Türkei: Wie Erdogans Justiz die Opposition einschränkt

"Ich bedauere, sagen zu müssen, dass dem Willen der Nation ein Schlag versetzt wird," sagt Ekrem Imamoglu, während er sich im Ankleidezimmer seines Istanbuler Hauses die Krawatte bindet. Kurz darauf geht die Videobotschaft auf der Plattform X viral, während ein Großaufgebot der Polizei sein Haus durchsucht und den Oppositionspolitiker festnimmt. Man stehe im Angesicht einer großen Tyrannei, schreibt Imamoglu, "aber wir werden nicht aufgeben."

Es ist der erneute Versuch, einen der wichtigsten Gegenspieler von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Schweigen zu bringen. Imamoglu sollte eigentlich am kommenden Sonntag von seiner Partei, der kemalistischen CHP, zum Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl in der Türkei im Jahr 2028 gekürt werden.

Doch seit langer Zeit schon versuchen die regierende AK-Partei von Präsident Erdogan und eine oft politisch agierende Justiz Imamoglus Aufstieg zu verhindern. Die wichtigsten Fragen zum Fall erklärt.

Ja. So wurde Imamoglus geplante Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2023 durch ein Politikverbot und ein Hafturteil verhindert. Gegen diese Entscheidungen ging er juristisch vor, konnte darum bei der Kommunalwahl im Jahr 2024 antreten und zum zweiten Mal nach 2019 das mächtige Amt des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul gewinnen. Von dieser Position aus wollte er nun einen zweiten Versuch unternehmen, die Präsidentschaft Erdogans bei der Wahl in drei Jahren anzugreifen.

Die Vorwürfe gegen Imamoglu und zahlreiche andere, im Zuge der groß angelegten Polizeiaktion Festgenommene, wiegen schwer: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Bestechung, Korruption, Ausschreibungsmanipulation. Die Vorwürfe seien politisch motiviert, kritisiert der CHP-Vorsitzende Özgür Özel und spricht von einem "Staatsstreich" gegen einen demokratisch gewählten Politiker.

Dass eine Festnahme kurz bevorsteht, hatte sich in den vergangenen Tagen angedeutet. So wurde erst am Dienstag Imamoglus Hochschulabschluss an der Istanbul-Universität aberkannt. Der akademische Abschluss ist eine Voraussetzung für die mögliche Präsidentschaftskandidatur. Unregelmäßigkeiten in Bezug auf seinen Universitätsabschluss wurden bereits seit einem Jahr kolportiert. Einer von vielen Angriffen auf die Glaubwürdigkeit von Erdogans politischem Gegner.

Nun also die Festnahme aufgrund eines Haftbefehls der Istanbuler Staatsanwaltschaft. Die wird seit dem vergangenen Jahr von einem Mann geleitet, der im Ruf steht, konsequent gegen politische Gegner Erdogans vorzugehen. Akim Gürlek gilt als Protegé des Präsidenten, der ihm einen atemberaubenden Aufstieg ermöglichte. In verschiedenen Funktionen als Chef des Obersten Gerichtshofes, stellvertretender Justizminister und nun Generalstaatsanwalt von Istanbul zeichnet der gerade mal 43-jährige Jurist für zahlreiche Urteile gegen Oppositionelle verantwortlich.

Unter der Verantwortung Gürleks ergingen Urteile gegen zahlreiche prominente CHP-Politiker wie Canan Kaftancioglu und Enis Berberoglu. Gürlek war beteiligt an der Inhaftierung von Journalisten und der Verurteilung von Menschenrechtlern wie Sebnem Korur Fincanci. Nicht zuletzt war Gürlek an der Verurteilung des populären kurdischen Politikers Selahattin Demirtas beteiligt. Für die Opposition ist Gürlek die "mobile Guillotine" Erdogans, der Mann, der die Gegner des Präsidenten mit juristischen Mitteln aus dem Weg räumt.

Der im Berliner Exil lebende türkische Journalist Can Dündar bezeichnete die Festnahme Imamoglus als lange vorbereiteten "Putsch". "Erdogan eifert Putin nach und versucht, mit dessen Taktiken an der Macht zu bleiben," so Dündar. Dündar ist selbst ein Opfer der politischen Justiz Erdogans und des Generalstaatsanwalts Gürlek.