Scholz vs. Macron: Wer führt Europa?

Der französische Präsident Emmanuel Macron inszeniert sich gern als Boxer: Als jemand, der durchgreift in Frankreich und Europa. Als ein Anführer, allzeit bereit in den Ring zu steigen, einer, der Europa im Alleingang rettet. Ein Gegenentwurf zu Bundeskanzler Olaf Scholz.

Schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit hat Macron Europa zu seinem großen Thema gemacht. Aber seine Ideen für einen europäischen Superstaat, eine militärisch und wirtschaftlich souveräne EU, verhallten unbeantwortet. Vor allem Deutschland blieb als Partner eines europäischen Motors vage und zurückhaltend.

Kurz vor den Europawahlen am 9. Juni 2024 liegt Marine Le Pens rechtsextremer Rassemblement National in allen Umfragen deutlich vorn. Macron steht unter Zugzwang. Für ihn sind die Wahlen eine Entscheidung zwischen Krieg und Frieden auf dem Kontinent.

Macron prescht voran, macht immer wieder neue Vorschläge, wie zuletzt die Entsendung von europäischen Bodentruppen in die Ukraine. Deutschland sendet darauf vehementen Widerspruch. Keine Bodentruppen, keine europäischen Soldaten auf ukrainischem Boden, heißt es aus dem Kanzleramt.

Warum also diese unterschiedliche Geschwindigkeit in Europa? Warum testet Frankreichs Präsident die Grenzen der Gemeinsamkeit immer wieder aus und drängt Deutschland zu Diskussionen, die Berlin gerne vermeiden würde?

Macron hat eine Strategie und die kann er verfolgen, weil es seine Rolle erlaubt. Koalitionen kennt man in Frankreich nicht. Ein langjähriger Beobachter seiner Politik, der Autor Joseph de Weck, bezeichnet Macron als wagemutigen Politiker mit einer gewissen Portion Größenwahn, der ausspricht, was ihn umtreibt. Und das sei vor allem die Sorge, ob sich Europa noch auf die USA und die NATO verlassen könne.

An Nationalfeiertagen marschieren jedes Jahr Tausende Soldaten durch Paris, rollen Panzer am Triumphbogen vorbei und Kampfjets malen Frankreichs Nationalfarben an den Himmel. Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht in der EU. Stärke und militärische Macht sind Teil des französischen Selbstverständnisses. Aber Frankreich kann alleine nicht mehr stark sein in dieser Welt. Dafür braucht es Europa und darum ringt Emmanuel Macron, für ein starkes Mandat in Europa.

Die deutsche Regierung hingegen verlässt sich nicht auf Frankreichs militärische Stärke. Bundeskanzler Olaf Scholz setzt weiter auf die USA, lässt dort Waffen kaufen, um die eigene Verteidigung zu sichern. Bei den französischen Nachbarn, die viel Wert auf ihre Unabhängigkeit legen, stößt das auf Unverständnis.

Scholz spielt auf Zeit, setzt auf langfristige Stabilität. Macron will einen Platz in der Geschichte als Reformer Europas und seine Zeit wird knapp. Diese Wahlen in Europa sind seine letzte Chance, um die Richtung vorzugeben.

Auch wenn die Herausforderungen für beide Länder sehr ähnlich sind, Wirtschaftsdruck und Rechtspopulisten die Regierungen unter Druck setzen, es gelingt kaum, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen. Frankreich drängt auf neue Schulden, auf eine gemeinsame Verteidigung und einen gemeinsamen Energie-Markt. Und Deutschland zögert trotz Krise und trotz Zeitenwende, mehr Freundschaft und mehr Europa zu wagen. Sie liegen gerade ziemlich weit auseinander, diese ziemlich fremden Freunde Marcon und Scholz.