Ukraine-Krieg: Minenräumung wichtig für die Landwirtschaft
Kornkammer Europas bedroht:Ukraine: Ohne Entminung keine Landwirtschaft
von Henner Hebestreit, Charkiw
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38 Milliarden Dollar soll die Entminung ukrainischer Felder kosten - und Jahre dauern. Landwirte haben weder die Zeit noch das Geld. Und greifen zu lebensgefährlichen Mitteln.
Seit dem russischen Angriff hat die Ukraine ein gewaltiges Problem mit Minen. Die Weltbank schätzt, dass ihre Beseitigung etwa 38 Milliarden Dollar kostet – und Jahrzehnte dauern wird.03.04.2024 | 2:37 min
Minen belasten in der Ukraine viele Felder und töten oder verletzen selbst dort noch Menschen, wo die Kämpfe längst vorbei und die Russen abgezogen sind. Die Weltbank schätzt, dass die Beseitigung der Minen in der Ukraine etwa 38 Milliarden Dollar kosten und Jahre dauern wird. Da kein Landwirt in dieser Kornkammer der Welternährung Zeit hat, so lange zu warten, setzen sie mit teils eigentümlichen Methoden das eigene Leben im Kampf gegen die Minen aufs Spiel.
Minen entschärfen unter Lebensgefahr
Auf einem Feld südöstlich von Charkiw kniet Svitlana Solomentsewa auf dem matschigen Boden und folgt einem intensiv trainierten Ritual: Auf einem genau markierten Stück Erde stochert sie vorsichtig im Boden herum.
Ihr Metallsuchgerät hat angeschlagen: Mutmaßlich ist sie auf Trümmer eines Treckers gestoßen, der hier auf eine Panzermine gefahren und in zahllose Teile zerborsten auf dem Feld liegt. Vielleicht ist es aber auch eine weitere Mine.
Damit das Böse ihr und ihren Kolleg*innen nichts anhaben kann, folgen die mehr als tausend Mitarbeitenden der international agierenden NGO HALO Trust einem strengen Protokoll, während sie eine Mine nach der anderen entschärfen. "Es dauert so lange, wie es eben dauert", sagt Duncan Cradden, der für HALO Trust hier verantwortlich ist.
"Wir arbeiten schnell und effizient, aber Sicherheit geht vor. Wir schaffen pro Person etwa 20 bis 30 Quadratmeter am Tag, je nach Bodenbeschaffenheit."
Durch den Angriffskrieg ist der Getreidetransport weitgehend lahmgelegt. Die Ukraine will den Hafen in Mykolajiw wieder nutzen – doch dazu bräuchte es ein Abkommen mit Russland.04.04.2024 | 1:31 min
Landwirte sterben bei der Minenentschärfung
Vielen Landwirten geht das nicht schnell genug. Sie müssen Steuern und Pacht zahlen, haben kein Einkommen und sind zur Ernte verdammt. "Ich verstehe, dass HALO wenig Personal und Ausrüstung hat, verstehe, dass sie gewissenhaft vorgehen und dass sie jeden Zentimeter umgraben. Bei diesem Tempo wird es aber Jahre dauern", klagt Oleg Kyiko vom Agrarunternehmen Werbiwske.
In ihrer Verzweiflung haben sich Kollegen von ihm schon selbst ans Werk gemacht, ausgestattet mit YouTube-Tutorials. Die traurige Bilanz: Allein in seinem Ort gab es dabei schon drei Tote.
"Unvorstellbar, was die Leute hier mitmachen", berichtet ZDF-Reporter Henner Hebestreit aus der Ukraine. 02.04.2024 | 2:34 min
Schnelles De-Mining als Wirtschaftsrettung
Mykhailo Ryzak vom ukrainischen Agrarriesen Nibulon Great hat einen anderen Weg: Das Unternehmen bewirtschaftet in der Ukraine 75.000 Hektar, gut 5.000 galten als belastet mit Explosivmaterial. Sein Unternehmen hat knapp fünf Millionen Euro in die Minenbeseitigung gesteckt, weitere fünf Millionen kommen aus Deutschland - genügend Mittel also, um mit professionellen Entminungsmaschinen die betroffenen Felder durchzupflügen.
Die Geräte arbeiten ferngesteuert und sind gepanzert - jede schafft am Tag etwa so viel Fläche, wie ein fünfköpfiges Minenräumteam in einem Monat. Für Ryzak ist schnelles De-Mining der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung der Ukraine:
Er räumt ein, dass ohne massive finanzielle Unterstützung kleinere ukrainische Landwirte keine Chance haben werden, auf ihren Flächen sicher zu produzieren.
Zwei Jahre nach der Befreiung der ukrainischen Stadt Butscha sind viele Menschen noch immer tief traumatisiert. Der Wiederaufbau läuft, doch die Trauer bleibt.
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Henner Hebestreit ist Leiter des ZDF-Landesstudio Schleswig-Holstein und Korrespondent für Nordeuropa.