Posten für Frauen und Islamisten:Wer sind die neuen Machthaber in Syrien?
von Nils Metzger
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Die syrische Übergangsregierung ordnet die Machtverhältnisse neu. An wen vergibt Machthaber Ahmed al-Scharaa die wichtigsten Ämter? Was sagt das über die Pläne der Islamisten aus?
Syriens neuer Machthaber Ahmed al-Scharaa hat seine Übergangsregierung und weitere wichtige Ämter bestimmt. Was sagt das über seine Pläne aus?
Quelle: afp
Über 50 Jahre lang bestimmte der Assad-Clan das politische System Syriens. Er positionierte Vertraute und Familienmitglieder an vielen Schalthebeln der Macht. Mit dem Ende Baschar al-Assads müssen diese Posten neu besetzt werden.
In den vergangenen Tagen haben die neuen Machthaber um den islamistischen Milizführer Ahmed al-Scharaa bereits erste Personalentscheidungen bekanntgegeben. Machen sie Hoffnung für ein neues Syrien - oder sind sie düstere Vorzeichen?
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Wer steht künftig an der Spitze Syriens?
Sehr viele Fragen zur politischen Zukunft Syriens sind noch ungeklärt. Dabei geht es um die Verfassung, Freiheitsrechte und mögliche Wahlen. Aktuell formiert sich eine Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa, dem Anführer der Oppositionsmiliz HTS, die, unterstützt von der Türkei, seit vielen Jahren die Provinz Idlib kontrollierte.
Vergangene Woche sprach al-Scharaa davon, dass es bis zu vier Jahre dauern könnte, bis man Wahlen abhalten könne - zuvor brauche es eine neue Verfassung. Vorerst dürfte al-Scharaa unangefochten an der Spitze des Staates stehen, legitimiert auch von einer ganzen Reihe an hochrangigen Treffen mit ausländischen Politikern - darunter auch Außenministerin Annalena Baerbock, die sich am Freitag mit al-Scharaa in Damaskus traf.
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Welche Posten wurden bereits verkündet?
Eine ganze Reihe wichtiger Posten wurden in den vergangenen Tagen verkündet. Bemerkenswert unter anderem:
Neuer Premierminister ist Mohammed al-Baschir, der zuvor bereits Minister für humanitäre Angelegenheiten und Premier in der HTS-regierten Provinz Idlib war. Der Technokrat machte sich vor allem als Verwaltungsreformer einen Namen.
Neuer Verteidigungsminister ist Murhaf Abu Kasra, bisheriger Militärchef der HTS-Miliz. Er gehörte bereits der Vorgängerorganisation Al-Nusra-Front an. Seine schwierige Aufgabe: die Vielzahl an rivalisierenden Milizgruppen in die neuen syrischen Streitkräfte integrieren - vor allem mit Blick auf die kurdischen Kräfte im Nordosten eine heikle Aufgabe. Eine ganze Reihe von HTS-Kommandeuren, darunter auch einige ausländische Dschihadisten, wurden jüngst bereits zu Generälen ernannt.
Neue Zentralbankchefin wird Maysaa Sabrine, zuvor bereits Vizegouverneurin. Angesichts der seit Jahren desolaten Wirtschafts- und Finanzlage des Landes wird ihre Arbeit essenziell für den Erfolg der neuen Regierung.
In der Provinz Suwaida im Süden des Landes wird Muhsina al-Mahithaui neue Gouverneurin. Es ist das erste Mal in der syrischen Geschichte, dass eine Frau solch ein Amt bekleidet, außerdem gehört sie der drusischen Minderheit an. Sie war jahrelang Teil des zivilen Widerstands gegen die Assad-Diktatur.
Wie beurteilen Experten diese Personalentscheidungen?
Die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller leitet das Nahost-Referat der Heinrich-Böll-Stiftung und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Syrien. "Was bei den bisherigen Ernennungen auffällt, ist der konziliante Ton, den nicht nur Ahmad al-Scharaa selbst, sondern auch zum Beispiel der Gouverneur von Damaskus, Maher Marwan, angeschlagen hat", sagt Scheller ZDFheute. Letzterer habe etwa sogar Verständnis für Israels Sicherheitsbedenken geäußert und zugesichert, Syrien werde nicht die Sicherheit Israels gefährden. Das sei ein gravierender Kurswechsel.
Auf der anderen Seite stünden etwa sexistische Kommentare des Regierungssprechers Obeida Arnaout über die Rolle von Frauen etwa im Justizwesen. "Bei denen machen sich aber nicht nur wir, sondern vor allem auch unsere syrischen Partner*innen Sorgen", betont Scheller.
In Syrien steht die Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes an seiner Bevölkerung gerade erst am Anfang. Könnten sich internationale Gerichte für Gerechtigkeit einsetzen?03.01.2025 | 2:45 min
Wie dominant werden die HTS-Islamisten aus Idlib?
Syrien ist ein religiös und ethnisch komplexes Land, in dem die gezielte Bevorzugung und Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen über Jahrzehnte Mittel zur Machtsicherung Assads war. Eine Machtübernahme von Islamisten treibt viele dieser Minderheiten um. Al-Scharaa scheint sich dessen bewusst und traf sich etwa am Dienstag mit Vertretern der großen christlichen Glaubensgemeinschaften in Damaskus. Die von der staatlichen Nachrichtenagentur Sana verbreiteten Fotos zeigen den einstigen IS-Verbündeten al-Scharaa Seite an Seite mit Bischöfen, Mönchen und anderen Würdenträgern.
Ahmed al-Scharaa trifft christliche Geistliche
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Trotzdem setzt auch er auf einen Zirkel an Vertrauten: "Al-Scharaa hat mehrere Personen aus seinem engerem Umfeld aus Idlib ernannt. Vertrauen spielt hier gewiss eine Rolle, aber auch Erfahrung", sagt Scheller. In Idlib sehe man teils modernere Verwaltungsstrukturen als im Rest des Landes. Auch der Einfluss der Türkei werde hier deutlich: "Der Interims-Außenminister Schibani hat zum Beispiel in der Türkei studiert und spricht auch Türkisch. Wenn mit HTS der Einfluss der Türkei in ganz Syrien stärker werden sollte, wäre das für das Verhältnis zwischen Syrien und Europa relevant."
Für Scheller ist vor allem bemerkenswert, dass einige der wichtigsten Aufgaben an Frauen übertragen wurden.
Jahrzehnte der Terrorherrschaft in Syrien sind zu Ende. Was die neuen Herrscher planen, ist noch nicht klar. Europa will beim Übergang helfen, Baerbock besucht heute Damaskus.03.01.2025 | 3:50 min
Wie geht man mit den alten Assad-Beamten um?
Jahrzehntelang war der öffentliche Sektor einer der wenigen verlässlichen Arbeitgeber, insbesondere für Akademiker in Syrien - und eine Stütze der Diktatur und seines Unterdrückungsapparats. Zuletzt machte sich die Wirtschaftskrise auch dort mit immer niedrigeren Löhnen bemerkbar, dazu kamen Korruption und Misswirtschaft.
All das stellt die neue Administration vor ein mehrfaches Dilemma. Massenentlassungen von zivilen Beamten könnten die Unzufriedenheit verstärken, aber sie bezahlen kann man ebenfalls kaum. Für Expertin Scheller ist klar:
"Teile der Verwaltung wird man übernehmen müssen und jenseits des wirklich hochproblematischen Geheimdienstapparats und in Abstufungen des weiteren Sicherheitssektors ist dies politisch vielleicht auch nicht allzu heikel - die überfälligen Reformen werden jedoch eine Herkules-Arbeit."
Tausende IS-Anhänger sitzen in Syrien in Haft - bewacht von kurdischen Milizen. Nun fordert die Türkei, dass die neue islamistische Regierung die Kontrolle übernimmt. Ein Risiko?