Rede vor dem EU-Parlament: Wie Viktor Orban Europa spaltet

    Analyse

    Rede vor dem EU-Parlament:Wie Viktor Orban Europa spaltet

    von Paul Schubert und Ulf Röller, Straßburg
    |

    Orban zeichnet in seiner Rede vor dem EU-Parlament ein düsteres Bild Europas, bedroht von Wirtschafts- und Migrationskrise. Die Debatte zeigt: Rechtspopulisten fühlen sich stark.

    Anne Gellinek im Gespräch mit Ulf Röller
    Der Frontalangriff von Orban auf die EU zeige den tiefen Graben, der durch das Lager der Rechtspopulisten und das der politischen Mitte verläuft, so ZDF-Korrespondent Ulf Röller.09.10.2024 | 2:57 min
    Viktor Orban schaut am Ende seiner Rede vor dem EU-Parlament zufrieden ins Plenum, einige Abgeordnete stimmen Protestgesänge an. "Bella Ciao", eine antifaschistische Hymne. Die Parlamentspräsidentin ruft zur Ordnung. "Wir sind hier nicht beim Eurovision Song Contest." 20 Minuten hat Orban den Mini-Trump gegeben. Zum Schluss sagt er:

    Make Europe great again.

    Viktor Orban in seiner Rede vor dem EU-Parlament

    Der Saal ist empört, der Provokateur hat sein Ziel erreicht. Aufmerksamkeit.
    Orban im Parlament
    Der ungarische Regierungschef Orban hat bei einer Rede im EU-Parlament die EU und Kommissionspräsidentin von der Leyen scharf kritisiert. Die reagierte darauf ebenfalls deutlich. 09.10.2024 | 1:33 min

    Orban beschwört eine EU in der Krise

    Orban inszeniert sich als Anführer der Rechtspopulisten. Er beschreibt eine EU, einen Kontinent, der dem Untergang geweiht ist. Seinen Kronzeugen hat er geschickt gewählt: Den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der vor Kurzem gesagt hat, Europa könne sterben. Damit will er den Vorwurf kontern, er mache rechtspopulistische Stimmung.
    Aber er braucht nur ein paar Minuten, um Schuldige zu benennen: Die illegalen Migranten. Für Orban sind sie für Antisemitismus, Frauen- und Schwulenfeindlichkeit und Gewalt verantwortlich. Orban will Europa zur Festung umbauen. Es klingt sehr nach "build that wall," von seinem Idol Donald Trump.
    Thumbnail Die Spur: Propaganda-Angriff auf die EU
    Ein Netzwerk aus Firmen und Stiftungen betreibt massiv Stimmungsmache gegen die liberalen Demokratien Europas. Sein Sitz: das autokratisch regierte Ungarn.29.05.2024 | 28:44 min

    Kulturkampf im EU-Parlament

    Mittlerweile herrscht Kulturkampf im EU-Parlament. Die Fäuste der Linken recken sich Orban entgegen, die Patrioten für Europa - seine Fraktion - klatschen laut Beifall. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaut ernst drein. Sie spürt wohl, dass dies kein alltäglicher Auftritt ist. Orban stellt die Systemfrage, will ein Europa der Nationalstaaten.
    Das will von der Leyen nicht, dagegen kämpft sie. An diesem Tag verlässt sie ihre Rolle als neutrale Kommissionspräsidentin und wird zur Chefanklägerin. Sie kritisiert Orban als korrupten Autokraten, prangert seine Putin-Hörigkeit an.

    Es gibt jemanden, der die Schuld des Krieges nicht beim Angreifer, sondern beim Angegriffenen sieht.

    Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

    Orban als Putins Brückenkopf in Europa. Der Tenor von von der Leyen ist gesetzt. Am Ende wendet sie sich direkt an das ungarische Volk: "Wir sind eine Familie."
    Foto EU-Parlament bei Abstimmung und Grafik zu den Aufgaben des EU-Parlamentes
    Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union wählen alle fünf Jahre das EU-Parlament. Die Abgeordneten übernehmen dann verschiedene Aufgaben und gestalten so die EU-Politik. 25.04.2024 | 1:02 min
    Orban schaut grimmig. Ungarn sei nicht Orban. Diesen Angriff versteht er genau. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen. Er ergreift noch einmal das Wort. Sein Angriffsziel diesmal: Die Kommissionspräsidentin. Sie verletze ihre Neutralitätspflicht. "Sie sind eine politische Waffe, die sich gegen uns richtet."

    Ungarn hat Anfang Juli die alle sechs Monate wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Bis Ende des Jahres hat das Land damit den Vorsitz der Ministerräte inne und kann diese maßgeblich beeinflussen. Hat ein Mitgliedsstaat die EU-Ratspräsidentschaft inne, muss er dafür sorgen, dass die Arbeit des Rates systematisch vorangeht und Entscheidungen gefällt werden. Eine weitere wichtige Aufgabe besteht in der Vertretung des Rates gegenüber den anderen EU-Institutionen, vor allem gegenüber der Kommission und dem EU-Parlament.

    Budapest hat seine Ratspräsidentschaft unter das Motto "Make Europe Great Again" (Macht Europa wieder groß!) gestellt - eine Anlehnung an den Slogan "Make America Great Again" des früheren US-Präsidenten Donald Trump, dessen erklärter Anhänger Ministerpräsident Viktor Orban ist.

    Orban steht seit Jahren wegen der Aushöhlung der Demokratie in seinem Land in der Kritik und liegt mit Brüssel etwa bei der Migrationspolitik und der Unterstützung der Ukraine über Kreuz. Am 30.06.2024 kündigten die Chefs von Ungarns Fidesz-Partei, Österreichs FPÖ und Tschechiens ANO die Gründung einer neuen Rechtsaußen-Fraktion mit dem Namen Patriots for Europe (Patrioten für Europa) im Europaparlament an. (Quelle: AFP)

    Schlagabtausch zwischen Orban und von der Leyen

    Der Schlagabtausch zwischen Orban und von der Leyen steht exemplarisch für die Spaltung Europas. Bisher kannten wir dies vor allem aus Amerika, das Land kann sich auf nichts mehr einigen. Nun schwappt diese Stimmung immer mehr nach Europa.
    Es ist kein Zufall, dass Orban der größte Trump-Fan ist. Es ist kein Zufall, dass Orban sich gut mit Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi versteht. Er selber ist ein Autokrat, der die Demokratie im eigenen Land aushöhlt.

    Sie sind hier nicht willkommen.

    Grünen Fraktionschefin Terry Reintke

    Für das ganze Parlament kann die Grünen Fraktionschefin Terry Reintke nicht sprechen. Denn die Kräfteverhältnisse haben sich verändert. Der europäische Zeitgeist weht von rechts. Orbans Patrioten für Europa sind drittstärkste Fraktion im Parlament.
    Dieses vom Pressedienst des ukrainischen Präsidenten am 2. Juli 2024 veröffentlichte Foto zeigt den ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky (R) beim Händeschütteln mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban während dessen Besuch in Kiew inmitten der russischen Invasion in der Ukraine.
    Viktor Orban spaltet immer wieder die EU. Ungarn hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. 02.07.2024 | 3:06 min

    Abrechnung mit der politischen Mitte

    Selbstbewusst ist Orban aufgetreten. Er war ins Parlament eingeladen, weil sein Land die Ratspräsidentschaft innehat. Er nutzte diese Rede für eine Abrechnung mit den politischen Kräften der Mitte. Er will diese EU nicht, obwohl er an den Finanztöpfen Europas hängt. Ohne Brüssel-Hilfe könnte Orbans Wirtschaft nur schwer überleben. Darüber spricht er nicht.
    Der letzte Satz von Orban in seiner Antwort lautet: "Wir müssen die Demokratie vor der Linken schützen." Dann geht er vom Podium. Europas Demokratie wird nicht nur von außen bedroht, sondern nun auch von innen. Das hat Orbans Auftritt gezeigt.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

    Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.

    Mehr zum Thema