35 Jahre Paneuropäisches Picknick:Was wurde aus dem Spirit von damals?
von Christian von Rechenberg, Sopron (Ungarn)
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Im August 1989 öffnete Ungarn den Eisernen Vorhang. Hunderte DDR-Bürger flohen, der Ostblock kollabierte. Ungarns Weg in die EU begann - feiern will das trotzdem kaum einer.
Vor 35 Jahren bekam der Eiserne Vorhang erste Risse. An der ungarischen Grenze zu Österreich wurde ein Picknick veranstaltet und verhalf urlaubenden DDR-Bürgern zur Flucht.19.08.2024 | 1:49 min
Die Gedenkstätte "Paneuropäisches Frühstück" ist ein weitläufiges Gelände, direkt an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich, nördlich der kleinen Stadt Sopron. Hier stehen noch ein paar Meter vom alten Stacheldrahtzaun und ein Stück der Berliner Mauer. Ein Pavillon aus Holz und viele Bänke - wo heute Radfahrer picknicken. "Das eigentliche Picknick", sagt László Nagy, "fand gar nicht hier statt, sondern ein paar hundert Meter da hinten. Aber da ist heute alles zugewachsen."
László Nagy ist einer der wichtigsten Zeitzeugen des Paneuropäischen Picknicks, denn er hat es damals mit weiteren Oppositionellen ins Leben gerufen: Ein Picknick, bei dem es Brote, Suppe, Tee und Bänke gab, das als Sit-In den paneuropäischen Gedanken verkörpern sollte.
DDR-Bürger wollten nicht warten
"Ungarn hatte im Mai bereits begonnen, den Eisernen Vorhang abzubauen", sagt Nagy, "doch kaum jemand hat darüber berichtet." Die Grenzanlage war den Ungarn schlicht zu teuer geworden und der Ostblock begann bereits zu bröseln. Ungarn wollte testen, wie weit es gehen kann, wie Gorbatschow reagieren würde. Nagy sah die historische Chance und versuchte, so viele Menschen wie möglich dorthin zu bringen. Die Idee des Picknicks war geboren. Gleichzeitig sorgten die Veranstalter dafür, dass möglichst viele Menschen in der DDR davon Wind bekamen. Schon Tage zuvor belagerten sie Seen und Campingplätze rund um Sopron.
Anfang Mai 1989 beginnt Ungarn, den Grenzzaun nach Österreich abzubauen. Immer mehr DDR-Flüchtlinge wollen über diesen Weg in den Westen gelangen. 06.10.2011 | 3:22 min
Das Picknick fand am 19.8.1989 statt und sollte einen spektakulären Höhepunkt haben, die symbolische Öffnung des Grenztors am Nachmittag. Doch die DDR-Bürger wollten so lange nicht warten. In mehreren Wellen drangen sie durch das Tor, die Bilder gingen um die Welt. Eine Massenflucht, die nicht mehr aufzuhalten war. Zwar war die Grenze offen, aber dennoch bewacht. Ungarns Grenzsoldaten hätten schießen müssen, doch der wachhabende Offizier, Árpád Bella, ließ die Menschen durch.
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Von der EU enttäuscht
Der Rest ist Geschichte. Drei Monate später fiel die Berliner Mauer. Ungarn begann seinen Weg nach Europa. Heute, sagt Nagy, würde er das Picknick nicht noch einmal veranstalten. Er ist enttäuscht. "Als Ungarn in die EU aufgenommen wurde, war es eine ausgezeichnete Organisation", sagt er, "heute ist es ein völlig anderes Europa". Eines, dass die Ungarn überfordere. Nagy meint damit Themen wie Migration oder den Krieg in der Ukraine. Themen, bei denen die Ungarn anders entscheiden wollen, als die EU. Die Ungarn seien noch nicht reif für soviel Veränderung, es gehe zu schnell.
Dass Ungarns autoritärer Machthaber Orbán ebenfalls großen Anteil daran hat, dass Europa und Ungarn heute mehr trennt als vereint, bestreitet Nagy nicht. Orbán hält die EU seit Jahren am Gängelband, nimmt die EU-Gelder - ihre Regeln aber will er nicht. Statt nach Westen öffnet Orban Ungarn nach Osten, nach Russland und China. Trotzdem, sagt Politikexperte Zoltan Ranschburg, sehen die meisten Ungarn noch immer ihre Zukunft im Westen. Doch sie folgen Orbán, wenn es um Themen geht, wo sie lieber souverän entscheiden wollen. Ein Teufelskreis.
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EU und Ungarn - schwieriges Verhältnis
Mehr Verständnis, sagt Nagy, würde helfen. Die Ungarn wollen die EU, aber sie wollen auch von ihr besser behandelt werden. Weniger Schelte, mehr Dialog. Dass das angesichts der aktuell verhärteten politischen Fronten schwierig ist, weiß auch er. Trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf, dass der alte Spirit, für den er damals sogar seine Freiheit aufs Spiel gesetzt hat, wiederkommt.
Und Árpád Bella, der damalige Grenzschützer, pflichtet ihm bei. "Das alte Gefühl kann auch wiederkehren, wenn wir immer wieder in die Vergangenheit blicken und diese Ereignisse mehrmals analysieren." Dann, so Bella, könne man künftigen Generationen am besten zeigen, was passiert, wenn man nicht den friedlichen Weg, den ohne Grenzen geht.
Christian von Rechenberg ist Korrespondent im ZDF-Studio Südosteuropa.
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Quelle: ZDF
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