Das System Putin:Wie sich Russlands Bürger gegenseitig verraten
von Armin Coerper, Moskau
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In Putins Reich soll sich niemand sicher fühlen. Das System der Verfolgung erinnert an die Stalinzeit und profitiert von Bürgern in Russland, die ihre Mitmenschen denunzieren.
Die kleinste Kritik am Ukraine-Krieg kann in Russland den Weg hinter Gitter bedeuten. Ob Ärzte, Priester, Lehrer oder Schüler - das Denunziantentum kann jeden treffen. 31.07.2024 | 13:51 min
Eine Frau steht vor Gericht. Sie ist Kinderärztin und 72 Jahre alt. In Handschellen wird sie in einen dieser Glaskäfige geführt, die mittlerweile die ganze Welt aus russischen Gerichtssälen kennt. Nadeschda Bujanowa soll einem Patienten, einem Kind, gesagt haben, dass der Krieg gegen die Ukraine sinnlos ist. Dafür hat die Mutter des Patienten sie angezeigt.
Angeklagte Kinderärztin: "Ich bin nicht schuldig"
Frau Bujanowa hat die Augen weit offen, sie schaut hektisch in den Saal. Man kann die Angst in ihrem Gesicht lesen, auf das die Kameras fokussiert sind, als die Angeklagte aus dem Glaskasten spricht.
Russische Oppositionelle im Exil: Wie gefährlich leben Putin-Gegner?10.05.2024 | 44:56 min
Bujanowa sagt weiter: "Das alles ist moralisch sehr schwierig für mich. Ich bin mein ganzes Leben lang ein bescheidener Mensch gewesen. Aber wie heißt es in 'Der Meister und Margarita'? Ein Mensch weiß nie, was in den nächsten fünf Minuten mit ihm passiert."
Der Roman "Der Meister und Margarita" des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow ist ein Klassiker aus der Stalinzeit. Daran kann man sich hier durchaus erinnert fühlen. Auch damals baute das System des Diktators darauf, dass Bürger ihre Mitmenschen anschwärzen. Viele taten dies, um so zu versuchen, sich selbst vor Verfolgung zu schützen.
Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" spielt im Russland unter Stalin. Die Neuverfilmung weist ungeahnte Parallelen zur heutigen Zeit und zu Putins Propagandaapparat auf. 07.03.2024 | 3:07 min
System um Wladimir Putin: Stalinismus reloaded
Auch heute setzt das System Wladimir Putin zunehmend auf das Denunziantentum. Die Anklage lautet dann auf Diskreditierung der Armee, Diskreditierung des Präsidenten oder Verbreitung von Fake News. Warum geben sich Menschen wieder dafür her, ihre Mitmenschen anzuschwärzen? Die Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa sagt dazu:
Scherbakowa ist Chefin der Menschenrechtsorganisation "Memorial", die die Verbrechen des Stalinismus aufarbeiten wollte und dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde.
Sie beschreibt die Angst genau: Es sei "diese Angst, die noch von dem Massenterror in den 1930er Jahren über Generationen verinnerlicht und weitergegeben wurde. Angst vor allem, was vielleicht aus der Reihe tanzt. Angst davor, selbst als jemand denunziert zu werden, der das gutheißt." Scherbakowa hat ihre Heimat längst verlassen.
Er täuscht seine Gegner, verbreitet Angst und Schrecken und gibt sich als neuer Zar. Wladimir Putin herrscht mit eisernen Mitteln. Ist Russlands Präsident wirklich unberechenbar?15.03.2024 | 21:10 min
Russland: Täglich Prozesse gegen Kreml-Gegner
Jeden Tag finden irgendwo in Russland solche Prozesse statt, gegen Oppositionelle, Aktivisten, Künstler und zuletzt auch gegen immer mehr eigentlich unauffällige Bürger. In Moskau standen fast ein Jahr lang die Theaterregisseurin Jewgenija Berkowitsch und die Dramaturgin Swetlana Petrijtschuk vor Gericht. Einer im Publikum hatte sie angezeigt, dass ihr Stück den Terrorismus verherrliche. Dafür wurden sie zu jeweils sechs Jahren Lagerhaft verurteilt.
Auf YouTube fordert Dmitrij Muratow von seinen Landsleuten Solidarität mit den Frauen. Auch er, der ehemalige Chefredakteur der Zeitung "Nowaja Gazeta", ist Träger des Friedensnobelpreises und eine der wenigen kritischen Stimmen, die sich noch aus Russland zu Wort melden.
Die Kinderärztin Nadeschda Bujanowa ist eine von vielen, die in Untersuchungshaft auf ihr Urteil warten. Es könnten mehrere Jahre Lagerhaft werden. Im Gerichtssaal ist auch die Denunziantin, die Mutter des Kindes, vor dem Bujanowa den Krieg kritisierte. Sie schaut trotzig in den Saal auf ihr Opfer. Weil sie sich offensichtlich in Putins Reich im Recht fühlt.
Armin Coerper leitet das ZDF-Studio in Moskau.
Wer unterstützt Alina Lipp bei ihrer Arbeit, und wie eng ist ihre Verbindung zu den Mächtigen im Kreml? Wie finanziert sie ihre Arbeit und welche Folgen hat diese in Deutschland?21.09.2023 | 31:29 min
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