Ukraine-Krieg: Was Selenskyjs Nato-Vorschlag bedeutet
FAQ
Lösung für Waffenstillstand:Was Selenskyjs Nato-Vorschlag bedeutet
von Katharina Schuster, Washington D.C.
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Selenskyj stellt im Interview mit Sky News Bedingungen für einen Waffenstillstand: Nato-Schutz für einen Teil der Ukraine. Ist sein Vorschlag überhaupt umsetzbar?
Ukraines Präsident Selenskyj hat sich zu einem möglichen Waffenstillstand mit Russland geäußert. Dafür müsse die Nato den Schutz der ukrainisch kontrollierten Gebiete gewährleisten.30.11.2024 | 0:25 min
Im Hinblick auf einen möglichen Waffenstillstand mit Russland fordert Präsident Wolodymyr Selenskyj Garantien, dass Russland nicht erneut in die Ukraine einmarschiert. In einem Interview mit dem britischen TV-Sender Sky News betont er, dass die Ukraine nur dann einem Waffenstillstand zustimmen könne, wenn die Nato ihren Schutz auf die von Kiew kontrollierten Gebiete ausdehnt.
"Das müssen wir schnell tun. Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete diplomatisch zurückerlangen", so Selenskyj weiter. Kiew habe diesen Weg bislang nicht in Betracht gezogen, weil niemand in der Nato ihn offiziell vorgeschlagen habe.
1. Ein Ende der heißen Phase des Krieges ist denkbar, wenn die Ukraine eine Einladung zur Nato-Mitgliedschaft erhält.
2. Nur die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine vereitelt Putins Kriegsziel der politischen Kontrolle über Kiew und die Ukraine. Nur durch die Nato-Mitgliedschaft wird Putin gegenüber kommuniziert, dass er dieses Kriegsziel dauerhaft und endgültig nicht erreichen können wird.
3. Im Falle einer Nato-Einladung ist ein Waffenstillstand möglich, auch wenn die Ukraine Teile ihres Landes zeitweise nicht kontrolliert und der Status dieser Gebiete ungeklärt bleibt. Eine Zuschlagung dieser Gebiete an Russland ist nicht möglich. Die alleinige Idee "Land für Frieden" ist unrealistisch.
4. Bevor diese Fragen erörtert werden können, muss Putin überhaupt an den Verhandlungstisch gedrängt werden. Bisher gibt es keine Gesprächsbereitschaft auf russischer Seite.
Selenskyjs Vorschlag realistisch?
Doch stellt sich die Frage: Ist dieser Plan angesichts der geopolitischen Realität überhaupt umsetzbar? Nein, meint Elmar Theveßen, ZDF-Korrespondent in Washington D.C. "Selenskyjs Vorschlag ist das, was man in den USA einen 'non-starter' nennt - eine Idee, die sich nicht umsetzen lässt."
Jason W. Davidson, Professor für Sicherheitspolitik an der "University of Mary Washington" in Virginia, stellt darüber hinaus im Gespräch mit ZDFheute fest, dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato - nur in Form des von ihr derzeit kontrollierten Gebiets - riskant wäre. "Angesichts dessen, dass Putin die Kontrolle über die gesamte Ukraine anstrebt und nicht aufhören wird, bis er diese Kontrolle erlangt."
Der Staat, der dem Bündnis beitreten möchte, muss die Nato schriftlich um die Aufnahme bitten.
Jeder der derzeit 31 Mitgliedsstaaten muss dem Beitritt zustimmen.
Alle Nato-Mitgliedsländer müssen das Beitrittsprotokoll ratifizieren - die Anforderungen dafür sind von Land zu Land verschieden.
Die erfolgreiche Ratifizierung muss den Vereinigten Staaten vorgelegt werden. Das legt der sogenannte Washingtoner Vertrag fest.
Wenn alle Nato-Staaten diese Protokolle unterzeichnet haben, dann lädt der Nato-Generalsekretär das potentielle neue Mitglied offiziell ein, dem Nordatlantikvertrag beizutreten.
Der künftige Bündnispartner hat damit grünes Licht und kann der Nato gemäß seines nationalen Verfahrens beitreten.
Gültig ist die Mitgliedschaft erst, wenn die Beitrittsurkunde beim US-Außenministerium hinterlegt ist.
Ist Selenskyjs Vorschlag in Trumps Sinne?
Dem designierten US-Präsidenten Donald Trump schwebe sicher auch keine Lösung vor, in der die USA zum Beistand einer Nachkriegs-Ukraine verpflichtet wären, schätzt ZDF-Korrespondent Theveßen ein. Nur der Gedanke, dass die Ukraine einer - wenn auch temporären - Zerteilung des Landes zustimmen würde, passe in Trumps mutmaßlichen Plan.
Der könnte die Überlassung der Krim an Russland und ein Einfrieren des Konflikts an der Frontlinie beinhalten. Um Putins Zustimmung zu bekommen, müsste Trump aber vermutlich noch etwas mehr bieten - zum Beispiel die Aufhebung der Sanktionen, so Theveßen.
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So sieht das auch John Hardie, stellvertretender Direktor des Russland-Programms der Foundation for Defense of Democracies (FDD). Das in Washington D.C. ansässige konservative Institut fokussiert sich auf außenpolitische und sicherheitsrelevante Themen.
Hardie betont gegenüber ZDFheute: "Ich bezweifle stark, dass der Kreml ein Abkommen akzeptieren würde, bei dem die Ukraine die Nato-Mitgliedschaft erhält."
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Wie könnte Trump auf Selenskyjs Vorschlag regieren?
Davidson, Professor für Sicherheitspolitik, kann sich nicht vorstellen, dass die nächste Trump-Regierung einer solchen Form der Mitgliedschaft zustimmen wird.
Daher sei schwer vorstellbar, dass er eine neue Last zum Schutz der Ukraine auf sich nimmt. Am ehesten könnte sich der Experte vorstellen, dass Trump die Idee einer begrenzten Mitgliedschaft als Druckmittel für Verhandlungen mit Russland in Betracht zieht.
Sicherheitsexperte Hardie ist der Ansicht, dass die "Trump-Regierung keinen festen Plan hat, wie eine Einigung aussehen könnte". Trump selbst habe sich bisher unverbindlich geäußert, "da er es wahrscheinlich vorzieht, abzuwarten, wohin die Verhandlungen führen".
Der künftige Ukraine-Russland-Beauftragte der neuen Trump-Administration, General Keith Kellogg, dürfte jedenfalls wenig Rücksicht auf die Wünsche aus Kiew nehmen, bilanziert ZDF-Korrespondent Theveßen. Kellogg gilt als Hardliner, der die ukrainische Regierung für korrupt hält.
Die Diskussion über Selenskyjs Vorschlag wird nicht nur über die Ukraine entscheiden, sondern auch darüber, wie der Westen künftig mit der russischen Bedrohung umgehen wird.
Katharina Schuster ist Reporterin im ZDF-Studio in Washington D.C.
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