Militärexperte Reisner: "Russland ist in der Offensive"

    Krieg gegen die Ukraine:Experte: "Russland derzeit in der Offensive"

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    Aus Sicht von Militärexperte Reisner ist die Ukraine derzeit deutlich in der Defensive. Das geplante Großmanöver der Nato sieht er als ein wichtiges Signal an Russland.

    Oberst Reisner vor Ukraine Karte
    Teilerfolg für Kiew: Zwei fliegende Kommandozentralen Russlands wurden abgeschossen. Kann Putin die ukrainische Defensive durchbrechen? Militärexperte Reisner bei ZDFheute live. 18.01.2024 | 34:59 min
    Die Ukraine meldet immer wieder militärische Erfolge, wie jüngst den Abschuss zweier russischer Flugzeuge. Militärexperte Markus Reisner hält diese zwar für bedeutungsvoll - allgemein sei Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine aber deutlich in der Offensive.
    Im Gespräch bei ZDFheute live erklärt der Oberst des österreichischen Bundesheeres zudem, warum bei Waffenlieferungen an die Ukraine auch immer ein wenig Sorge vor nuklearer Eskalation mitschwingt und warum das angekündigte Großmanöver der Nato ein wichtiges Signal an Moskau ist.
    Sehen Sie oben das ganze Gespräch im Video und lesen Sie hier das Interview in Auszügen:
    Das sagt Reisner...

    ... zur Lage beider Seiten im Krieg

    Markus Reisner erklärt, durch die Verkündung solcher "spektakulärer Erfolge" der Ukraine - wie die bereits erwähnten Abschüsse zweier russischer Flugzeuge - entstehe der "Eindruck, dass es für die ukrainische Seite gut läuft". Tatsächlich sei es aber so:

    Auf der strategischen, operativen und taktischen Ebene sieht man, dass tatsächlich die Ukraine in der Defensive ist und Russland in der Offensive.

    Markus Reisner, Militäranalytiker

    Hauptsächlich, analysiert der Militärexperte, liege das daran, "dass Russland es geschafft hat, vor allem im letzten Jahr seinen militärisch-industriellen Komplex anzukurbeln und die Munitionsproduktion signifikant zu erhöhen".
    Weltwirtschaftsforum in Davos
    Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bestimmt den ersten Tag des Weltwirtschaftsforums in Davos. Dort fordert nicht nur Präsident Selenskyj mehr Unterstützung für sein Land.16.01.2024 | 2:57 min
    Zum Beispiel sei das Verhältnis pro Tag etwa 2.000 Schuss auf ukrainischer Seite zu rund 10.000 Schuss auf russischer Seite.

    Und da sieht man natürlich, dass sich hier das Gleichgewicht zu Ungunsten der Ukraine entwickelt, wenn die Ukraine nicht weiter massiv unterstützt wird, um hier gegenhalten zu können.

    Markus Reisner, Oberst

    Russland sei im Angriffsmodus, mitten in der zweiten Winteroffensive. Die Russen versuchten, "an verschiedenen Stellen, an vielen Stellen gleichzeitig anzugreifen".
    Das Ziel sei es aber vor allem, "die Ukraine zu zwingen, ihre kostbaren Reserven auszuspielen und einzusetzen". Die Russen wollten so lange weitermachen, bis man die Ukraine so sehr in die Defensive gezwungen habe, "dass es möglicherweise zu einem massiven Durchbruch kommt". Ein solcher zeichne sich aber momentan auf keinen Fall ab.

    Oberst Markus Reisner im Gespräch mit Moderatorin Victoria Reichelt bei ZDFheute live.
    Quelle: ZDF

    ... Jahrgang 1978, ist Militäranalytiker, Historiker und selbst aktiver Soldat beim österreichischen Bundesheer. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges analysiert Reisner die Lage in der Ukraine und leitet seit September die Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wien. (Quelle: Kral-Verlag)

    ... zum angekündigten Großmanöver der Nato

    Dass die Nato ein Großmanöver zur Abschreckung Russlands organisieren und dafür 90.000 Soldaten mobilisieren will, hält Reisner für "ein wichtiges Zeichen". Man signalisiere so, dass "man nicht bereit ist, zu tolerieren, dass es tatsächlich zu einem Angriff auf Nato-Territorium kommen" könnte.
    Politologe Fabian Hoffmann im Gespräch mit ZDFheute live.
    Die Nato müsse auf einen Krieg mit Russland vorbereitet sein, so Politikwissenschaftler Hoffmann. Moskau denke über solche Szenarien nach – dem müsse effektiv begegnet werden.16.01.2024 | 11:37 min
    Die Nato beweise mit der Übung, dass sie 90.000 Soldaten über ganz Europa verteilt einsetzen könne. Das sei eine "sehr hohe Zahl".

    Und man zeigt auch, dass man diesen Raum von Europa bis in den Süden hinunter beherrschen kann, beziehungsweise, dass es möglich ist, aus den USA zusätzliche Kräfte heranzuführen.

    Markus Reisner, Militäranalytiker

    Dazu komme der Faktor Zeit. Die Nato signalisiere Russland mit der Übung, dass sie viele Kräfte innerhalb sehr kurzer Zeit mobilisieren könne.
    Zudem gehe es immer auch darum, "im Informationsraum dominant aufzutreten" und "diesen nicht der russischen Seite zu überlassen". Damit zeige man der europäischen Bevölkerung und den Nato-Mitgliedern: "Wir sind in der Lage, in kurzer Zeit massive Kräfte aufzubieten" und den Bündnispartnern im Notfall beizustehen.

    ... zu einer möglichen nuklearen Bedrohung durch Russland

    Reisner stellt auch einen Zusammenhang zwischen zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Westen und der Nuklearmacht Russlands her. An der Art und dem Umfang der gelieferten Waffensysteme sehe man: Es schwinge immer der Umstand mit, "dass Russland ein Staat ist, der nuklear bewaffnet ist, und dass man nicht weiß, was passiert, wenn Russland sich in die Enge getrieben fühlt".
    Ob die Sorge vor einem nuklearen Schlag Russlands berechtigt sei, könne niemand sagen.

    Wir leben gerade Geschichte.

    Markus Reisner, Militäranalytiker

    Ob eine Entscheidung richtig oder falsch war, müsse dann "von Historikern in der Nachschau bewertet werden". Aber:

    Fakt ist, dass Russland mit seinem militärisch-industriellen Komplex nach wie vor produzieren kann und die Ukraine empfindlich treffen kann, während die Ukraine Tag für Tag den strategischen Luftangriffen der Russen in der Tiefe ihres Landes ausgesetzt ist.

    Markus Reisner, Militäranalytiker

    ... zu Berichten über zwei abgeschossene russische Flugzeuge

    Experte Markus Reisner hält die Erfolgsmeldungen aus der Ukraine zum Abschuss zweier russischer Flugzeuge für sehr wahrscheinlich zutreffend. Dabei gehe es einerseits um ein A50-Flugzeug, das bedeutungsvoll sei, "weil es zur Früherkennung, vor allem von möglichen Zielen auf ukrainischer Seite für die russische Seite dient".

    Es ist quasi wie eine fliegende Radarplattform zu betrachten.

    Markus Reisner, Militäranalytiker

    Bei dem zweiten, vermutlich stark beschädigten Flugzeug, einer Iljuschin Il-22M11, handele es sich um eine "fliegende Kommandozentrale".
    Soldat mit Drohne
    Russland hat seine Angriffe auf die Ukraine zuletzt massiv verstärkt. Vor allem Zivilisten leiden. Manche Ukrainer treten Freiwilligenbrigaden bei, um ihr Land zu verteidigen.17.01.2024 | 6:24 min
    Die russische Seite habe "ein Narrativ" in den Raum gestellt, dass die Flugzeuge durch "friendly fire", also eigene Kräfte, getroffen und abgeschossen worden seien.

    Das scheint aber eher unwahrscheinlich, da beide Flugzeuge in einer großen auseinanderliegenden Distanz getroffen worden sind.

    Markus Reisner,

    Der Abschuss bedeute eine "signifikante Verringerung der Fähigkeiten auf russischer Seite". Zudem dürfe man nicht vergessen: Russland sei jetzt gezwungen, "seine Kräfte zurückzuziehen in der Luft, um zu vermeiden, dass es zu weiteren Abschüssen kommt".
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    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
    Update
    Quelle: ZDF

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