Vergewaltigungsvorwurf: Weinstein erneut vor Gericht

#MeToo auf dem Prüfstand:Warum der Weinstein-Prozess neu aufgerollt wird

von Susanne Lingemann, New York
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Mit der Jury-Auswahl startet in New York der Vergewaltigungsprozess gegen den Ex-Hollywood-Mogul Harvey Weinstein neu. Ein Prozess, der als Meilenstein der #MeToo-Bewegung galt.

Harvey Weinstein sitzt im Gerichtssaal des New York State Court, wenige Tage vor Beginn seines Prozesses wegen sexueller Übergriffe. Er trägt einen dunklen Anzug und schaut ernst.
Harvey Weinstein (Mitte) erscheint im Rollstuhl vor dem New Yorker Gericht. Der frühere Hollywood-Produzent muss sich erneut wegen Vergewaltigungsvorwürfen verantworten.
Quelle: epa

Nachdem ein Berufungsgericht im April 2024 das Urteil gegen Harvey Weinstein aus dem Jahr 2020 aufgehoben hat, steht der inzwischen 72-jährige jetzt erneut vor Gericht. Die Vorwürfe gegen ihn sind altbekannt, doch die juristischen Vorzeichen sind neu.

Vorwürfe gegen Weinstein werden erneut geprüft

Im Jahr 2020 war Weinstein zu 23 Jahren Haft verurteilt worden, unter anderem wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Doch das Berufungsgericht hob die Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers auf: Der Richter habe zu Unrecht Aussagen von Zeuginnen zugelassen, deren Fälle nicht Gegenstand der Anklage waren, wie die der Schauspielerin Annabelle Sciorra.
Sie hatte unter anderem ausgesagt, von Weinstein vergewaltigt worden zu sein; die mutmaßliche Tat war zum Zeitpunkt des Prozesses verjährt. Ziel der Staatsanwaltschaft war es im damaligen Prozess gewesen, damit ein Muster sexuellen Fehlverhaltens darzustellen.
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Der Rechtsanwalt für Strafrecht Dwane Cates erklärt im Gespräch mit ZDFheute: "Das ist kein Rückschlag für #MeToo, sondern eher eine Selbstkorrektur des Systems. In einigen Fällen waren Staatsanwälte überambitioniert." Doch die Aufhebung des Urteils beweise weder die Unschuld von Weinstein noch, dass Zeuginnen die Unwahrheit gesagt hätten.

Schwierige Juryauswahl in Manhattan

Die größte Herausforderung des neuen Verfahrens liegt laut Cates in der Auswahl der Geschworenen. "Die ursprüngliche Verhandlung war ein globales Medienthema. Es wird schwer, in Manhattan eine Jury zu finden, die noch nie von Weinstein gehört hat."
Eine Verlegung des Verfahrens in einen anderen Gerichtsort sei zwar möglich, aber unwahrscheinlich - nicht zuletzt, weil Weinstein selbst ein schnelles Verfahren wolle. Ein Umzug würde den Prozessbeginn um mindestens einen Monat verzögern.
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Ob Weinstein diesmal bessere Chancen auf einen Freispruch hat? Cates bleibt vorsichtig optimistisch für die Anklage: "Statistisch gesehen gewinnt die Staatsanwaltschaft meist auch die Wiederaufnahmeverfahren. Aber bei Juryprozessen weiß man nie - jeder schaut noch mal genau auf die Transkripte und macht diesmal vielleicht alles anders."

Vorwurf der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung

Im Mittelpunkt stehen erneut die Aussagen dreier Frauen. Zwei von ihnen waren schon im ersten Prozess Zeuginnen der Anklage. Eine dritte Klägerin kam im September 2024 hinzu. Zwei der Klägerinnen werfen Weinstein vor, er habe sie 2006 in einem Hotelzimmer zum Oralsex gezwungen. Die dritte, die ehemalige Schauspielerin Jessica Mann, beschreibt eine Vergewaltigung im Jahr 2013.

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Besonders brisant: Der leitende Richter des Berufungsverfahrens, Curtis Farber, hatte zunächst untersagt, dass Mann den Begriff "Gewalt" in ihrer Aussage verwenden darf. Vergangene Woche revidierte er diese Entscheidung jedoch - nach erneuter Prüfung einschlägiger Urteile. "Es wäre unzumutbar, die Art und Weise einzuschränken, wie sie beschreibt, was ihr passiert, ist", so Farber laut Nachrichtenagentur AP.

Könnte Weinstein auf freien Fuß kommen?

Weinstein trat zuletzt im Rollstuhl vor Gericht auf. Sein Gesundheitszustand ist schlecht: Knochenmarkkrebs, Diabetes, Schlafapnoe, Herzkrankheiten. Die Folge: mehrere Krankenhausaufenthalte. In einer Anhörung sagte er: "Ich halte durch, weil ich Gerechtigkeit für mich will - und weil ich will, dass es endlich vorbei ist."
So oder so kommt Weinstein vorläufig nicht auf freien Fuß. In Kalifornien wurde er 2022 wegen eines anderen Falls zu 16 Jahren Haft verurteilt. Selbst ein Freispruch in New York würde daran nichts ändern. Er müsste diese zweite Haftstrafe verbüßen.

#MeToo: Ein Prozess mit Symbolkraft

Die Neuverhandlung ist ein Stresstest für das Justizsystem. Die #MeToo-Bewegung, die Weinstein als Symbolfigur für Machtmissbrauch entlarvte, steht auf dem Prüfstand. Der Gerichtssaal sei kein Ort für Bewegungen, wie #MeToo, mahnt die renommierte Strafverteidigerin Nicole DeBorde Hochglaube. "Er ist ein Ort für Recht und Gesetz."
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Wie groß die Symbolkraft dieses Prozesses noch ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Die Verhandlung ist auf vier bis sechs Wochen angesetzt. Ein Urteil wird frühestens Mitte Mai erwartet.
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