Mehr Indien, weniger China: Warum der Kanzler auf Reise ist

    Mehr Indien, weniger China :Warum der Kanzler auf Indien-Reise ist

    von Wulf Schmiese
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    Deutschland sucht enge Partnerschaften mit Indien - dazu reist die Ampel-Regierung zu Gesprächen nach Neu-Delhi und Goa. Was Scholz, Habeck und Co. dort konkret erreichen wollen.

    Deutsch-indische Regierungskonsultationen
    Scholz, Habeck und Heil sind zu Gast in Neu-Delhi. Das Ziel: Eine enge Partnerschaft, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln und unabhängiger von China zu werden.24.10.2024 | 2:47 min
    Es geht buchstäblich um viel: Um die Gunst des bevölkerungsreichsten Landes der Welt. Fast 1,5 Milliarden Menschen leben in Indien, 30 Millionen mehr als in China. Deutschland sucht engere Beziehungen zum auch wirtschaftlich boomenden Indien, das bereits die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt ist.
    Die deutsche Regierung trifft sich für drei Tage mit der Indiens in Neu-Delhi und in Goa. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sind bereits in Indien, Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) werden am Abend einfliegen; Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) werden am Freitag erwartet.

    Deutsche Zusammensetzung zeigt Erwartungen an Treffen

    Diese Zusammensetzung zeigt bereits die deutschen Erwartungen an diese deutsch-indischen Regierungskonsultationen - sprich: Wirtschaft, Arbeit, Verteidigung, Geopolitik und Bildungsaustausch.
    So heißt es offiziell, wenn sich zwei Kabinette regelmäßig treffen. Das macht Deutschland jeweils mit insgesamt einem Dutzend Staaten. Seit 2011 im Zwei-Jahrestakt auch mit China und ebenso mit Indien.
    indische-fachkraefte
    Die Bundesregierung reist zu wichtigen Gesprächen nach Indien. Im Fokus steht besonders die Anwerbung von Fachkräften – sie werden dringend auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebraucht. 24.10.2024 | 2:35 min

    Indien erscheint aktuell höher im Kurs

    Doch derzeit erscheint Indien höher im Kurs. Denn es gilt als "deutlich zuverlässigerer Partner", wie es Regierungsberater und Indien-Fachmann Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik bewertet.
    Im Gegensatz zu China ist Indien nicht "anti-westlich" eingestellt. Zwar trete Indien unter seinem hindunationalistischen Staatschef Narenda Modi bewusst "nichtwestlich" auf, so Wagner. Wegen autokratischem Anmuten des Regierungschefs gelte Indien der Bundesregierung auch nicht mehr wirklich als "Wertepartner" Deutschlands, aber doch als "Schlüsselpartner" von den Ländern des Globalen Südens.
    Indien und ‚Made in Germany‘
    In Zeiten, in denen Deutschlands Wirtschaft kriselt, verlagern Firmen ihre Produktion ins Ausland. Zum Beispiel verstärkt nach Indien, wo Arbeitskräfte günstig sind und die Energiepreise niedrig.16.09.2024 | 2:19 min
    Denn es sei nicht nur als Atommacht, sondern wegen seiner schieren Größe "von hegemonialer Bedeutung".

    Habeck will Freihandelsabkommen zwischen Indien und EU

    Habeck drängt auf ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU. "Seit 20 Jahren wird darüber verhandelt, das ist nicht gerade Deutschlandtempo", sagte der Grünen-Politiker vor seiner Abreise nach Neu-Delhi. "Mal gucken, ob wir ein paar Knoten lösen können."
    Könnte schwer werden, vermutet Fachmann Wagner. Denn Indien sehe in EU-Vorgaben wie Lieferkettengesetz oder Entwaldungsverboten "koloniale Handelshindernisse", heißt: Bevormundung. So etwas halte Indien, das seit 1947 keine britische Kolonie mehr ist, ab von einengenden Verträgen.
    Indien-Experte Christian Wagner
    Was erwartet Olaf Scholz auf seiner Reise nach Indien? Christian Wagner, Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik im Interview.23.10.2024 | 5:08 min
    Der Kanzler und seine Leute werden es dennoch versuchen und an der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft und am Freitag teilnehmen.

    Arbeitsminister will Fachkräfte aus Indien abwerben

    Minister Heil will vor allem Fachkräfte abwerben. Indien sei dafür ein "idealer Partner", sagt der Arbeitsminister, weil dort "pro Monat eine Million Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt" kämen. Eben erst beschloss das Kabinett eine Strategie, wie man Fachkräfte aus Indien für ein Leben in Deutschland leichter begeistern könne.
    Das wird seit zwei Jahrzehnten vor allem bei IT-Kräften versucht, aber mit mäßigem Erfolg. Wagner glaubt, dass heute jedoch viele für Pflegeberufe nach Deutschland kommen könnten. An den deutschen Universitäten seien inzwischen insgesamt 50.000 Inderinnen und Inder bereits die größte Gruppe aus dem Ausland.
    Deswegen ist auch die Bildungsministerin im Reisekader. Der Kanzler wird am Samstag im indischen Hippie-Staat Goa eine Universität besuchen.

    Bei der Reise geht es um ein Zeichen der Freiheit

    Olaf Scholz allerdings hofft auf Indiens Weisheit als Mittler im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Berater Wagner sagt, dass Indien zwar als Verhandler denkbar und wohl auch bereit sei, sogar Gastgeber einer möglichen Friedenskonferenz sein könnte. Aber es habe keinen wirklichen Friedensplan, weshalb daran nicht zu große Hoffnungen geknüpft werden sollten.
    ZDFheute live: Brics-Gipfel
    Im russischen Kasan treffen sich die Brics-Mitglieder zum Gipfel. Welche Bedeutung hat das Bündnis wirtschaftlich und sicherheitspolitisch für den Westen? ZDFheute live analysiert.22.10.2024 | 35:26 min
    Gemeinsam mit Verteidigungsminister Pistorius wird der Kanzler zum Abschluss der Visite am Samstag noch in der Hafenstadt Vasco da Gama im Bundesstaat Goa zwei deutsche Marine-Schiffe besuchen, die derzeit im Indo-Pazifik unterwegs sind.
    Denn es geht bei der Reise um ein Zeichen für die Freiheit - der Meere, des Handels und der Welt. Dafür sieht die Bundesregierung in Indien, der größten Demokratie, einen wesentlichen Partner.

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    Quelle: ZDF

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