Ukraine-Krieg: "Sind am gefährlichsten Punkt des Krieges"
Interview
Ex-US-Botschafter in der Ukraine:"Wir sind am gefährlichsten Punkt des Kriegs"
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Die sinkende Hilfe für die Ukraine hält John Herbst, ehemaliger US-Botschafter in Kiew, für einen fatalen Fehler des Westens. Aber auch Russland zeige aufsehenerregende Schwächen.
Der ehemalige US-Botschafter in Kiew, John Edward Herbst, kritisiert die abnehmende Unterstützung westlicher Staaten für die Ukraine.
John E. Herbst: Ich denke, wir sind am gefährlichsten Punkt des Kriegs, seit die Russen vor fast zehn Jahren die Krim gestohlen haben. Und zwar wegen des Geschehens in Washington. Wenn wir nicht weiterhin große wirtschaftliche und vor allem militärische Hilfe leisten, wird die Position der Ukraine erheblich geschwächt. Aber genau diese Unterstützung ist in Gefahr. Ich denke, dass wir in den nächsten zwei Monaten eine Einigung sehen werden. Aber ich weiß es nicht. Und das ist das Problem.
ZDFheute: Schon jetzt bekommt die Ukraine weniger Hilfe, als die EU und die USA versprochen hatten. Wie macht sich das bemerkbar?
Herbst: Meiner Meinung nach ist das Gerede über die Lage an der Front zu düster. Angesichts der mangelnden Bereitschaft der USA und anderer wichtiger Nato-Länder, reichweitenstarke Waffensysteme in ausreichender Zahl zu liefern, war nicht zu anzunehmen, dass die Ukraine mehr als ein paar hundert Quadratkilometer befreit. Und das haben sie getan.
Quelle: ZDF
... blickt auf eine lange Laufbahn im US-Außenministerium zurück. Nach Stationen in Tel Aviv, Moskau, Riad und Taschkent war der 71-Jährige von 2003 bis 2006 Botschafter in der Ukraine. Heute ist Herbst Direktor des Eurasien-Zentrums der Denkfabrik "Atlantic Council".
ZDFheute: Sie machen für den ausbleibenden Fortschritt die westlichen Politiker verantwortlich?
Herbst: Ein Teil von ihnen hat falsch eingeschätzt, wie dringend die Ukraine auf Raketen mit größerer Reichweite, auf moderne Kampfpanzer und auf die F16-Jets angewiesen ist. Was die ukrainischen Streitkräfte zu leisten vermögen, sieht man auf dem Meer. Dort haben sie spektakuläre Erfolge erzielt und die Schwarzmeerflotte von der Krim vertrieben. Wenn man das berücksichtigt, ist die Situation nicht so gut, wie sie sein sollte, aber auch nicht schrecklich.
Herbst: Auch Russland hat versucht, eine Offensive zu starten und sehr, sehr viele Truppen verloren. Wir haben Geheimdienstinformationen, die darauf hindeuten, dass mehr als 300.000 russische Soldaten verletzt oder getötet sein könnten. Das wären aufsehenerregende Zahlen.
ZDFheute: Falls die Hilfe der USA ausbleibt: Wären die anderen westlichen Länder überhaupt in der Lage, sie zu ersetzen?
Herbst: Ich habe keinen Zweifel daran, dass erhebliche Ressourcen für die Ukraine mobilisiert werden können, wenn man erst einmal erkennt, wie gefährlich ein russischer Sieg in der Ukraine wäre. Es ist unmöglich, die Hilfe zu ersetzen, die die USA zugesagt haben, aber es ist möglich, auch dann die Glaubwürdigkeit der ukrainischen Verteidigung aufrechtzuerhalten. Ich würde gern sagen, dass die Ukraine gewinnen soll, aber ich sage, sie soll zumindest nicht verlieren.
ZDFheute: Wie lange könnten das die anderen Staaten ohne die USA durchhalten?
Herbst: Das ist die Frage. Eine Entwicklung, in der die Unterstützung der USA endet und die Europäer einspringen müssen, wäre natürlich enorm negativ. Wenn das zwei Monate oder länger anhalten würde, glaube ich aber, dass Amerika seine Politik noch einmal überdenken würde. Aber das ist natürlich hypothetisch.
ZDFheute: Bundeskanzler Scholz hat bereits erklärt, dass Deutschland zu zusätzlicher Hilfe bereit sei, falls die USA ausfallen. Halten sich andere Staaten wie Frankreich zu sehr zurück?
Herbst: Wenn Wladmir Putin in der Ukraine gewinnt, würde das Europa ernsthaft destabilisieren. Ich bin mir sicher, die meisten Regierungen in Europa haben das verstanden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob alle Regierungen so handeln.
Das Interview führte Andreas Kynast, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
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