Soziologin zu Fico-Attentat: "Schlag ins Herz der Slowakei"

    Interview

    Soziologin nach Fico-Attentat:"Schlag ins Herz der Slowakei"

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    Das Attentat auf Regierungschef Robert Fico hat die stark gespaltene Slowakei geschockt. Eine weitere Polarisierung müsse nun gestoppt werden, sagt Soziologin Anna Durnova.

    Attentat auf slowakischen Regierungschef Fico
    Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico bleiben viele Fragen offen. Soziologin Anna Durnova erklärt, wie es jetzt gesellschaftlich weitergehen könnte.
    Quelle: Reuters

    ZDFheute: Warum kann gerade in der Slowakei ein solches Attentat geschehen?
    Anna Pospech Durnova: Laut Studien zur demokratischen Kultur gehört die Slowakei zu den am meisten polarisierten Ländern der EU. Es gibt dort eine gesellschaftliche und politische Polarisierung, und immer mehr Hate Speech, ausgehend von den Politiker*innen.
    Das Fico-Attentat steht aber nicht allein in der jüngsten Geschichte der Slowakei: Vor sechs Jahren gab es den Mord am Journalisten Kuciak und seiner Lebensgefährtin. Und 2022 gab es einen Terror-Angriff auf einen LGBTQI+-Club in Bratislava.
    Mitglieder des Korps der Strafvollzugs- und Justizwäche (ZVJS) stehen vor dem Spezialstrafgericht (TS)
    Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Fico steht der Angreifer nun erstmals vor Gericht. Ficos Zustand sei weiterhin ernst, so die Gesundheitsministerin.18.05.2024 | 0:22 min
    Das Fico-Attentat ist keine Einzeltat, die nur in der Slowakei passieren kann. Sie zeigt uns, was passieren kann, wenn wir dieser verbalen und physischen Gewalt in der Politik nicht bewusst entgegentreten. Wenn wir Stimmungen anheizen, kann es dazu führen, dass einzelne Personen persönlich radikale Konsequenzen ziehen - und auf jemanden schießen.
    ZDFheute: Welche Rolle spielt die Politik?
    Durnova: Wir hatten in der Slowakei vor kurzem zwei Wahlkämpfe - Parlaments- und Präsidentschaftswahlen - und bei beiden haben wir diese heftige Stimmung gespürt. Die Soziologie definiert dafür Triggerpunkte. Einer ist in der Slowakei der Ukraine-Krieg.
    Die Slowakei ist in ihrer Geschichte und geopolitischen Lage in einer besonderen Position in Bezug auf diesen Krieg, weil die Grenze so nah ist und weil es die historische Erfahrung 1945 und 1968 gibt. Die Leute haben einfach Angst vor Russland. Wir müssen auch auf einer europäischen Ebene diese Ängste wahr- und ernstnehmen.

    Anna Durnova, Professorin für Politische Soziologie
    Quelle: www.univie.ac.at

    Univ.-Prof. Mag. Dr. Anna Pospech Durnova ist Professorin an der Universität Wien. Die Tschechin forscht an der Schnittstelle Politik und Soziologie: Inwieweit beeinflusst politisches Handeln gesellschaftliche Zustände und andersherum? Welche Faktoren beeinflussen Polarisierung? Als Tschechin mit einer Professur in Wien ist die Slowakei für sie ein nahes Forschungsziel.
    Quelle: ZDF

    ZDFheute: Auf einer Regierungs-Pressekonferenz am Freitag sagte der slowakische Vizepremier Kalinak sinngemäß, jeder solle sich im Spiegel anschauen, jeder solle sich darauf besinnen auf ein normales Niveau von Debatte zu kommen. Er sah da aber zuerst Opposition und Medien in der Pflicht.
    Durnova: ... eine unglückliche Reaktion! Alle müssen mitspielen, auch Regierungsparteien sind in der Pflicht, genau wie Opposition und Medien. Angesichts so einer grausamen Tat sollten wir nicht vergessen, dass es in den zwei Wahlkämpfen in der Slowakei heftige Rhetorik gab, auch und vor allem von den Regierungsparteien.
    Attentat auf slowakischen Regierungschef
    Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist nach einer Kabinettssitzung in der Stadt Handlová angeschossen und verletzt worden. Britta Hilpert berichtet aus Bratislava.15.05.2024 | 9:08 min
    ZDFheute: Was kann man tun?
    Durnova: Jede*r könnte etwas tun. Das mag naiv klingen, aber ich glaube, dass wir alle gemerkt haben, dass online und offline eine pro- und contra-Stimmung herrscht. Und da könnte sich jede*r in die Pflicht nehmen und fragen, ob man von der anderen Position genug weiß.
    Auch die Medien müssen schauen, ob es eine andere Argumentationslogik gibt, die über schwarz-weiß hinaus geht. Manchmal gibt es unentschlossene und weniger radikale Lager, oder nachvollziehbare Gründe, warum sich die Leute fürchten. Wir brauchen also weniger Schwarz-Weiß-Malerei. Dann würde sich die Gesellschaft besser abgeholt fühlen.
    SGS Britta Hilpert
    Der Gesundheitszustand des slowakischen Ministerpräsidenten Fico ist nach dem Attentat gestern sehr ernst, aber stabil. ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert berichtet aus Bratislava.16.05.2024 | 1:15 min
    In der soziologischen Forschung zur Polarisierung sehen wir aber einen ganz klaren Trend: dass die Polarisierung wesentlich - egal ob in Ost-, West- oder Zentral-Europa - von den politischen Eliten selbst mitgetragen wird. Die politischen Eliten sind am meisten in der Pflicht: Die geben das Vorbild der politischen, demokratischen Diskussion. Die müssen klare Zeichen setzen, was möglich und akzeptabel ist und was nicht mehr.
    ZDFheute: Gilt das besonders für die Slowakei?
    Durnova: Das gilt für die Slowakei, aber auch in anderen europäischen Staaten sollten die politischen Eliten im EU-Wahlkampf deutlicher zeigen, wie demokratischer Diskurs läuft. Es ist ein Problem überall. Man sollte nicht verallgemeinern. Wir haben Gewalt auch in anderen Ländern, auch in Deutschland.
    Heute in Europa Bilder
    Robert Fico, der neue Premierminister der Slowakei, beginnt das Land umzubauen – und geht dabei nicht sonderlich demokratisch vor. 04.12.2023 | 2:13 min
    ZDFheute: Gibt es in der Slowakei nun eine Chance auf Veränderung? Oder - im Gegenteil - weitere Polarisierung?
    Durnova: Es ist ein Schlag ins Herz der Slowakei, egal wo man politisch steht. Es wird zu einer Destabilisierung führen. Nicht unbedingt im Sinne einer Radikalisierung, aber es wird dauern, bis sich alle davon erholen, ob auf Partei-, Regierungs- oder gesellschaftlicher Ebene. Das wird sehr viel Energie brauchen.
    Das ist eine tiefe politische und gesellschaftliche Krise, die nicht in einem oder zwei Jahren erledigt sein wird. Und leider haben wir auf weltpolitischer Ebene ja auch keine guten Vorbilder unter den Großmächten.
    Das Interview führte Britta Hilpert, Studioleiterin Wien und zuständig für Osteuropa

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