Ukrainische Journalistin stirbt durch Putins Foltersystem
Exklusiv
Der Fall Wiktorija Roschtschyna:Journalistin stirbt durch Putins Foltersystem
von Joachim Bartz, Julia Klaus, Dajana Kollig
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Die Journalistin Wiktorija Roschtschyna recherchierte zu Putins Foltergefängnissen in der Ostukraine. Dabei wurde sie eingesperrt und starb. Ihre Leiche weist Folterspuren auf.
Die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna wollte Folter dokumentieren - und wurde selbst zum Opfer. Recherchen zu einem erschütternden Schicksal in russischer Haft.29.04.2025 | 2:49 min
Sie wollte zu den finsteren Orten russischer Besatzung recherchieren und kehrte von dort nicht lebend zurück. Die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna suchte nach Putins Folterkellern in der russisch besetzten Ostukraine. Dabei wurde sie selbst verschleppt, eingesperrt und offenbar gefoltert. Am 14. Februar 2025 wurde ihre stark verweste Leiche an die Ukraine übergeben.
Der Körper wurde tiefgefroren übergeben, mit späten Leichenveränderungen in Form von ausgeprägter Austrocknung (Mumifizierung), Fäulnis, teilweiser Ablösung der Epidermis und Gewichtsverlust mit ausgeprägten Anzeichen von Mangelernährung.
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Ukrainische Staatsanwaltschaft
Laut ukrainischer Staatsanwaltschaft zeigte ihr Körper zahlreiche Spuren von Folter und Misshandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt es, ihr Zungenbein sei gebrochen und sie habe Verbrennungen an ihren Füßen. Ihr Gehirn, ihre Augen und Teile ihres Kehlkopfs seien von russischer Seite entfernt worden. Damit wird der Nachweis von Folter womöglich wesentlich erschwert.
Die Ukraine wird nicht nur mit Raketen und Panzern angegriffen: Auch Vergewaltigung, Folter und sexualisierter Gewalt durch die russische Armee sind Teil des Krieges.01.12.2024 | 2:53 min
Ein internationales Rechercheteam von ZDF frontal, Spiegel, Washington Post und Forbidden Stories hat den Fall rekonstruiert. Er zeigt Putins brutales System aus Einschüchterung durch Terror.
Diese Recherche ist Teil des "Viktoriia-Projekts", initiiert und koordiniert von Forbidden Stories, einem gemeinnützigen Recherchenetzwerk mit Sitz in Paris. Die Organisation setzt sich zum Ziel, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten fortzusetzen, die wegen ihrer Recherchen bedroht, inhaftiert oder getötet wurden. Nach dem Tod der ukrainischen Journalistin Wiktorija Roschtschyna im September 2024 startete Forbidden Stories gemeinsam mit dem ZDF, dem "Spiegel" sowie zehn weiteren internationalen Partnern eine mehrmonatige Recherche. Das Viktoriia-Projekt verfolgt die letzten Recherchen der Journalistin weiter - unter anderem zu jenen russischen Foltergefängnissen, in denen seit Russlands Angriff auf die Ukraine Tausende Zivilisten verschwunden sind.
Der Weg Roschtschynas bis zum Kernkraftwerk
Im Sommer 2023 begibt sich Wiktorija Roschtschyna auf die Recherchereise, die ihre letzte sein wird. Ihr Weg führt von der Ukraine nach Polen und weiter nach Lettland. Hier passiert sie - vermutlich zu Fuß - die Grenze zu Russland und reist über russisches Gebiet in russisch besetztes Gebiet der Ukraine - in die Stadt Enerhodar. Dort befindet sich das Kernkraftwerk Saporischschja.
Kurz nach Kriegsbeginn wurde es von russischen Truppen besetzt. Danach gab es Hinweise auf Terror der Russen gegen ukrainische Mitarbeiter. Im September 2022 enthüllte ZDF frontal, dass Beschäftigte des Kraftwerkes gefoltert wurden.
Präsident Trump will die ukrainischen AKW unter US-Kontrolle bringen. Was er damit bezweckt und wo die Gespräche über eine Waffenruhe stehen. "ZDFheute live" ordnet ein.20.03.2025 | 31:36 min
Roschtschynas Recherche zu verschwundenen AKW-Mitarbeitern
Wo die Verschwundenen sind, will auch Roschtschyna wissen, als sie Anfang August 2023 in die Region Saporischschja kommt. Bei ihren Recherchen hilft ihr ein Mann, der noch immer in den russisch besetzten Gebieten lebt und deshalb nicht erkannt werden will.
Sie wollte mehr erfahren über gefangene Mitarbeiter des Atomkraftwerks Saporischschja, was man mit ihnen macht, wohin sie verschwinden. Sie stellte immer wieder die Frage, wohin die Leute wohl verschwinden könnten. Sie wollte über Kontakte in Enerhodar herausfinden, wo es Folterkammern gibt.
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Zeuge aus Saporischschja
Die meisten Beschäftigten des AKW Saporischschja leben in der Stadt Enerhodar. Hier wollte Roschtschyna recherchieren.
Gesprächsbereitschaft in der Ukraine gebe es "erst nach einer Waffenruhe", berichtet ZDF-Reporterin Alica Jung aus Odessa. 28.04.2025 | 2:30 min
Die Festnahme und ein letztes Zeichen
Am 3. August 2023 schickt Roschtschyna eine letzte Nachricht an ihre Familie. Danach bricht der Kontakt ab. Sie wird festgenommen und auf eine Polizeistation in Enerhodar gebracht, erzählt sie später einer Mitgefangenen.
Von Enerhodar wird Roschtschyna nach Melitopol entführt, wo sie mehrere Monate festgehalten wird - laut ukrainischen Ermittlern vermutlich in Garagen, die zu Foltergefängnissen umgebaut wurden.
Roschtschynas Eltern melden die Tochter im August als vermisst und erstatten im September 2023 Anzeige.
Mit großer Brutalität geht die russische Armee in der Ukraine vor. Die Hinrichtung von fast 100 Kriegsgefangenen ist dokumentiert, auch in eigenen Reihen ist Gewalt verbreitet.
von Christian Mölling und András Rácz
Analyse
Zellengenossin aus Taganrog berichtet von Wunden
Im Dezember 2023 wird Wiktorija Roschtschyna laut Zeugenaussagen in die russische Stadt Taganrog verlegt, 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Hier hält der russische Geheimdienst FSB Hunderte ukrainische Zivilisten und Militärangehörige gefangen. Dafür gibt es Zeugen.
Es gibt eine Frau, die mit Wiktorija Roschtschyna eine Zelle teilte und inzwischen freigelassen wurde. Ukrainischen Ermittlern gegenüber hat sie ausgesagt, wie sie die Journalistin im Gefängnis erlebte:
Ich sah mehrere Schnitte an ihrem Körper, besonders an ihrem Arm und Bein. Sie hatte eine frische Messernarbe - zwischen dem Handgelenk und dem Ellenbogen, sozusagen am Unterarm. Und die Narbe war ungefähr drei Zentimeter lang. Es war wie ein Einstich.
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Zellengenossin
Roschtschyna erzählte ihrer Zellengenossin, dass sie zuvor auch mit Elektroschocks gefoltert worden sei.
Auch Dutzende Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich in russischer Haft. Es sind politische Gefangene, die es gewagt haben, sich gegen das System Putin aufzulehnen.06.09.2024 | 2:20 min
Soldat erinnert sich an Journalistin in Taganrog
Russische Behörden behaupten dagegen, die Journalistin sei nie in Taganrog inhaftiert gewesen.
Als Antwort auf Ihre Anfrage teilen wir mit, dass den Unterlagen zufolge Roschtschyna Wiktorija im Untersuchungsgefängnis Nr. 2 nicht inhaftiert war.
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Untersuchungsgefängnis Taganrog
Wir können mit einem Soldat sprechen, der das Gegenteil bezeugt. Jewgenij Markewitsch war neun Monate lang in demselben Gefängnis in Taganrog wie Roschtschyna. Durch einen Gefangenenaustausch kam er frei. An die Journalistin kann er sich gut erinnern.
Sie hatte keine Angst, ihre Meinung zu sagen. Sie sagte den Gefängniswärtern direkt ins Gesicht: ‚Ihr seid Besatzer, Ihr seid in unser Land gekommen, Ihr ermordet unsere Leute. Ich möchte mit Ihnen nichts zu tun haben. Und ich werde nie mit Ihnen zusammenarbeiten!‘
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Jewgenij Markewitsch, ukrainischer Soldat
Die Stadt Butscha ist im Ukrainekrieg zu einem Sinnbild für russische Kriegsverbrechen geworden. Mehr als 500 Menschen wurden hier in den ersten Kriegswochen ermordet.31.03.2025 | 2:32 min
Folter an ukrainischen Zivilisten durch russische Soldaten oder russische Geheimdienstmitarbeiter - das hat System, sagt die Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk. Ihr Center for Civil Liberties führt eine Liste mit 186 russischen Haftanstalten, in denen demzufolge ukrainische Kriegsgefangene und Zivilisten festgehalten werden - in den russisch besetzten Gebieten, aber auch in Russland selbst. ZDF frontal und seine Recherchepartner haben 29 Haftanstalten identifiziert, in denen laut übereinstimmenden Quellen gefoltert wurde.
Auch die UN-Sonderberichterstatterin zu Folter, Alice Edwards, wirft Russland systematische Folter als Teil der Kriegsführung vor. Das deutsche Bundeskriminalamt untersucht ebenfalls Foltervorwürfe gegen Russland.
Der Kreml wollte sich zu den Vorwürfen systematischer Folter nicht äußern.
Übergabe der Leiche von Wiktorija Roschtschyna
Quelle: Coordination Headquarters for the Treatment of Prisoners of War
Wie Roschtschyna abmagerte und starb
Im Gefängnis verschlechterte sich der Zustand der Journalistin zusehends. Das berichtete ukrainischen Ermittlern jene Frau, die mit Roschtschyna in einer Zelle saß.
Sie hat abgenommen. Sie wog nur noch 30 Kilogramm. Sie konnte nur noch mit meiner Hilfe aufstehen. Sie war in einem solchen Zustand, dass sie nicht einmal den Kopf aus dem Kissen heben konnte. Ich hob zuerst ihren Kopf an, sie griff nach dem oberen Bett und erst dann konnte sie überhaupt aufstehen.
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Zellengenossin
Im Oktober 2024 bekommt der Vater der Journalistin eine Nachricht vom russischen Verteidigungsministerium: "Roschtschyna, Wiktorija … starb am 19.09.2024. Die Leiche von Roschtschyna wird der ukrainischen Seite im Zuge eines Leichenaustausches übergeben." Bis es so weit ist, vergehen sechs Monate. Da ist die Leiche von Wiktorija Roschtschyna fast völlig verwest.
Die Journalistin ist tot. Das System aus Foltergefängnissen, über das sie berichten wollte, bleibt bestehen.
Quelle: dpa
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