Im letzten Jahr hat Großbritannien das Streikrecht eingeschränkt. Das Ziel: Die Auswirkungen von Streiks für Kunden und Gesellschaft eindämmen.12.03.2024 | 2:10 min
Die Arbeit niederlegen für bessere Arbeitsbedingungen: Deutschland erlebt derzeit eine
Streikwelle im Arbeitskampf. Das
Streikrecht ist hierzulande im Grundgesetz verankert, konkrete Regeln ergeben sich im Wesentlichen aus der Rechtsprechung. Zuletzt wurden Forderungen nach einer
Verschärfung des Streikrechts laut. Wie sind die Regelungen in anderen europäischen Ländern? Drei Beispiele.
Großbritannien: Strikes Act kann zur Arbeit verpflichten
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Großbritannien gilt seit Juli 2023 ein neues Streikrecht. Der so genannte "Strikes Act" betrifft nahezu alle Branchen des öffentlichen Dienstes. Gerade Ärzt*innen demonstrieren seit vielen Monaten immer wieder lautstark auf Englands Straßen. Sei es für bessere Arbeitsbedingungen oder für eine angemessene Bezahlung.
Nach dem neuen Streikrecht, können einige von ihnen künftig zur Arbeit an Streiktagen verpflichtet werden. Denn: Der Arbeitgeber - also zum Beispiel ein Krankenhaus - muss im Vorfeld eines Streiks Personal benennen, das eingesetzt werden kann. Wer sich weigert, genießt keinen Kündigungsschutz.
Britische Assistenzärzte haben im Januar für den längsten Streik in der Geschichte des staatlichen Gesundheitsdienstes gesorgt. Sechs Tage lang legten sie ihre Arbeit nieder.04.01.2024 | 1:49 min
Britische Gewerkschaften kritisieren Strikes Act
Vor allem deswegen laufen die Gewerkschaften Sturm gegen das Gesetz. Das verwundert nicht, sind doch die Gewerkschaften selbst direkt von der Rechtsprechung betroffen: Wenn sie nicht die Leute bereitstellen, die das Unternehmen zum Arbeiten angewiesen hat, können sie auf Schadenersatz verklagt werden.
Selbst Mitgliedern der regierenden konservativen Partei, den Tories, geht das Gesetz zu weit. So warnt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Ian Stewart, im Handelsblatt vor der "Gefahr, dass sich die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschlechtern könnten."
Es ist der sechste Bahnstreik im aktuellen Tarifkonflikt. Ist das noch verhältnismäßig? Sollte das Streikrecht eingeschränkt werden?11.03.2024 | 4:05 min
Spanien: Gesetzgeber mit großem Einfluss auf Streiks
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Spanien können regionale sowie die spanische Regierung ebenfalls eine Mindestversorgung anordnen, um große Einschränkungen für die Bevölkerung abzuwenden. Bei dem 23-Stunden-Streik der Eisenbahngesellschaft Renfe im Februar 2024 mussten etwa zwischen 50 und 75 Prozent der Züge fahren, je nach Uhrzeit.
"In der Regel werden diese hohen Mindestleistungen von den Gewerkschaften gerichtlich angefochten und nicht selten erhalten sie Recht", erläutert der Soziologe David Moral von der Uni Zaragoza. Doch bis zum Urteil ist der Streik meist längst vorbei.
Bahnreisende müssen wegen des Tarifstreits mit der GDL mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Was tun, wenn Züge ausfallen oder stark verspätet sind? Diese Fahrgastrechte gelten.
von Samuel Kirsch
Spanische Regierung kann Schlichtung anordnen
Dauert der Streik zu lange - ist also keine Einigung ist in Sicht, dafür aber ein großer wirtschaftlicher Schaden - kann die Regierung eine Schlichtung anordnen. Einigen sich die Parteien nicht binnen 24 Stunden auf einen Mediator, wird dieser von der Regierung ernannt. Das Ergebnis der Schlichtung ist bindend.
Finanzielle Unterstützung bei Streiks ist Ausnahme
In Spanien gehören etwa 13 Prozent der Beschäftigten einer Gewerkschaft an. Die Mitgliedsbeiträge sind mit höchstens 14,50 Euro pro Monat gering, allerdings gibt es in der Regel keine finanzielle Unterstützung bei Streiks. Auch deshalb sind die Streiks zeitlich sehr begrenzt, einen längeren Lohnausfall können sich die meisten nicht leisten.
Ausnahme ist hier die baskische Gewerkschaft ELA, die eine Streikkasse vorhält. Die machte es möglich, dass 2022 Reinigungskräfte im Guggenheim Museum Bilbao fast neun Monate streikten und bessere Arbeitszeiten sowie 20 Prozent mehr Gehalt durchsetzen konnten.
Italien: Generalstreik in 2023 eingeschränkt
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Italien können Streiks per Anordnung eingeschränkt werden, so wie im November 2023. Zwei große Gewerkschaften hatten einen landesweiten Generalstreik im Verkehrswesen angekündigt, aus Protest gegen das geplante Haushaltsgesetz der Regierung. Doch der achtstündige Streik fand so nicht statt.
Die Gewerkschaften hatten bei Verhandlungen eine geforderte Verkürzung des geplanten Streikes abgelehnt. Verkehrsminister Salvini von der rechtspopulistischen Lega unterschrieb daraufhin eine Anordnung, die ihn einschränkte: von geplanten acht auf vier Stunden.
Die wiederholten Arbeitsniederlegungen im Bahn- und Flugverkehr der vergangenen Wochen hinterlassen auch Spuren in der Wirtschaft. Streiken wir gar unseren Wohlstand kaputt?
von Klaus Weber
Streikrecht in Italien betont Persönlichkeitsrechte
Salvini hatte sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1990 berufen. Demnach kann die Regierung einen Streik einschränken, ihn also per Anordnung verschieben oder zeitlich begrenzen, wenn "die begründete Gefahr einer schweren und unmittelbaren Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte besteht".
Die Anordnung definiert zudem ein Mindestmaß an Dienstbetrieb trotz Streik. Sie kann von der Ministerpräsidentin oder einem Minister auf Antrag der Streik-Garantie-Kommission ausgesprochen werden - 48 Stunden vor Beginn der Arbeitsniederlegung. Vorausgehen muss unter anderem ein Schlichtungsversuch.
Gewerkschaften kritisieren Einschränkung von Streikrecht
Die Einschränkung kann von den Gewerkschaften allerdings angefochten werden, auch wenn dadurch die Anordnung nicht aufgehoben wird. Die Anführer der Gewerkschaften kritisierten Ende 2023 die Einschränkung ihres Generalstreiks. Trotzdem reduzierten die Gewerkschaften den Streik wie angeordnet.