Syrien: Desinformation soll Angst und Chaos schüren

    Gezieltes Befeuern von Ängsten:Wie Desinformation in Syrien Chaos schürt

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
    |

    Syrien erlebt eine Desinformationswelle, die den Wandel nach dem Bürgerkrieg gefährdet. Echte Bedenken gegen die neuen islamistischen Herrscher stoßen auf viele falsche Gerüchte.

    Syrien, Damaskus: Ein syrischer Christ hält ein Kreuz und ruft Parolen
    Angst vor den Islamisten: Syrische Christen protestieren nach einem viralen Video an Weihnachten in Damaskus.
    Quelle: AP

    Es gibt berechtigte Sorgen vor den neuen islamistischen Machthabern Syriens. Etwa dass der frisch ernannte Justizminister Schadi al-Waisi als Richter der Al-Nusra-Miliz 2015 die Hinrichtung zweier Frauen wegen angeblichem Ehebruch verantwortete. Videos der Erschießungen verbreiteten sich in dieser Woche in den sozialen Medien und wurden von syrischen Experten als authentisch verifiziert. Inzwischen gibt es im Land Forderungen nach seinem Rücktritt.

    Falschübersetzung soll Ängste schüren

    Bei manch anderen viralen Geschichten über die Lage in Syrien und den frisch an die Macht gekommenen Köpfen ist jedoch Vorsicht angebracht. Etwa die Meldung, dass in einer Freitagspredigt in Damaskus in dieser Woche dazu aufgerufen worden sei, schiitische und alawitische Minderheiten "wie Ratten" zu jagen und "abzuschlachten".
    Syria Germany France
    Zusammen mit ihrem französischen Amtskollegen reist die Außenministerin nach Syrien. Es geht um mögliche Unterstützung, aber auch Erwartungen an die Übergangsregierung in Damaskus.03.01.2025 | 3:06 min
    Die syrische Organisation "Verify-Sy", die seit Jahren unabhängig Informationen zu Syrien überprüft, weist darauf hin, dass das eine Falschübersetzung sei. Tatsächlich ging es in der Rede um die Bekämpfung iranischer Milizen im Land und der Verantwortlichen der Verbrechen unter dem Assad-Regime. Konkrete religiöse Minderheiten werden nicht namentlich genannt. Dennoch verbreitet sich das Video auch in Versionen mit fehlerhafter englischer Übersetzung weiter.

    Richtigstellung von "Verify-Sy"

    Ein Klick für den Datenschutz
    Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von X nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von X übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von X informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    "Seit dem Fall des Assad-Regimes ist die Verbreitung von Fehlinformationen deutlich gestiegen", sagte Zouhir al-Schimale von "Verify-Sy" der Deutschen Welle.

    Jahre der Revolution und des Bürgerkriegs haben tiefe Gräben hinterlassen, und verschiedene Gruppierungen - sowohl lokale als auch internationale - nutzen jetzt Desinformationen, um ihre Positionen zu stärken, Rivalen zu delegitimieren und ihre eigenen Ziele zu erreichen.

    Zouhir al-Schimale, Mitarbeiter von "Verify-Sy"

    Reale Ereignisse oft aus dem Zusammenhang gerissen

    Al-Schimale und "Verify-Sy" führen eine ganze Reihe an Beispielen an: etwa ein Video, das eine islamistische Militärparade in Damaskus zeigen soll, tatsächlich aber eine alte Aufnahme aus Libyen ist. Oder ein Telegram-Kanal mit über 120.000 Abonnenten, der vorgibt, für die noch im Neuaufbau befindliche staatliche Nachrichtenagentur Sana zu sprechen.
    Ein anderes Video soll zeigen, wie der neue Verteidigungsminister Murhaf Abu Kasra eine Marienstatue zerstöre, jedoch zeige das Video laut "Verify-Sy" einen anderen syrischen Rebellen-Kommandeur und stamme aus dem Jahr 2013. Neben vereinzelten realen Berichten über Racheaktionen gegen echte oder vermeintliche Assad-Anhänger verbreiten sich online viele manipulierte oder entstellte Berichte über Gräueltaten.
    Marietta Slomka spricht mit Golineh atai zur Lage in Syrien
    Der Wiederaufbau Syriens könne ohne Sanktionserleichterungen des Westens nicht funktionieren, so ZDF-Korrespondentin Atai aus Damaskus. Das setzt die neuen Machthaber unter Druck.03.01.2025 | 3:17 min

    Virale Videos von Angriffen lösen Proteste aus

    Wie schnell solche Gerüchte zu Spannungen führen können, zeigt dieser Vorfall: Während der Eroberung von Aleppo Ende November 2024 zerstörten unbekannte Angreifer einen alawitischen Schrein und töteten dort mehrere Personen. Ein Video des Vorfalls führte Wochen später über Weihnachten zu heftigen Protesten, vor allem in Städten mit großer alawitischer Bevölkerung. Mehrere Ausgangssperren wurden erklärt.
    Das von der islamistischen HTS-Miliz kontrollierte Innenministerium behauptete am 25. Dezember, das Video sei gezielt verbreitet worden, um Spannungen auszulösen. Die Sicherheitskräfte würden sich bemühen, religiöse Einrichtungen im Land zu schützen, so das Ministerium auf Facebook.
    In einem anderen Fall wurde nahe der Stadt Hama ein öffentlich aufgestellter Weihnachtsbaum angezündet, was am 24. Dezember ebenfalls Proteste auslöste. Die Verantwortlichen habe man verhaftet, den Baum neu aufgebaut, teilte ein örtlicher HTS-Kommandeur später mit. Pro-Assad-Kanäle stellten die Täter als HTS-Angehörige dar, während manche Sympathisanten der HTS in dem Vorfall eine Aktion von Assad-Gangs unter falscher Flagge sahen. Überprüfbar sind solche ohne Beleg ins Netz geschriebenen Vorwürfe kaum ohne Weiteres.
    Lage in Syrien - Homs
    In Syrien steht die Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes an seiner Bevölkerung gerade erst am Anfang. Könnten sich internationale Gerichte für Gerechtigkeit einsetzen?03.01.2025 | 2:45 min

    Misstrauen der Volksgruppen über Jahrzehnte gewachsen

    Das gezielte Ausnutzen ethnischer und religiöser Spaltungen war wichtigstes Mittel zur Machtsicherung unter Baschar al-Assad und seinem Vater. Gleich wie das neue System aussehen wird, werden diese Altlasten Syrien noch lange prägen - und sind ein Grund, warum Desinformation und Misstrauen verfangen können.
    Assad inszenierte sich gerne als Schutzpatron der vielen christlichen und muslimischen Minderheiten im Land, sofern diese seine Macht nicht in Frage stellen. Politisch unbequeme Minderheiten wie die Kurden wurden hingegen jahrzehntelang marginalisiert. Und vor allem in ländlichen Gebieten wurde die sunnitische Bevölkerungsmehrheit politisch und wirtschaftlich abgehängt - und dann nach Ausbruch der Proteste 2011 brutal bekämpft.
    Umgekehrt haben auch viele der neuen HTS-Machthaber eine blutige Vergangenheit, kommen häufig aus Vorgängerorganisationen, die direkt oder indirekt mit dem Islamischen Staat in Verbindung standen, auch wenn sie sich vor Jahren mit ihm gewaltsam überworfen haben. Die säkulare, liberale syrische Opposition hatte jahrelang nicht nur Assad zu fürchten, sondern auch die Islamisten. Und auch die kurdischen Gruppen in Syrien sind Ziel manipulierender Darstellungen aus dem HTS-Umfeld, um sie als Assad-Kollaborateure oder Puppen der USA oder Israels darzustellen.
    SGs Atai
    Nach der Offensive der HTS-Rebellen ist Damaskus unter deren Kontrolle. Über den Besuch der deutschen Außenministerin und wie es nun weitergehen könnte, berichtet Golineh Atai.03.01.2025 | 1:40 min

    Kanäle machen Stimmung gegen Muslime in Europa

    Was die Verbreitung von Gerüchten zu Syrien vor allem im Ausland befeuert, sind finanziell oder ideologisch motivierte Kanäle in den sozialen Medien, die sonst vor allem pro-russische, Nato- oder Migranten-feindliche und antimuslimische Zielgruppen in Europa oder den USA bedienen. Viele von ihnen greifen gerade Nachrichten aus Syrien auf, um Ressentiments zu bedienen.
    Zu den eigentlichen Falschinformationen kommen dort dann häufig noch eine weitgehende Unkenntnis der Lage vor Ort oder rassistische Beschimpfungen hinzu. Der syrisch-amerikanische Journalist Hassan Hassan schrieb etwa auf X: "Es ist bedrückend, wie viel der Propaganda gegen die Kräfte, die Assad gestürzt haben, gänzlich aus Lügen besteht. Die Kritik der Syrer selbst an den neuen Machthabern ist fundierter und nüchterner."
    Wie gut die syrische Gesellschaft mit Fakes und Manipulation umgehen kann, wird mit darüber entscheiden, ob eine Aussöhnung möglich ist - oder der Rückfall in den Bürgerkrieg droht.

    Posten für Frauen und Islamisten
    :Wer sind die neuen Machthaber in Syrien?

    Die syrische Übergangsregierung ordnet die Machtverhältnisse neu. An wen vergibt Machthaber Ahmed al-Scharaa die wichtigsten Ämter? Was sagt das über die Pläne der Islamisten aus?
    von Nils Metzger
    Ahmed al-Sharaa
    FAQ

    Mehr zu Syrien