Mehr als 650.000 Menschen in den USA sind obdachlos, fast die Hälfte schläft im Freien. Ein Supreme-Court-Urteil erlaubt Städten, Schlafverbote im öffentlichen Raum durchzusetzen.
Die Zahl der Obdachlosen in den USA wird auf mehr als 650 000 Menschen geschätzt.
Quelle: AP
Auf Wohnungslose in den USA kommen in Zukunft noch härtere Zeiten zu. Der Oberste Gerichtshof urteilte nun, dass Städte Schlafverbote im öffentlichen Raum gegen Obdachlose durchsetzen dürfen - selbst in Gebieten an der Westküste, in denen es an Notunterkünften mangelt.
Die Entscheidung des neunköpfigen Richtergremiums fiel mit sechs zu drei Stimmen aus - entlang der ideologischen Linien: Die konservative Richtermehrheit sprach sich für die Entscheidung aus, die liberale Minderheit dagegen.
Immer mehr Menschen in den USA wohnungslos
Es ist die bedeutendste Entscheidung des Supreme Courts seit Jahrzehnten zum Thema Obdachlosigkeit. Sie fällt in eine Zeit, in der eine wachsende Zahl von US-Bürgern keinen festen Wohnsitz hat. Der Supreme Court gab damit einer Stadtverwaltung im US-Bundesstaat Oregon Recht, die Maßnahmen gegen Obdachlosencamps in öffentlichen Parks eingeführt hatte. Das Argument, wonach ein Verbot von Obdachlosencamps eine "grausame Bestrafung" darstelle, wies der Gericht zurück.
Im Stadtviertel Skid Row in Los Angeles leben Zehntausende Obdachlose und täglich wächst die Zahl.24.01.2024 | 9:07 min
Die Stadt Grants Pass in Oregon hatte den Supreme Court angerufen, nachdem ein Berufungsgericht 2022 zwei 2013 erlassene Dekrete aufgehoben hatte, die das "Campen" an öffentlichen Plätzen und in Fahrzeugen verboten hatten. Wer gegen die Vorschriften verstößt, muss mit Geldstrafen in Höhe von mehreren hundert Dollar und bei Wiederholung auch mit Gefängnisstrafen rechnen.
Liberale Richterin: "Schlaf ist kein Verbrechen"
"Obdachlosigkeit ist komplex. Ihre Ursachen sind vielfältig. Das gilt auch für die politischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um sie zu bekämpfen", schrieb der konservative Richter Neil Gorsuch. "Eine Handvoll Bundesrichter kann es nicht mit der kollektiven Weisheit des amerikanischen Volkes aufnehmen, wenn es darum geht zu entscheiden, wie eine dringende soziale Frage wie die Obdachlosigkeit am besten zu lösen ist." Er legte nahe, dass Menschen, die keine andere Wahl hätten, als im Freien zu schlafen, sich auf eine Art "Notwehr" berufen könnten, sollten sie mit Bußgeldern belegt oder anderweitig bestraft werden.
Stellvertretend für die liberale Minderheit am Supreme Court sagte Richterin Sonia Sotomayor: "Schlaf ist eine biologische Notwendigkeit, kein Verbrechen."
"Gefährlicher Präzedenzfall"
Fürsprecher wohnungsloser Menschen sagten, es verschlimmere die Obdachlosigkeitskrise, wenn es Städten erlaubt werde, Menschen zu bestrafen, die einen Platz zum Schlafen brauchten. So werde Obdachlosigkeit kriminalisiert. Diese Entscheidung schaffe einen "gefährlichen Präzedenzfall, der Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, unangemessenen Schaden zufügt und lokalen Beamten freie Hand lässt, die sinnlose und teure Verhaftungen und Inhaftierungen einer echten Lösung vorziehen", sagte Ann Oliva von der "National Alliance to End Homelessness".
Die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, sagte bei MSN, die Entscheidung sei nicht überraschend, aber enttäuschend.
"Beides wird nicht funktionieren, beides wird keine Leben retten, und dieser Weg ist für die Steuerzahler teurer, als das Problem tatsächlich zu lösen."
Bislang konnten Städte Camps regulieren, aber Menschen nicht das Schlafen im Freien untersagen. Die Zahl der Obdachlosen in den USA wird auf mehr als 650.000 Menschen geschätzt. Das ist die höchste Zahl seit Einführung einer jährlichen Stichtagserhebung im Jahr 2007. Fast die Hälfte der Betroffenen schläft im Freien.