Krieg und Sanktionen: Geht Russland bald das Geld aus?

    Krieg und Sanktionen:Geht Russlands Wirtschaft bald das Geld aus?

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    von Nils Metzger
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    Wladimir Putin will seine Militärausgaben 2024 weiter steigern. Wie lange kann die russische Wirtschaft die Kriegstoten und westlichen Sanktionen noch wegstecken?

    Archiv: Der Kreml in Moskau, aufgenommen am 04.05.2022
    Der Kreml in Moskau: Vom Ukraine-Krieg sollen die Russen so wenig wie möglich ökonomisch spüren - wie lange kann das funktionieren? (Archivbild)
    Quelle: epa

    Krieg? Welcher Krieg? Wer sich in Russland nicht für Politik interessiert, wer die nationalistischen Plakatmotive in den Innenstädten und die geifernden Fernseh-Kommentatoren ausblendet, der kann sehr gut verdrängen, dass sein Land seit bald zwei Jahren einen blutigen Eroberungskrieg in der Ukraine führt. Das Leiden und Sterben ist meist weit weg - was ganz im Interesse des russischen Präsidenten Wladimir Putins ist.
    Doch diese innenpolitische Strategie ist an eine Bedingung geknüpft: Der Wirtschaft muss es nach außen hin gut gehen und die Regale gefüllt bleiben. Bislang gelingt das - ein paar Markenprodukte und internationale Ketten sind verschwunden, doch Kollaps und Mega-Inflation blieben bislang aus. Die russische Rüstungsindustrie konnte ihre Kapazitäten gar ausbauen. Woran liegt das und wie lange kann Russland diesen Schein aufrecht erhalten?

    Russlands wachsender Mangel an Arbeitskräften

    Russische Arbeitslosenrate auf Rekordtief - so meldeten es die Agenturen Ende November. Landesweit waren nur 2,9 Prozent der Menschen ohne Arbeit. Was diese Nachricht auch bedeutet: Der russischen Volkswirtschaft gehen die Menschen aus. Einer Schätzung der russischen Zentralbank zufolge sind bereits zwei Drittel aller Firmen von Fachkräftemangel betroffen.
    Massiv sind die Folgen für die ländlichen Gebiete, in denen die russischen Streitkräfte einen großen Teil ihrer Soldaten rekrutieren. Ganze Landstriche verlieren aktuell ihre produktivste Generation, was Überalterung und Arbeitskräftemangel in 10 bis 20 Jahren weiter verschärfen wird. Einer Untersuchung der russischen Wirtschaftsberatung Finexpertiza zufolge ist allein 2022 die Zahl junger Arbeitnehmer unter 35 Jahren um 1,3 Millionen gefallen.

    Wir befinden uns in einer Situation, in der die Wirtschaft quasi alle verfügbaren Ressourcen nutzt, das bezieht sich auf Arbeitskräfte und Produktionskapazitäten.

    Russlands Zentralbankchefin Elvira Nabiullina

    In den industriellen Zentren und Großstädten versuchen viele Firmen Angestellte durch Lohnsteigerungen zu halten - im Jahresvergleich stiegen Löhne um 17,2 Prozent, während die Inflation im November bei 7,5 Prozent lag. Um die Inflation zu begrenzen hat Russland den Leitzins im Dezember auf drastische 16 Prozent angehoben. Für Unternehmen, die sich zu diesen Zinssätzen Geld leihen müssen, ist das eine massive zusätzliche Belastung, die nötige Investitionen verhindert.

    Moskaus Finanzreserven sind endlich

    Zwar konnte Russland einen Teil seines Außenhandels vorbei an den westlichen Sanktionen leiten, doch von den internationalen Finanzmärkten ist das Land weitgehend ausgeschlossen, wodurch etwa in Rubel gehandelte Unternehmensanteile deutlich an Wert verloren. Eine weitere Folge: Mittelfristig könnte Moskau das Geld ausgehen. Allein 280 Milliarden Dollar an russischen Währungsreserven im Ausland wurden in Folge der Sanktionen eingefroren.
    Noch immer zehrt Putins Kriegskasse vom Rekordjahr 2022. Da beliefen sich die russischen Exporte auf 628 Milliarden Dollar - angetrieben von drastisch gestiegenen Öl- und Gaspreisen. Dass Russland vom Schock-Effekt der Sanktionen auf die Energiemärkte dauerhaft profitiert, erweist sich inzwischen jedoch als Trugschluss. 2023 fielen die Preise und bereits in den ersten neun Monaten des Jahres lag das russische Exportvolumen fast 30 Prozent unter dem Vorjahr, während die Importe um rund 18 Prozent stiegen. Der Gasriese Gazprom gab vor Weihnachten bekannt, dass sein Jahresumsatz um etwa 40 Prozent einbrechen werde.

    Staatshaushalt setzt voll auf Kriegsproduktion

    Ende November beschloss Putin sein Jahresbudget für 2024. Für den Sicherheits- und Verteidigungssektor sind dort fast 40 Prozent aller Ausgaben vorgesehen - selbst gegenüber dem Kriegsjahr 2023 ein Plus von 70 Prozent bei den Militärausgaben. Zwar hat Russland seit Jahren eine überaus geringe Staatsschuldenquote, doch der Spielraum, diese Mehrausgaben über Schulden zu finanzieren, ist begrenzt. In einem Gastbeitrag für die "Moscow Times" merkt der schwedische Ökonom Anders Aslund an:

    Putins Problem ist, dass er kein größeres Staatsdefizit finanzieren kann, weil die westlichen Sanktionen Russland davon abhalten, im Ausland Geld zu leihen (…). Niemand will oder traut sich noch, Russland Geld zu leihen.

    Anders Aslund, Ökonom und Osteuropa-Experte

    Also bleibt eine Option: "Die rapide anwachsenden Militär- und Sozialausgaben im Budget werden größtenteils über eine schrittweise Entwertung des Rubels finanziert", schreiben Pavel Luzin und Alexandra Prokopenko in einer Analyse des russischen Staatshaushalts für die US-Denkfabrik Carnegie Endowment. Mittelfristig wird das zu deutlich steigenden Verbraucherpreisen führen.
    Rotes Luxusauto
    Luxuskarossen aus Deutschland stehen in Russland hoch im Kurs. Seitdem der Angriffskrieg auf die Ukraine begann, wurde auch der Export von deutschen Luxusprodukten eingeschränkt. 13.12.2023 | 15:33 min

    Wie lange kann der Kreml den Krieg finanzieren?

    Ein Grund, warum es länger dauern könnte, bis die Risse in Russlands ökonomischem Fundament offensichtlich werden: Seit Kriegsbeginn haben die Behörden die Veröffentlichung zahlreicher Statistiken zu Außenhandel oder Staatsschulden eingestellt. Ein Team von Yale-Forschern warnte internationale Organisationen wie den Internationalen Währungsfonds davor, die vorhandenen russischen Zahlen für bare Münze zu nehmen.
    Die überaus guten Wachstumsprognosen, die Russland bislang offiziell vermeldet, eigenen sich perfekt als Propaganda; als Argument, dass man den Sanktionen trotze und es der Wirtschaft blendend gehe. Jedoch ist es zu großen Teilen der Rüstungssektor und nachgegliederte Industrien, die dieses Wachstum tragen. Sollte Russlands Feldzug gegen seinen Nachbarn abrupt enden, oder ginge dem Kreml doch das Geld aus, stünde Russlands Volkswirtschaft vor harten Zeiten.
    "Indem er voll auf Militärausgaben setzt, zwingt der Kreml die Wirtschaft in einen dauerhaften Kriegszustand", so Luzin und Prokopenko. "Es wird für den Staat zunehmend schwierig, die Kämpfe in der Ukraine zu finanzieren, ohne dass der Lebensstandard sinkt. Ein Schrumpfen der Militärausgaben wird hingegen unausweichlich einen signifikanten Schock auslösen, dessen Überwindung einige Zeit braucht."
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    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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