Rio de Janeiro: Wenn es Nacht wird in der Megacity
Überleben in der Megacity:Wenn es Nacht wird in Rio de Janeiro
von Christoph Röckerath
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Nachts verwandeln sich die Straßen von Rio de Janiero in gefährliche Routen. Neben Menschen, die zur Arbeit pilgern oder auf wilden Partys feiern, wird offen mit Drogen gedealt.
Wenn es Nacht wird, pulsieren Kultur und Musik - doch es ist auch harte Arbeit im "Maschinenraum" der Metropole Rio de Janeiro.02.01.2025 | 43:56 min
Harte Arbeit und der tägliche Kampf ums Überleben prägen die Nächte von Rio. Der Maschinenraum der Stadt, in dessen Zentrum die Favelas stehen - die Armenviertel, die im ganzen Stadtgebiet die Hügel hochkriechen - läuft auf Hochtouren. Es sind die Müllmänner und -frauen, die den Strand komplett durchsieben oder die ganze Nacht durch die Straßen fahren. Die Heerscharen von Reinigungskräften, Pförtnern und Kindermädchen, die schon mitten in der Nacht den langen Weg antreten, von ihren oft ärmlichen und gefährlich gelegenen Behausungen im Norden, in den Süden, wo sie arbeiten. Oft zum Mindestlohn von umgerechnet etwa neun Euro - pro Tag.
Partynächte und Drogengeschäfte in der Favela
Andere feiern. In der Favela Santo Amaro steigt ab ein Uhr morgens ein Baile Funk. Es ist eine wilde Party, deren Musik an eine Mischung aus hartem Techno und Gangsta-Rap erinnert. Die Bewohner wollen zeigen, dass jenseits von Strand und Samba der Baile Funk ein Teil Rios ist.
"Funk ist mehr als nur ein Rhythmus", sagt DJ Leo, der hier auflegt und eine Institution der Szene in Rio ist. "Er ist eine Möglichkeit für Menschen zu kommunizieren. Es ist ein Weg für Menschen, zu protestieren. Es ist ein Weg für Menschen zu sagen, was sie fühlen."
Hinter der idyllischen Fassade der Copacabana tobt ein Bandenkrieg. Die Bewohner von Rio de Janeiro leiden zunehmend unter Drogenkriminalität und Polizeigewalt.27.10.2022 | 40:22 min
Waffen und Drogen beim Baile Funk
Für den Besuch hier waren langwierige Verhandlungen notwendig. Denn auf dem Baile Funk in Santo Amaro wird, wie auf allen Baile Funks in Rios Favelas, offen mit Drogen gehandelt. In den Gassen stehen junge Männer, manche noch Teenager, die Sturm- und Maschinengewehre tragen. Einige sind freundlich, andere schauen mit glasigem Blick durch einen hindurch. Die Waffen sind ein Querschnitt durch die Polizei- und Militärarsenale der Welt. Ein Beleg für den regen Waffen- und Drogenschmuggel der internationalen Kartelle, entlang deren Routen auch Rio liegt.
All dies dürfen wir nicht zeigen. Bei den Dreharbeiten müssen wir in einer Ecke bleiben. Argwöhnisch bewacht von unseren Aufpassern, die auf die Monitore der Kameras schauen. Als ein junger Bewaffneter versehentlich ins Bild läuft, gibt es einen Eklat. Selbst der fröhliche DJ Leo wird auf einmal sehr nervös. Es dauert, bis sie einsehen, dass der Fauxpax nicht unsere Schuld ist. Wir müssen das Material löschen.
Traumhafte Strände, pulsierendes Stadtleben, Karneval am Zuckerhut, aber auch die Armut der Favelas, das gehört zu Rio de Janeiro. Aus der Luft zeigt sich die ganze Vielfalt der Region.
30.12.2024 | 43:14 min
Schuldgefühle sind ständiger Begleiter
Im Norden Rios lebt Gigi Ferreira. Die 36-Jährige arbeitet als Kindermädchen im reichen Süden Rios, um ihre eigenen drei Kinder zu ernähren. Mitten in der Nacht bereitet sie das Frühstück vor. Mit ihren Kindern essen kann sie nicht, denn sie muss sich schon Stunden vor Sonnenaufgang auf den Weg zur Arbeit machen.
Wo sie wohnt, ist es nachts totenstill auf der Straße. Was anderswo ein Zeichen von Wohlstand ist, steht hier für die Gefahr: Niemand traut sich vor die Tür. Anders als viele Favelas, in denen eine Gang dominiert und so für eine gewisse Berechenbarkeit der Lage sorgt, ist Gigis Viertel ein offenes Schlachtfeld konkurrierender Milizen. Dass sie diesen Weg als Frau alleine gehen muss, belastet sie und ist doch Teil des Alltags von Tausenden Bewohnern Rios, die keine andere Wahl haben, um zu überleben.
Und doch tragen Gigi und all die anderen einen tiefen, ehrlichen Optimismus in sich. Das sprichwörtliche Glas ist in Rio stets halb voll, anstatt halb leer. Was der skeptische Beobachter aus Europa als Zweckoptimismus abtun mag, ist für viele Cariocas, wie die Einwohner von Rio genannt werden, lebensnotwendig, um nicht den Mut zu verlieren in einer Stadt, die von einer extremen Ungleichheit, langen Wegen und großer Unsicherheit geprägt ist.
Christoph Röckerath ist Südamerika-Korrespondent und Leiter des ZDF-Studios Rio de Janeiro.
Um nach seiner Wahlniederlage 2022 an der Macht zu bleiben, soll Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro einen Staatsstreich geplant haben. Bolsonaro bestreitet die Vorwürfe.
mit Video
Quelle: ZDF
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