Singapur und Glaubensvielfalt:So leben die Religionen friedlich zusammen
von Vera Keddigkeit
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Ob Buddhisten, Christen, Muslime, Taoisten oder Hindus – in Singapur leben sie einträchtig zusammen. Ausgerechnet scharfe Kontrollen von Staat und Polizei ermöglichen das.
In Singapur leben die verschiedensten Religionen friedlich zusammen. Zu verdanken ist das der strengen Regierung und Polizei Singapurs.
Quelle: ZDF
In den trubeligen Straßen Singapurs drängen sich zwischen den Wolkenkratzern Tempel, Moscheen, Kirchen und Synagogen. Feste wie das chinesische Neujahr, das indische Lichterfest Deepavali, das Ende des muslimischen Fastenmonats Hari Raya Puasa und das christliche Weihnachtsfest sind alle nationale Feiertage - und werden oft gemeinsam gefeiert. Immer wieder gibt es Kooperationen zwischen den Religionen: Vor einigen Jahren stellten etwa zwei taoistische Tempel ihre Zelte, die sie für Feierlichkeiten aufgebaut hatten, der benachbarten Moschee zur Verfügung, die dann dort mit 1000 Leuten das Fastenbrechen feiern konnten.
Große religiöse Vielfalt - in Singapur hat das einen Wert
Singapur ist das Land mit der größten religiösen Vielfalt der Welt. Das ergaben Untersuchungen das PEW-Centers, ein Forschungsinstitut für gesellschaftliche Analysen. Demnach sehen über die Hälfte aller Singapurer die religiöse Vielfalt als etwas Bereicherndes. Chinesen, Malaien, Inder und andere ethnische Gruppen strömten in der Kolonialzeit für Arbeitsmöglichkeiten in die Stadt: Eine multikulturelle Metropole entstand.
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Hetze gegen Religionen wird bestraft
Heute sind in Singapur knapp ein Drittel der Bevölkerung Buddhisten, 19 Prozent sind Christen - dazu 16 Prozent Muslime, 10 Prozent Taoisten und 5 Prozent Hindus. Atheisten machen etwa ein Fünftel der Bevölkerung aus. Die Besonderheit: In dem Stadtstaat, der gerade einmal so groß wie Hamburg ist, leben diese Religionen größtenteils friedlich zusammen. Dafür sorgen strenge Kontrollen der Regierung. Wer im Internet oder auf der Straße gegen andere Religionen hetzt, den erwarten Haft- und Geldstrafen.
Politische Maßnahmen für mehr Harmonie
Um die ethnischen Gruppen und damit auch Religionen zu mischen, hat der säkulare Staat bei der Wohnungsvergabe Quoten eingeführt, die festlegen, wie viele Menschen einer Ethnie in einem Gebäude wohnen dürfen. Ziel ist, dass die verschiedenen Religionen und ethnischen Gruppen in der Nachbarschaft und den örtlichen Schulen in den Austausch kommen.
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Frieden und Verständnis zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen soll auch die 1949 gegründete Inter-Religious Organisation (IRO) herstellen. Diese entstand als Reaktion auf die religiösen Spannungen und Konflikte der damaligen Zeit.
Teng-Kuan NG, Fakultätsdirektor für religiöse Studien an der Singapore Management University (SMU) sagt im Interview mit dem ZDF:
Religionsfrieden ist gut fürs Geschäft
Das Ziel Singapurs ist pragmatisch und überlebensorientiert: Singapur hat kaum Ressourcen - und hat sich als globales Finanzzentrum etabliert. Damit sich internationale große Firmen ansiedeln, muss der Stadtstaat attraktiv und sicher sein. Unruhen oder Proteste schaden dem Geschäft.
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Das Institute of Policy Studies (IPS) beschäftigt sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen. In einem Bericht von 2022 legen sie dar, dass Rassismus in Singapur trotzdem existiert. Ein Fünftel der Befragten, die einer ethnischen Minderheit angehören, gaben an, am Arbeitsplatz aufgrund ihrer Ethnie ungerecht behandelt worden zu sein. Trotz der harschen Kontrollen und Strafen gab es in den letzten Jahren vereinzelte Fälle von Online-Hassrede und geplanten Anschlägen.
Mehr Vorfälle in sozialen Medien
Die Regierung geht aktiv gegen Menschen vor, die im Internet gegen Religionen hetzen. Der minderjährige Streamer Amos Yee hatte 2016 in sozialen Netzwerken Singapurs religiöse Symbole beleidigt und verspottet. Er wurde zu einer Haftstrafe von sechs Wochen verurteilt.
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Professor Teng-Kuan Ng erklärt: "In den letzten Jahren gab es aufgrund der Macht und Verbreitung der sozialen Medien verschiedene Vorfälle, in denen ausländische islamische Radikalisten versucht haben, die religiöse Spaltung unter den Muslimen in Singapur zu schüren. Sie glauben, dass Singapur rechtmäßig zu einem malaiisch-muslimischen Gebiet gehört." Auch das wird vom Staat streng kontrolliert und bestraft.
Bis jetzt funktioniert die Strategie Singapurs aber noch: Rigide Kontrollen und politische Maßnahmen sollen ein harmonisches Miteinander der Religionen fördern. Gleichzeitig wird durch interreligiösen Dialog und Zusammenarbeit das Fundament für ein friedliches multikulturelles Land weiter gestärkt.
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