US-Waffen gegen Ziele in Russland? Was Kiew davon hätte
Analyse
Gegen Ziele in Russland:US-Waffen: Warum Kiew auf die Freigabe hofft
von Kevin Schubert
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Es ist ein Tabu im Ukraine-Krieg: westliche Waffen gegen Ziele in Russland. Kiew hofft, dass diese Einschränkung bald wegfällt. Aber was würde man dadurch gewinnen?
Das mobile Raketensystem HIMARS könnte auch gegen Stellungen in Russland eingesetzt werden (Archivbild).
Quelle: AP
Für den Militärexperten Nico Lange war es "von vornherein eine sinnlose, militärische Selbstbeschränkung" des Westens. "Warum sollen sich Städte wie Charkiw und Sumy beschießen lassen, ohne die Artilleriestellungen auf russischer Seite mit allen verfügbaren Waffen angreifen zu dürfen?", fragt der Senior Fellow der Münchener Sicherheitskonferenz.
Doch die Realität sah bislang anders aus: Die Ukraine durfte die Waffen des Westens nur bei der Verteidigung der Front und zur Rückeroberung besetzter ukrainischer Gebiete einsetzen. Angriffe gegen Ziele in Russland musste die Ukraine mit eigenen Waffen durchführen - die vom Westen gelieferten Systeme waren tabu. Zu groß die Sorge der Ukraine-Unterstützer, selbst als Kriegspartei zu gelten.
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Angriffe gegen Ziele in Russland: Großbritannien lässt Ukraine entscheiden
Dass diese "Selbstbeschränkung" nun erstmals aufgehoben wurde, liegt an Großbritannien. Anfang Mai hatte der britische Außenminister David Cameron bei einem Besuch in Kiew betont, die Ukraine entscheide, wie sie die gelieferten Waffen des Vereinigten Königreichs einsetze. Kremlsprecher Dimitri Peskow verurteilte Camerons Aussage umgehend.
Für Verwirrung sorgte diese Woche auch US-Außenminister Anthony Blinken. Er sagte bei einer Pressekonferenz in Kiew:
Militärexperten wie Nico Lange oder Stefan Meister sehen darin mindestens eine Aufweichung der bisherigen US-Politik.
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"Wir haben unsere Position nicht geändert", sagte dagegen eine Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. "Wir sind der Meinung, dass die Ausrüstung, die Fähigkeiten, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen, genutzt werden sollten, um ukrainisches Hoheitsgebiet zurückzuerobern."
Was aber würde die Ukraine überhaupt durch die Option gewinnen, alle gelieferten Waffen auch gegen Ziele in Russland einsetzen zu können?
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Die aktuelle Lage: Ukraine "massiv unter Druck"
"Die Ukraine ist massiv unter Druck", sagt Stefan Meister, Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
"Europa liefert nicht, was die Ukraine jetzt bräuchte." Waffenlieferungen im Rahmen des neuen US-Hilfspakets verzögerten sich. "Russland nutzt dieses Zeitfenster, um so nah wie möglich an die zweitgrößte Stadt der Ukraine Charkiw heranzukommen, maximale Gebietsgewinne im Osten zu erzielen und so viel Energie-Infrastruktur wie möglich zu zerstören."
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Dass die Ukraine in so einer Situation mit allen verfügbaren Waffen auch russisches Territorium angreifen könnte, wäre für Meister wie auch für Nico Lange eine "überfällige Entscheidung".
Wie die Ukraine US-Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen könnte
Für die Ukraine gehe es aktuell darum, "Russland bereits auf eigenem Territorium daran zu hindern, die Ukraine überhaupt erst anzugreifen", sagt Politikwissenschaftler Meister. "Dabei geht es darum, die Front zu entlasten." Er und Lange nennen zahlreiche Ziele auf russischer Seite, die dafür in Frage kämen:
Grenznahe Truppenbewegungen
Stellungen auf russischer Seite, etwa Artillerie oder Flugabwehrsysteme
Nachschub und Versorgungsrouten, etwa Eisenbahnbrückenköpfe
Strategische Infrastruktur, etwa Produktionsstätten oder Treibstoffdepots
Militärische Infrastruktur, etwa Abschussrampen, Flugfelder oder Munitionslager
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Was die Ukraine durch westliche Waffen gewinnen würde
Wenn die Ukraine bei Charkiw und Sumy auch Stellungen auf russischer Seite angreifen könne, "macht das schon einen Unterschied", sagt Nico Lange. US-Waffen wie ATACMS-Raketen oder der Mehrfachraketenwerfer HIMARS veränderten die qualitativen Möglichkeiten der Ukraine. Wenn die Ukraine mit diesen Systemen Ziele in Russland angreife, "wird das die russische Kriegsführung verändern", schätzt Lange.
Auch Stefan Meister betont die "andere Reichweite und Durchschlagskraft" einiger westlicher Waffensysteme. Zudem erweiterten die britischen und amerikanischen Waffen das Arsenal der Ukraine, vor allem, wenn die neuen US-Lieferungen einträfen. "Die Produktionskapazitäten der Ukraine allein reichen nicht aus, um genügend Drohnen und Munition herzustellen - da müsste auch Deutschland der Ukraine noch stärker helfen", sagt Meister.
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Sowohl Lange als auch Meister dämpfen allerdings zu hohe Erwartungen. "Das wird nicht kriegsentscheidend sein", sagt Meister. "Es kann aber den Druck Russlands auf die Ukraine, auf die ukrainische Infrastruktur abmildern", schätzt er. "Solche Entlastungsangriffe geben der Ukraine Zeit, um sich stärker neu zu mobilisieren, um mehr Munition und Abwehrsysteme zu bekommen - und möglicherweise irgendwann wieder eine Offensive starten zu können."
Was eine US-Erlaubnis für den deutschen Kurs bedeuten würde
"Es wäre sinnvoll, wenn auch Deutschland die Beschränkung auf ukrainisches Territorium aufheben würde", sagt Militärexperte Lange. Das müsse die Bundesregierung nicht einmal so direkt formulieren. "Wir könnten wie die Briten sagen: 'Die Ukraine entscheidet, wie sie unsere Waffen einsetzt’", schlägt Lange vor.
Politikwissenschaftler Meister glaubt zudem, dass auch der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wieder steigen könnte. Er habe seine Entscheidungen oft an die Führung der USA gekoppelt, sagt Meister. "Die anderen Unterstützer der Ukraine, aber auch Taurus-Befürworter innerhalb der Bundesregierung, können Scholz' Argumentation dann in Frage stellen", sagt der Experte.
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Dass sie damit Erfolg haben könnten, bezweifelt ZDF-Hauptstadtkorrespondent Andreas Huppert aber. "Es gibt ein klares 'Nein' des Kanzlers", sagt Huppert. "Er sieht mit der Lieferung von Taurus eine Eskalationsstufe, die Marschflugkörper könnten zu weit auf russisches Gebiet gelangen." Auch wenn Scholz zu wenig erkläre, warum er das so bewerte: die Devise bleibe, auf keinen Fall Kriegspartei werden zu wollen.
Helfen, glaubt Huppert, könne Scholz vor allem der Hinweis auf die bislang zur Verfügung gestellten Militärhilfen im Wert von 28 Milliarden Euro. "Der Kanzler verweist immer darauf, dass Deutschland nach den USA die größte militärische Unterstützung leistet."
Mitarbeit: Anna Kleiser, Korrespondentin im ZDF-Studio Washington.
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