Wolodymyr Selenskyj: Der Diener des Volkes dient weiter

    Analyse

    Wolodymyr Selenskyj:Der "Diener des Volkes" dient weiter

    von Dara Hassanzadeh
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    Am 20. Mai endet Selenskyjs fünfjährige Amtszeit. Doch wegen des Krieges bleibt er zunächst auch ohne Wahl an der Macht. Die bisherige Bilanz einer ungewöhnlichen Präsidentschaft.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
    Bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft verkündete Wolodymyr Selenskyj, dass er Frieden bringen möchte.
    Quelle: dpa

    2019 trat ein neuer Politiker auf Europas Bühne. Die Vorschusslorbeeren für Selenskyj hielten sich in Grenzen. Ein Komödiant, dessen Wahlkampf so auffällig der fiktiven Blaupause seiner eigenen TV-Serie "Diener des Volkes" glich, wurde Präsident der Ukraine.
    Ein Mann ohne politische Erfahrung, von dessen neugegründeter Partei kaum mehr bekannt war, als der Name der Serie, den sie führte, sollte ein Flächenland regieren, dem Russland die Krim und Teile des Donbass genommen hatte. Vielen - in der Ukraine und im Ausland - kam dies vor wie ein Witz. Die Frage war nur: ein guter oder ein schlechter?
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    Selenskyj hat seinen Platz in der Geschichte sicher

    Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft verkündete Selenskyj, dass er Frieden bringen möchte, dass er die epidemische Korruption bekämpfen und nach einer Amtszeit abtreten werde. Keines dieser Ziele ist erreicht. Trotzdem hat Selenskyj seinen Platz in der ukrainischen und europäischen Geschichte sicher. Dass es die Ukraine heute noch als Staat gibt und beim russischen Einmarsch nicht zusammenbrach, ist ihm zu verdanken. Seiner Entschlossenheit - und Fähigkeit zur Kommunikation.
    "Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit - ich brauche Waffen!", mit diesem Satz machte Selenskyj nicht nur den amerikanischen Vorschlag, er solle aus dem sicheren Exil regieren publik, sondern stellte den Westen vor die Wahl, entweder Selenskyjs Untergang beizuwohnen oder eben Waffen zu liefern. Noch größer war die Wirkung auf die ukrainische Bevölkerung, auf die Soldaten. Ihr Staatsoberhaupt, der belächelte Komödiant, blieb in Kiew. Und tut es noch.
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    Wirkung der täglichen Videobotschaften nutzt ab

    Gerade im Mai wurde ein weiterer, der inzwischen zwölfte Mordversuch durch vermutlich russische Geheimdienste vereitelt. Der Mordkomplott reichte bis in die Reihen von Selenskyjs Personenschützer. Der erste Anschlag sei noch interessant gewesen, so Selenskyj, "danach ist es nur noch wie Covid". Selenskyj erreicht durch klare Sätze immer auch die kleinen Leute. Im dritten Kriegsjahr kommt Selenskyj noch immer auf über 60 Prozent Zustimmung, sagen Kiewer Meinungsforscher. Doch inzwischen nutzt sich die Wirkung seiner täglichen Videobotschaften ab.
    Auch der seit Kriegsbeginn im TV laufende, regierungsunkritische Nachrichtenmarathon verliert merklich an Zuschauern. Lange durften beispielsweise keine Zahlen von gefallenen ukrainischen Soldaten genannt werden, obwohl die frischen Gräber auf den Friedhöfen unübersehbar waren. Die von Selenskyj veröffentlichte Zahl von circa 31.000 toten, ukrainischen Soldaten erscheint vielen Ukrainern als zu niedrig.
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    Vorwürfe und Kritik an Selenskyj

    Insbesondere die Entlassung des von Selenskyj 2021 ernannten und im Krieg zum Volksheld aufgestiegenen Oberbefehlshaber Saluschnyj kratzte am Image des Präsidenten. Dieser forderte eine große Mobilisierung von Soldaten. Selenskyj lehnte ab, um jetzt, Monate später, doch einem allgemeinen Mobilisierungsgesetz zuzustimmen. Hinzu kommen Vorwürfe, Selenskyj mische sich zu sehr in militärische Entscheidungen ein. Führende Militärs bevorzugten einen früheren Rückzug aus Bachmut oder Awdijiwka, um Verluste zu verringern, heißt es. Selenskyjs Durchhaltewillen und sein Mut zeigt sich in solchen Entscheidungen. Doch waren sie richtig?
    Auch aus dem Parlament und den Ministerien häufen sich Beschwerden über eine autoritärer werdende Amtsführung des Präsidialamtes und das verhängte Kriegsrecht weitet die Kompetenzen des Präsidenten deutlich aus. Und trotzdem fällt die Kritik selbst aus Oppositionskreisen ausgenommen zahm aus. Denn die Existenz des ukrainischen Staates steht weiter auf dem Spiel. Und solange wird Selenskyj wohl weiter dem Volk dienen. Als Präsident.
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