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Mysteriöse Gesundheitsprobleme:Steckt Russland hinter dem "Havanna-Syndrom"?
von Jan Schneider
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Seit Jahren klagen Hunderte US-Diplomaten über mysteriöse Gesundheitsprobleme. Mehrere Medien vermuten nun eine Spezialeinheit des russischen Militärgeheimdiensts als Auslöser.
Im kubanischen Havanna traten die ersten Fälle auf - daher der Name "Havanna-Syndrom".
Quelle: Imago
Seit 2016 haben immer wieder Mitarbeiter der US-Regierung über rätselhafte Beschwerden geklagt: Darunter waren Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit. Die Vorfälle wurden damals als "Havanna-Syndrom" bekannt, da die Ersten, die öffentlich über derartige Symptome klagten, US-Diplomaten waren, die in der kubanischen Hauptstadt lebten.
Später wurden auch Fälle in China, Kolumbien, Österreich und weiteren Ländern bekannt. Die Ursache der Beschwerden ist seitdem umstritten. Neue Recherchen mehrerer Medien vermuten nun eine Verbindung der Vorfälle mit dem russischen Geheimdienstes GRU.
Stecken gezielte Angriffe hinter den Beschwerden?
Kurz nach Bekanntwerden der ersten Fälle in Kuba schloss die US-Regierung einen Angriff mit Schallwellen oder vergleichbarer Strahlung auf die Botschaft nicht aus. Sieben US-Geheimdienste sollen seitdem weit mehr als Tausend der "anomalen Gesundheitsvorfälle" in Dutzenden Ländern überprüft haben. In den Berichten der Dienste aus den Jahren 2022 und 2023 änderte sich die Einschätzung: Demnach sei es "sehr unwahrscheinlich", dass ausländische Angriffe hinter den Symptomen steckten. Die gemeldeten Beschwerden seien stattdessen wahrscheinlich das Ergebnis von Vorerkrankungen, anderer Krankheiten oder Umweltfaktoren, heißt es dort.
Recherchen des "Spiegels" zusammen mit dem US-Investigativmagazin "60 Minutes" und dem russischen Onlineportal "The Insider" kommen jetzt zu einer anderen Einschätzung: Sie vermuten eine Spezialeinheit des russischen Militärnachrichtendienstes GRU als Auslöser für die Beschwerden.
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Was haben die Recherchen herausgefunden?
Die Teams der Medien haben mehrere Jahre zu den Hintergründen des "Havanna-Syndroms" recherchiert. Die vielversprechendste Spur führte nach Russland. Eine Auswertung von Geolokalisierungsdaten und Telefonverbindungen zeigte, dass sich mehrfach Mitglieder der auf Sabotage spezialisierten Einheit 29155 des GRU an Orten befunden haben, an denen kurz darauf US-Diplomaten oder deren Angehörige über gesundheitliche Beschwerden klagten.
Außerdem liegen den Medien E-Mails des ehemaligen stellvertretenden Kommandeurs der Einheit, Iwan Terentjew, vor. Darin fanden die Journalisten ein Projekt, das "potenzielle Einsatzmöglichkeiten von nicht-tödlichen akustischen Waffen bei Kampfhandlungen in städtischen Gebieten" erforschen sollte. Experten halten elektromagnetische Wellen für eine von mehreren plausiblen Erklärungen für die Symptome des "Havanna-Syndroms". Ein weiteres Indiz sei, dass viele der Betroffenen in ihrer Arbeit einen Bezug zu Russland gehabt haben.
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Was ist über die Spezialeinheit 29155 bekannt?
Die Einheit 29155, auch Gruppe 29155 genannt, ist eine Spezialeinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Sie wurde 2008 gegründet und ist spezialisiert auf verdeckte Operationen, Sabotage, Destabilisierung von Staaten und Mordanschläge im Ausland. Die Aktivitäten der Einheit 29155 sind oft schwer nachzuweisen, die russische Regierung bestreitet ihre Existenz.
Recherchen der Investigativ-Plattform Bellingcat konnten der Einheit mehrere Attentate und Anschläge zuordnen. Darunter der Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter in Salisbury in Großbritannien oder die Vergiftung eines bulgarischen Waffenhändlers im Jahr 2018. Der Einheit wird aber auch vorgeworfen, Staaten wie etwa die Republik Moldau systematisch zu destabilisieren. Auch beim gescheiterten Putsch in Montenegro 2016 soll die Gruppe eine Rolle gespielt haben.
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Gab es auch schon Fälle des "Havanna-Syndroms" in Deutschland?
Tatsächlich gab es in Deutschland schon zwei Jahre vor den Ereignissen in Kuba Hinweise auf ungewöhnliche Gesundheitsbeschwerden. Der US-Diplomat Marc Lenzi war 2014 in Frankfurt am Main für seine Regierung im Einsatz. Er berichtet im "Spiegel" von mehreren Vorfällen, bei denen manche Betroffene sogar bewusstlos zusammengebrochen seien. Auch zu diesem Zeitpunkt sollen sich laut den Medienberichten Mitglieder der GRU-Einheit in Frankfurt aufgehalten haben.
Quelle: Mit Material von dpa
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