauerte der Widerstand in Warschau – und wurde am Ende brutal niedergeschlagen.31.07.2024 | 3:15 min
    Der erste September 1939: In den frühen Morgenstunden begann der deutsche Überfall auf Polen. Und damit der Zweite Weltkrieg. In sechs Jahren kostete er das Leben von fast 60 Millionen Menschen. Polen selbst hat 6 Millionen Staatsbürger verloren. Kein politisches Wort kann stärker sein als die Worte der Zeitzeugen. Auch 85 Jahre später erinnern sie sich. Sie haben die Grausamkeit erlebt und überlebt.
    01.08.2024, Polen, Warschau: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt an einer Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer des Massakers von Wola teil.
    In Polen wird den Opfern des Warschauer Aufstands gegen die Nazis vor 80 Jahren gedacht. Rund 200.000 Menschen wurden damals ermordet, Bundespräsident Steinmeier bat um Vergebung.01.08.2024 | 0:22 min

    Zeitzeuge erinnert sich: "Die Stadt brannte"

    Józef Stępień (geb. 1932) ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen der Luftwaffenbombardierung von Wielun am 1.9.1939. Zehn Minuten nach dem Angriff auf Wieluń folgte die Attacke auf die Westerplatte, die als der Beginn des Zweiten Weltkriegs gilt.
    Józef Stępień
    Józef Stępień
    Quelle: ZDF

    "Ich wurde von den Flugzeugen geweckt, die kamen, und die Stadt bombardierten. Da sind meine Eltern und ich aufgesprungen und haben uns gefragt: "Was passiert hier? Wir haben nicht mit Bomben gerechnet." Durch eine Explosion wurde ein Fenster aus dem Zimmer gerissen. "(…) Die Stadt brannte. Da war Weinen und Zähneknirschen."
    Seine Botschaft: "Ich wünsche niemandem einen Krieg, egal, welchen Krieg. Was ist der Sinn des Kriegs, was ist der Sinn? Die Kriege sollten nicht erlaubt sein."

    Zweiter Weltkrieg: "Die Welt stürzte ein"

    Krystyna Sierpińska (geb. 1929) war während des Warschauer Aufstands als Sanitäterin tätig. Im Krieg verlor sie beide Eltern. Ihr Vater wurde von den deutschen Besatzern im KZ ermordet.
    Krystyna Sierpińska
    Krystyna Sierpińska
    Quelle: ZDF

    Ihre Erinnerung: "Mein Vater wurde von Gestapo festgehalten. Beim Besuchstermin hat er mir gesagt: 'Tochter, sage Mama, dass ich der erste auf der Liste bin, der verhaftet wird.' Ihm erzählten die SS-Männer, dass er 'auf eine kulturelle Schulung gehen würde, um westliche Kultur zu lernen'. Ich habe meinen Vater nie mehr gesehen und meine Mutter nur noch sieben Monate lang. Die Welt stürzte ein. So früh." Ihre Botschaft:

    Seien wir menschlich, denn was im Krieg zwischen Menschen entsteht, ist einfach unbegreiflich. Wie kann man jemanden hassen, nur weil er einer anderen Nationalität angehört?

    Krystyna Sierpińska, Zeitzeugin

    "Die Deutschen sollen verstehen, was in Polen war"

    Andrzej Frydryszak (geb. 1928) kämpfte im Warschauer Aufstand 1944. Bis heute kann er die deutschen Gedichte zitieren, die er in den Besatzungsjahren auswendig lernen musste. Genauso wie die Befehle der deutschen Okkupanten.
    Andrzej Frydryszak
    Andrzej Frydryszak
    Quelle: ZDF

    "Die Deutschen wollten unser Sommerhaus besetzen. Ich war fast zwölf Jahre alt und versuchte das Haus zu verteidigen. Ich sagte dem Offizier, das Haus ist nicht vor Frost geschützt usw. und er hat mir eine Ohrfeige gegeben und gesagt: 'Mein lieber Junge, mach keinen Quatsch. Wenn ich brauche, dann nehme ich.' Und er hat mir so aufs Ohr gehauen, ich hatte hier einen Bluterguss und habe bis heute eine Hörminderung auf dem linken Ohr."
    Seine Botschaft: "Die Deutschen sollen verstehen, was in Polen war. Das Gedächtnis hilft, Fehler zu vermeiden und das zu respektieren, was wir gemeinsam haben. Und unser Gemeinsames ist Europa. Das ist unser Vaterland."
    Der Kniefall von Warschau
    Eine Geste, die um die Welt ging: Bundeskanzler Willy Brandt fällt auf die Knie vor dem Mahnmal des Aufstands im jüdischen Ghetto von Warschau während der NS-Besatzung.06.10.2011 | 3:19 min

    Ehemalige Soldatin: "Moment, in dem ich den Krieg hasste"

    Wanda Traczyk-Stawska (geb. 1927) kämpfte als 17-Jährige im Warschauer Aufstand 1944. Nach 63 Tagen hatten die Deutschen den Aufstand blutig niedergeschlagen und Warschau fast vollständig zerstört.
    Wanda Traczyk Stawska
    Wanda Traczyk Stawska
    Quelle: ZDF

    Ihre Erinnerung: "Es war meine Aufgabe, Granaten zu werfen. Einmal wollte ich mit einem Auge sehen, weil das andere schon verletzt war, ob ich richtig die Granaten warf. Und ich sah einen deutschen Soldaten, der so sehr auseinandergerissen war, dass ich anfing zu weinen. Dies war der Moment, in dem ich den Krieg hasste, weil ich weiter werfen musste. Es gab keinen Ausweg. Als Liniensoldat erlebte ich ein großes Drama, das entschied, dass ich jetzt Pazifistin bin." Ihre Botschaft:

    Erinnert euch dran. Damit wir nie wieder gegeneinander kämpfen, damit wir befreundet sein können, weil aus Freundschaft nur positive Sachen erfolgen. Und aus Hass - nur Unglück, was der Krieg ist.

    Wanda Traczyk-Stawska, Zeitzeugin

    Warschauer Ghetto: "Es war ein langsamer Tod"

    Marian Kalwary (1930-2024) war 1940-1942 im jüdischen Ghetto in Warschau und floh noch vor dem Aufstand. Der Aufstand im Warschauer Ghetto war der größte bewaffnete Widerstandsakt von Juden in Europa gegen die Nazis.
    Marian Kalwary
    Marian Kalwary
    Quelle: ZDF

    Er erinnert sich an das schwierige Leben im Ghetto: "Es war ein langsamer Tod. Zuerst schwollen die Menschen vom Hunger an. Nachdem die Schwellung zurückgegangen war, blieben nur Knochen. Auf der Straße lagen viele solche Skelettkinder."

    Man soll die Menschen die Vergangenheit bewusst machen, sodass sich die Vergangenheit nie wiederholt, wie man es sagen würde: never again.

    Marian Kalwary

    Zwei jüdische Männer werden von SS-Soldaten gefangen genommen.
    Auf der Gedenkfeier an den Aufstand im Warschauer Ghetto hat Bundespräsident Steinmeier um Vergebung für die Verbrechen gebeten, die Deutsche dort begangen haben. 19.04.2023 | 103:43 min

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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