Wie Russland versehentlich eigene Städte bombardiert

    Bericht zu fehlgeleiteten Waffen:Warum Russlands Bomben eigene Städte treffen

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Mehrfach bombardierte Russland offenbar aus Versehen eigene Städte in Grenznähe. Das hat auch mit dem massiven Einsatz neuartiger Gleitbomben zu tun. Doch die Waffen werden besser.

    Militärexperte Fabian Hoffmann bei ZDFheute live.
    Ein Bericht der "Washington Post" zeigt: Russische Gleitbomben treffen offenbar eigenes Gebiet. Dafür seien vor allem Qualitätsmängel verantwortlich, so Militärexperte Hoffmann. 02.07.2024 | 9:04 min
    Am 12. Mai gab es in der russischen Großstadt Belgorod eine Explosion, die ein zehnstöckiges Wohnhaus zum Einsturz brachte. 17 Menschen starben dabei. Von Belgorod sind es nur 30 Kilometer bis zur ukrainischen Grenze. In Folge der russischen Offensive gegen Charkiw war die Region in den letzten Monaten vermehrt Ziel und Ausgangspunkt gegenseitiger Angriffe.
    Für russische Offizielle war der Verursacher der tödlichen Explosion von Belgorod schnell gefunden: eine ukrainische Rakete. Russland leitete Ermittlungen wegen "Terrorismus" ein. Ein Bericht der "Washington Post" von Montag deutet jedoch darauf hin, dass dieser und viele ähnliche Vorfälle auf fehlgeleitete russische Bomben und Raketen zurückgehen.

    Liste mit fehlgeleiteten russischen Bomben zugespielt

    Der US-Zeitung liege eine vom ukrainischen Geheimdienst abgefangene Liste des Katastrophenschutzes der Region Belgorod vor. Sie führe 38 Fälle auf, in denen russische Gleitbomben auf eigenem Gebiet abgestürzt seien. Die Liste umfasse einen Zeitraum von April 2023 bis April 2024, schreibt die "Washington Post".
    Vier Bomben seien in der 400.000 Einwohner zählenden Stadt Belgorod eingeschlagen, die meisten in ländlichen Regionen im Umland. Wegen der Kämpfe hätten russische Kampfmittelexperten nicht in allen Fällen eine Räumung oder Entschärfung durchführen können, wird das abgefangene Dokument zitiert.
    Militärexperte Marcus Keupp, Ukraine Karte, Panzer
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    Die Zahlen passen zu früheren Berichten russischer Investigativmedien: Die Plattform "The Insider" hatte etwa im Mai von 37 Vorfällen mit fehlgeleiteter Munition in der Region Belgorod berichtet. Die "Washington Post" verweist auch auf das unabhängige russische Medium "Astra", das viele der in der Liste genannten Vorfälle anhand lokaler Medienberichte und Augenzeugenberichte verifiziert habe.
    Diese Zahlen bieten nur einen groben Einblick, insgesamt dürfte es noch deutlich mehr vergleichbare Vorfälle gegeben haben, auch in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine.
    Der österreichische Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in Wien sagte dazu ZDFheute: "In den letzten Monaten hat man circa 100 nachweisliche Fehlabwürfe dieser Bomben festgestellt. Die Fehlerraten sind im Vergleich zu westlichen Waffensystemen hoch."

    Fünf bis zehn Prozent der eingesetzten Gleitbomben verursachen Fehltreffer und Fehlabwürfe. Bei westlichen Waffen toleriert man Quoten von unter einem oder zwei Prozent.

    Oberst Markus Reisner, Theresianische Militärakademie

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    Wer steckt hinter der Explosion von Belgorod?

    An Russlands Vorwürfen, die Ukraine stecke hinter dem zerstörten Wohnblock in Belgorod, gibt es begründete Zweifel. Eine Analyse vom Conflict Intelligence Team (CIT), einer russischen Expertengruppe, die seit vielen Jahren Berichte aus Kriegsgebieten verifiziert, zeigt: Bilder des Einschlags und des anschließenden Trümmerbilds belegen, dass eine Rakete oder Bombe das Gebäude aus nordöstlicher Richtung traf. Die ukrainischen Stellungen lägen jedoch in südwestlicher Richtung, ein ukrainischer Angriff hätte also aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung erfolgen müssen.
    "Nach Studium und Analyse aller vorhandenen visuellen Daten kommen wir mit hoher Gewissheit zu dem Schluss, dass das Gebäude aus dem Nordosten getroffen wurde", schreibt das Conflict Intelligence Team in einem Bericht. Eine ukrainische Rakete hätte ihre Flugbahn deutlich verändern müssen, um dieses Schadensbild zu bewirken, was die Experten für unwahrscheinlich halten.

    Wir tendieren dazu, dass der Einsturz entweder durch eine fehlgeleitete Flugabwehrrakete oder in Folge eines versehentlichen Abwurfs einer Fliegerbombe ausgelöst wurde.

    Analyse von Conflict Intelligence Team

    Laut "Washington Post" seien auch für Explosionen am 4. Mai in Belgorod und am 15. Juni in der Stadt Schebekino wahrscheinlich fehlgeleitete russische Bomben verantwortlich.
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    Wie unzuverlässig sind Gleitbomben?

    Die sogenannten Gleitbomben sind eine Kombination aus neuer und alter Waffentechnik im russischen Arsenal. Dabei wird alten Fliegerbomben ein Paket aus Flügeln und Leitsystem umgeschnallt - so erhalten sie eine Reichweite von bis zu 60 Kilometern und können während des Flugs rudimentär gesteuert werden. Russische Flugzeuge können beim Abwurf so außerhalb der Reichweite ukrainischer Flugabwehr bleiben.
    "Russland hat immer wieder versucht, neue Waffen einzuführen. Das passiert überhastet und produziert genau diese unbeabsichtigten Abwürfe und geringe Treffergenauigkeit", betont Reisner. Das Problem seien oft gar nicht die Bomben selbst oder ihr Steuerungsmechanismus, sondern das für Transport und Abwurf eingesetzte Kampfflugzeug. "Die Aufhängevorrichtung und Elektronik der Su-34, dem Arbeitspferd der russischen Luftwaffe, sind für diese Bomben noch nicht ganz ausgereift. Das ist auch ein Grund, warum sie immer wieder verlorengehen."
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    Gleitbomben großes Problem für Ukraine

    Trotzdem seien die russischen Gleitbomben überaus erfolgreich und ein großes Problem für die ukrainischen Streitkräfte, so Reisner. "Laut dem ukrainischen Präsidenten wurden zuletzt über 800 davon innerhalb einer Woche abgeworfen." Die Ukraine habe kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Russland baut seine Fertigung aus und setzt dabei auf Bomben mit immer größeren Sprengsätzen. "Vor einigen Monaten setze Russland vor allem Gleitbomben mit geringerem Gewicht ein, 250 oder 500 Kilogramm. Jetzt haben wir sogar Einsätze von bis zu 3.000 Kilogramm. Eine einzelne derartige Bombe kann einen ganzen ukrainischen Stützpunkt zerstören", sagt Reisner.

    Es gab eine große Zunahme der Treffergenauigkeit in den letzten Wochen. Russland arbeitet permanent daran, diese Systeme zu verbessern.

    Oberst Markus Reisner, Theresianische Militärakademie

    Es ist ein ständiger Wettlauf um neue Technologien für das Schlachtfeld. Moskaus Abwägung scheint dabei klar: Der militärische Vorteil wiegt im Zweifel schwerer als die Sicherheit der eigenen Bevölkerung.

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