Hungersnot und Krieg:Sudan: "Das Massensterben hat begonnen"
von Golineh Atai, Kairo
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Die Hungerkrise im Sudan sei menschengemacht, sagen Forscher. Ohne internationalen Druck auf die Kriegsparteien, würden diese die Taktik des Aushungerns weiterführen.
"Meine Zwillinge leiden seit einem Jahr an Unterernährung. Es geht ihnen immer schlechter. Ich habe sie vor drei Wochen in die Klinik gebracht - aber sie können nicht behandelt werden", Aisha Younis schaut auf den geschwollenen Bauch ihres Jungen, seine Rippen schauen hervor, die Gliedmaßen nur Knochen und hängende Haut. Die Mutter wurde aus El-Fasher im Westen des Landes vertrieben, seit in der Stadt gekämpft wird. Wie ihr geht es Millionen Menschen im Sudan.
Im April 2023 begannen die Kämpfe im Sudan. Über achteinhalb Millionen Sudanesen sind auf der Flucht. Wer im Land bleibt hungert und lebt in ständiger Angst vor Gewalt.22.04.2024 | 8:31 min
UNO: 26 Millionen Menschen hungern im Sudan
Seit ihrer Ankunft in einem Flüchtlingslager im Süden der Provinz Darfur, im West-Sudan, hat Aisha Younis sieben Kinder sterben sehen. Ärzte im Camp berichten, dass die Spezialnahrung für Unterernährte ausgegangen sei. Die Vertriebenen ernährten sich oft von nichts mehr als einem Teller Weizengrütze täglich.
Am 28. Juni meldete die UNO, dass 26 Millionen Sudanesen hungerten - und der Sudan das Land mit der größten Hungerkrise weltweit sei. Rund 755.000 Menschen befänden sich kurz vor dem Hungertod.
Vor einem Jahr eskalierte im Sudan der Machtkampf zweier Generäle. Die Folge: Ein Bürgerkrieg und humanitäre Krisen. Nun sind mehr als neun Millionen Menschen auf der Flucht.26.06.2024 | 2:14 min
"Die Zahlen sind viel zu optimistisch und werden wohl bald nach oben korrigiert werden", kritisiert die Sudan-Forscherin Anette Hoffmann vom niederländischen Clingendael-Institut. Die Studie zum Ausmaß der Hungersnot, die ein Netzwerk von UN-Organisationen und NGOs erstmals erstellt hat, sei laut Hoffmann bereits im Februar fällig gewesen, seit der letzten Ernte im Land - damals hätte die Weltgemeinschaft das Massensterben noch verhindern können.
Menschen im Sudan auch von Krankheiten bedroht
Mit dem Beginn der Regensaison wird der Zugang zu den betroffenen Gebieten erschwert, und so rechnet Hoffmann mit 2,5 Millionen Sudanesen, die noch in diesem Jahr an Hunger und Krankheit sterben werden - und noch höheren Zahlen für 2025. Aus der Hauptstadt Khartoum und aus Darfur erreichen sie Berichte über Familien, die gekochte Blätter oder gar Schlamm essen, und Bilder, die immer mehr frische Gräber zeigen.
Seit April 2023 kämpfen im Sudan zwei Generäle mit ihren Militärtruppen um die Macht. Der Bürgerkrieg hat das Land in eine humanitäre Krise gestürzt. Tausende Zivilisten sind verletzt oder getötet worden. Es gibt Berichte über Massentötungen und sexualisierte Gewalt. Bei einer Geberkonferenz in Paris haben westliche Länder dem Sudan mehr als zwei Milliarden Euro für humanitäre Hilfe zugesichert. Auch das ZDF hat einen Spendenaufruf gestartet.
Die Hungerkrise war vorhersehbar. Als die UNO im Februar an die Welt appellierte, kamen gerade einmal 17 Prozent der benötigten 2,7 Milliarden US-Dollar zusammen. Beide Kriegsparteien - Armee und Paramilitärs - setzen in ihrem Machtkampf Hunger als Waffe ein. Die Milizen der "Schnellen Eingreiftruppen" unter General Hemedti überfallen das Land "wie menschliche Heuschrecken", beschreiben Beobachter.
Bauernhöfe und Mühlen werden geplündert, Kleinbauern vertrieben, Tiere gestohlen und Wasserquellen kontrolliert. Die Armee wiederum hat kein Interesse daran, dass im von Milizen besetzten Darfur eine Hungerkrise ausgerufen wird. Durch internationale Aufmerksamkeit könnte Druck entstehen, Hilfe hineinzulassen. Doch bliebe die Hilfe aus, würde die Bevölkerung sich gegen die Milizen auflehnen, so die Logik der Armee.
Die derzeitigen Welt-Konflikte überschatten den Rest der Welt. So auch den Bürgerkrieg im Sudan, der das Land aufzuzehren droht. Eine internationale Geberkonferenz soll helfen.15.04.2024 | 2:37 min
Miliz spielt Bevölkerung gegeneinander aus
Wer den Sudan kennt, weiß: Nichts an der grausamen Kriegsführung der Milizen ist überraschend. Sudans Langzeit-Diktator Omar Al-Baschir, dem der Internationale Strafgerichtshof Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwirft, erschuf die Vorgänger der heutigen Milizen, die ab 2003 in Darfur vor allem nicht-arabische Bevölkerungsgruppen systematisch ermordeten und vertrieben, Dörfer niederbrannten und Frauen versklavten.
Zwanzig Jahre später greifen genau diese Milizen nach der Macht - mit dem Ziel, die legitime Macht im Land, die Armee, zu stürzen.
Im Sudan tobt ein blutiger Machtkampf zwischen Armee und Paramilitärs. Die Zivilbevölkerung leidet. Ihre Hoffnung auf freie Wahlen ist in weite Ferne gerückt.15.09.2023 | 44:29 min
Unterschiedliche Kriegsparteien im Sudan
Der Menschenrechtsaktivist Mudawi Ibrahim Adam weist auf den fundamentalen Unterschied der Kriegsparteien hin, den die internationale Gemeinschaft immer noch nicht begreife: "Die Armee, die regulären Streitkräfte sind kein Ein-Mann-Unternehmen. Ihre Spitze kann ersetzt werden, sie können reformiert werden. Doch die Milizen der 'Schnellen Eingreiftruppen' gehören einem Clan, sie gehören General Hemedti, seinen Brüdern und seinen Vettern, sie sind nicht für das Volk da.
Weder ist diese Truppe reformierbar noch kann sie dem Sudan Demokratie bringen, wie sie es verspricht." Mit ihrer Taktik, verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, habe die Miliz das soziale Gefüge des sudanesischen Volkes zerstört, sagt Adam. Er kennt beide Kriegsherren - Armeechef Burhan und Milizenchef Hemedti - persönlich.
Eine Konferenz in Paris sucht Wege, um den gebeutelten Menschen im Sudan zu helfen. Vorab sagte Annalena Baerbock Gelder in Millionenhöhe zu.
Die Welt schaut derweil weg. Weder die USA, noch die EU oder die Afrikanische Union fielen bislang mit großangelegten diplomatischen Initiativen auf. Für viele ist klar: Der Westen habe sich mitschuldig gemacht an einer - vermeidbaren - Hungersnot von historischem Ausmaß.
Golineh Atai leitet das ZDF-Studio in Kairo und berichtet auch über den Sudan. An dem Artikel mitgearbeitet hat Amro Refai.
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