Tschechien und Slowakei: Warum die EU-Euphorie nachlässt

    Sicherheit und Menschenrechte:Neue Autokraten bedrohen die Freiheit der EU

    von Laura Meyer
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    2004 versprach der EU-Beitritt zehn Staaten mehr Freiheit und Sicherheit. Eine tschechische Landwirtin und ein slowakischer LGBT-Aktivist erzählen, was die EU ihnen bedeutet.

    Fahnen der EU-Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Parlament in Brüssel
    Mit der EU kamen für die Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei Sicherheit und Freiheit. Doch wie steht es um die Europa-Euphorie?
    Quelle: dpa

    Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein: die tschechische Landwirtin Zlata Ronzová Mádrová kümmert sich mit ihrem Mann um 67 Hektar Land und 70 Kühe, der slowakische Aktivist Roman Samotný kämpft in der Großstadt Bratislava für die Rechte der queeren Community. Doch eines vereint sie: Ohne die Europäische Union könnten sie ihr Leben so nicht gestalten. Beide sind in der Tschechoslowakei geboren, leben aber heute in deren Nachfolgestaaten Tschechien und der Slowakei.
    Soldaten auf Pferden zu Fuß. Politiker im Vordergrund mit großem auslandsjournal Logo
    Europa war für Ungarn, Slowenen, Tschechen und Slowaken das Versprechen von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Was ist daraus geworden, was hat sich in 20 Jahren EU verändert?25.04.2024 | 44:15 min

    Bis Ende 1992 waren Tschechien und die Slowakei ein Staat: die Tschechoslowakei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 nahmen in der kleineren Teilrepublik Slowakei Bestrebungen nach Unabhängigkeit auf. 1992 kam es schließlich zu einer Abstimmung im Parlament und seit dem 1.1.1993 sind die beiden Staaten offiziell geteilt. Beide traten gleichzeitig am 1.Mai 2004 der Europäischen Union bei. Außerdem traten Polen, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta 2004 bei. Es war die bisher größte Erweiterung der Staatengemeinschaft.

    Osterweiterung: So sah die EU 2004 aus
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    Ein Leben unter neuen Autokraten

    In der Slowakei wurde einer der größten politischen Gegner der queeren Community gerade wiedergewählt. Robert Fico, auf dem Papier ein Sozialdemokrat, ist seit September 2023 wieder slowakischer Ministerpräsident. 2015 hatte ein Korruptionsskandal ihn zu Fall gebracht. Kaum ein Jahr im Amt, schon hat er die Korruptionsstaatsanwaltschaft abgeschafft, hat Fördergelder für Projekte der LGBTI+ Community streichen lassen und plant nun, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzulösen. Aktivist Roman Samotný fürchtet einen Abbau von Toleranz und Transparenz. Er hofft auf die Hilfe der EU und konkrete Sanktionen gegen Robert Fico - die blieben bisher aus.

    Ich denke, die Situation ist ernst und die EU muss etwas unternehmen, um das zu stoppen. Denn wir sehen ja wohin das führt in Ungarn und ich denke wir sind auf dem gleichen Weg.

    Roman Samotný, LGBT-Aktivist

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    EU als Garant für Sicherheit und Menschenrechte

    Bratislava im Februar 2024. Der 40-jährige Samotný gibt seinen Traum auf, die Teplaren-Bar in der Innenstadt Bratislavas. 2022 wurden hier zwei queere Jugendlichen von einem Terroristen erschossen. Samotný ertrug den Ort nicht mehr. Es war die bisher einzige Terrorattacke in der Slowakei und sie traf die queere Community ins Herz.
    Die Welle der Solidarität nach dem Anschlag ist längst verebbt - knapp 60 Prozent der Slowaken finden, dass homosexuelle Menschen nicht die gleichen Rechte haben sollten, wie heterosexuelle. Und die Regierung beförderte das im Wahlkampf mit Hetze gegen sexuelle Minderheiten.
    Um dem etwas entgegenzusetzen, gründete Roman Samotný ein Communityzentrum, ein sicherer Zufluchtsort. Von der Regierung bekommt er dafür keine Unterstützung. Die EU hält dagegen - oder sie sollte es, meint er.

    Ich bin wirklich dankbar für die Europäische Union, denn ich halte sie für einen wichtigen Rahmen, der einige Standards von Menschenrechten erhält.

    Roman Samotný, LGBT-Aktivist

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    Nahe Štětovice, in der ländlichen Region Böhmen in Tschechien, hat sich Landwirtin Zlata Ronzová Mádrová ihren Traum erfüllt: 70 Kühe, 67 Hektar Land, ein kleiner Hofladen mit Café und viel Raum, um Kindern Landwirtschaft näherzubringen. Schulklassen besuchen den Hof regelmäßig. Ohne die Hilfen der EU wäre dieser Traum nicht in Erfüllung gegangen. Die EU sei dabei Fluch und Segen zugleich.

    Sobald man einen EU-Zuschuss annimmt, ist man verschuldet. Weil man ja einen Kredit von der Bank braucht, denn wer hat schon Millionen in der Tasche um etwas zu kaufen.

    Zlata Ronzová Mádrová, Landwirtin

    großes Auslandsjournal a im Vordergrund, daneben Frau steht mit Handy neben der Ladefläche von einem LKW
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    Mit der EU kam die Bürokratie

    Die 37-jährige Landwirtin arbeitet manchmal 14 Stunden am Tag, ohne Pause. Tagsüber die Kühe, abends kommt dann die Bürokratie. Sie ist die Expertin für Alles: "Jeder denkt, dass es auf dem Bauernhof eine Person gibt, die sich nur um den Papierkram kümmert. Nein! Wir können uns das nicht leisten! Bei den Kosten, bei den Einnahmen". Durch den Krieg in der Ukraine sind ihre Kosten nochmal gestiegen.
    Ihre neuste Idee: eine Kooperation mit einem Supermarkt, um dort ihre Produkte zu verkaufen. Sie wünscht sich, dass die EU mehr für Regionalität tun würde. Überhaupt müsse sich in der Landwirtschaft viel verändern. Es sei ein hartes Leben, immer an der Grenze von Kraft und Existenz.

    Die Kunden, die Verbraucher haben die ganze Macht, er bestimmt, was es gibt und was es kostet. Die Menschen müssen persönliche Verantwortung dafür übernehmen, was sie essen und was sie unterstützen.

    Zlata Ronzová Mádrová, Landwirtin in Tschechien

    Die Euphorie ist vorbei

    Sowohl für den Aktivisten Roman Samotný als auch für Zlata Ronzová Mádrová ist die EU der Rahmen, der alles zusammenhält. Er gibt ihnen Perspektive und prägt ihre Leben. Sie wünschen sich Veränderungen in der EU, aber ganz ohne EU geht es auch nicht, meinen sie. Die Europa-Euphorie aber hat nachgelassen.

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