Fast 500 Tage Bürgerkrieg im Sudan: So elendig ist die Lage
Fast 500 Tage Bürgerkrieg:Lage im Sudan "unbeschreiblich und furchtbar"
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Seit April 2023 bekämpfen sich im Sudan verfeindete Truppen - mit heftigen Folgen für die Bevölkerung: Gewalt, Flucht und Unterernährung bestimmen den Alltag.
In der Schweiz beginnen Gespräche über eine Waffenruhe im Sudan. In dem Land tobt ein blutiger Machtkampf - Millionen Menschen sind im eigenen Land vertrieben, Millionen hungern.14.08.2024 | 0:17 min
Jahrelang wurde der rohstoffreiche Sudan in Afrika von Diktator Omar al-Baschir drangsaliert, ehe er 2019 bei einem Putsch nach einem Volksaufstand abgesetzt wurde. Die Freude der Zivilbevölkerung währte kurz, sie blieb im Machtgerangel auf der Strecke. Seit nunmehr 16 Monaten kämpfen zwei Generäle um die Macht, ohne Rücksicht auf Verluste. Millionen Menschen sind im eigenen Land vertrieben, Millionen hungern.
In der Schweiz haben auf Einladung der USA Gespräche begonnen, wie die humanitäre Hilfe verbessert werden kann. Eigentlich soll es auch um einen Waffenstillstand gehen, aber die Armee ist zum Auftakt ferngeblieben.
Nach mehreren Putschen wollten der Oberbefehlshaber der sudanesischen Armee (SAF), Abdel Fattah al-Burhan, und der Chef der Milizen "Rapid Support Forces" (RSF), Mohamed Hamdan Daglo, sich die Macht teilen. Al-Burhan wurde Präsident, Daglo sein Stellvertreter. Das Gebilde zerbrach aber im April 2023 an der Rivalität der Männer.
Seitdem kämpfen beide mit ihren Truppen um die territoriale Vorherrschaft. Beide Seiten begegnen Zivilisten nach Angaben von Einwohnern mit roher Gewalt. Ihnen werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Lage in der Hauptstadt "wirklich furchtbar"
"Die Lage in Khartum ist unbeschreiblich und wirklich furchtbar", sagt Khalid Mishain, Sprecher einer Jugend-NGO, der vor Kurzem aus der weitgehend zerstörten Hauptstadt geflohen ist.
Jeden Tag hört man von Menschen, die in ihren Häusern oder Wohnungen erschossen worden sind. Die Regierungstruppen bombardieren in den Vierteln, in denen die RSF die Kontrolle hat, willkürlich Wohngegenden.
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Khalid Mishain, Sprecher einer Jugend-NGO im Sudan
Ein paar Kinder wollten am Samstag in der Nähe von Khartum auf einem als "kinderfreundlich" deklarierten Gelände Fußball spielen, den elenden Alltag für ein paar Stunden vergessen.
Vor einem Jahr eskalierte im Sudan der Machtkampf zweier Generäle. Die Folge: Ein Bürgerkrieg und humanitäre Krisen. Nun sind mehr als neun Millionen Menschen auf der Flucht.26.06.2024 | 2:14 min
Der Horror kam aus der Luft, wie der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef, James Elder, berichtet: Ein Geschoss schlug auf dem Platz ein, zwei Jungen wurden getötet, alle anderen verletzt. Elder sah die Kinder in einem völlig überfüllten Krankenhaus mit blutverschmierten Fußböden. Die Jungen stünden unter Schock. Keiner wolle je mehr einen Fußball kicken.
Fast 26 Millionen Menschen sind von akutem Hunger bedroht, das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. 755.000 Menschen stehen am Rande einer Hungersnot, wie UN-Analysen zeigen. Im Flüchtlingslager Samsam in Nord-Darfur mit 500.000 Flüchtlingen wurde bereits eine Hungersnot deklariert. 10,7 Millionen Menschen sind im Land auf der Flucht, mehr als zwei Millionen weitere sind über die Grenzen in Nachbarländer geflohen.
Nach UN-Schätzungen sterben im Sudan täglich mindestens hundert Menschen an den Folgen von Hunger; mindestens 30 Prozent der Kinder gelten als akut unterernährt. Neben dem Konflikt haben jetzt auch noch schwere Regenfälle und Überschwemmungen Häuser und Straßen zerstört und Zehntausende in die Flucht getrieben.
Sexuelle Gewalt und Vertreibungen
Eine leitende Krankenschwester berichtete Elder, sie habe Hunderte Frauen und Mädchen betreut, die vergewaltigt worden seien, darunter Mädchen im Alter von acht Jahren. Ähnliches berichtet Mahmud Alzain aus dem Bundesstaat Sennar. Er dokumentiert dort mit einer Gruppe zusammen Menschenrechtsverletzungen.
Es gibt viele Plünderungen und zahlreiche sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Mädchen. Uns wurden auch mehr als 100 Fälle verschwundener Männer gemeldet, die von der RSF verschleppt wurden.
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Mahmud Alzain, Menschenrechtler im Sudan
Ob sie noch lebten, sei ungewiss. Kämpfer würden Frauen, Kinder und alte Menschen willkürlich erschießen.
Unterernährung in Nord-Darfur
In der umkämpften Stadt El Fascher im Bundesstaat Nord-Darfur sind hunderttausende Menschen vom Nötigsten abgeschnitten. Es gibt kaum noch Nahrungsmittel, berichten Einwohner. Einige hätten es in das überfüllte Lager Samsam geschafft, wo es aber auch kaum zu essen gibt, berichtet Yakoub, der es kürzlich schaffte, aus El Fascher zu fliehen. Viele Menschen müssten trotz einsetzender Regenzeit unter freiem Himmel kampieren.
Seit mehr als einem Jahr herrscht Krieg zwischen der Armee und Rebellen im Sudan. Die Folge: Hunderttausende Menschen drohen zu verhungern.02.07.2024 | 1:51 min
"Kinder sterben an Unterernährung, an Durchfallerkrankungen und Malaria", berichtet er. Die Welthungerhilfe steht bereit, um 18.000 Tonnen Nahrungsmittel des Welternährungsprogramms (WFP) in El Fascher, Samsam und umliegenden Ortschaften zu verteilen, wie eine Sprecherin sagte.
Prekäre Sicherheitslage
Beide Seiten behindern nach UN-Angaben systematisch die nötige humanitäre Hilfe für die Menschen. Zum einen würden unnötige bürokratische Hürden aufgebaut, um Lieferungen zu genehmigen, zum anderen stünden UN-Konvois mit Lebensmitteln oft tagelang an Checkpoints fest, sagte Mohamed Refaat, der für die UN-Organisation für Migration in Port Sudan Hilfe koordiniert.
Die USA haben Vertreter der Armee und der RSF-Miliz zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand an einen geheimen Ort in die Schweiz eingeladen. Die Gespräche sollen mindestens bis zum 24. August dauern und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass mehr humanitäre Hilfe ins Land gebracht werden kann.
"Die Lage ist schlimmer als sie je zuvor im Sudan und in den meisten Staaten Afrikas war", so Volker Perthes, Politikwissenschaftler und ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für Sudan.26.06.2024 | 4:51 min
Um die politische Zukunft des Sudan soll es dabei ausdrücklich nicht gehen, wie der US-Sonderbeauftragte für den Sudan, Tom Perriello, in Genf sagte.
Die RSF-Miliz ist mit einer Delegation in die Schweiz gereist, die Armee nicht. Deshalb beraten zunächst technische Experten, wie die humanitäre Hilfe ausgeweitet werden kann. "Es ist höchste Zeit, dass die Waffen schweigen", schrieb Perriello auf der Plattform X.
Quelle: dpa
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