60 Jahre nach dem Putsch:Brasilien, eine zerbrechliche Demokratie
von Christoph Röckerath, Rio de Janeiro
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Der Militärputsch, der Brasilien für 21 Jahre zur Diktatur machte, jährt sich zum 60. Mal. Doch beim Gedenken ist Fingerspitzengefühl gefragt. Grund ist Ex-Präsident Bolsonaro.
Ist die Demoratie Brasiliens 60 Jahre nach dem Putsch wieder in Gefahr?
Quelle: dpa
Es war 1950, im Kalten Krieg, als US-Diplomat Richard Patterson den sogenannten Ententest etablierte, um die wahren Absichten von fremden Regimen zu demaskieren: "Wenn es aussieht, geht und quakt wie eine Ente, dann ist es eine Ente." Also: wenn man nur genau hinschaut, erlebt man keine bösen Überraschungen.
Ex-Präsident Brasiliens hat Putsch erwogen
Brasiliens ehemaliger Präsident Jair Bolsonaro hat in seiner langen Karriere als Hinterbänkler im Parlament nie einen Hehl aus seiner Demokratieverachtung gemacht: Er lobte Foltergeneräle, verherrlichte die Militärdiktatur und säte immer wieder Zweifel am Wahlsystem; letzteres lange, bevor sein Vorbild Donald Trump auf die gleiche Idee kam.
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Und so war zwar die Empörung groß, die Überraschung aber kaum, als Anfang Februar ein Video auftaucht, das Bolsonaro im Kreise seiner Minister zeigt, in dem er, Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2022, in Anbetracht schlechter Umfragewerte, laut über einen Putsch nachdenkt:
Bolsonaro wollte Legitimität der Wahl diskreditieren
Neben dem Video bringt vor allem ein jetzt bekannt gewordenes, bisher geheimes "Putschdekret" Bolsonaro in Bedrängnis. Demnach hätte die Legitimität der Wahl systematisch diskreditiert werden sollen, um dann ein Einschreiten des Militärs zu rechtfertigen.
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Bereits mit einem Amtsverbot belegt, wurde kürzlich Bolsonaros Pass eingezogen. Eine Festnahme und Anklage scheinen jederzeit möglich. Seine heimliche zweitägige Flucht in die ungarische Botschaft, Mitte Februar, hat den Eindruck von Bolsonaros Verzweiflung noch verstärkt.
Demokratie gefährdet im Gedenkjahr an den Putsch
Doch obwohl sich der brasilianische Rechtsstaat als wehrhaft erweist, gerade im Unterschied zu den USA, wo Donald Trump erneut für das Präsidentschaftsamt kandieren kann, ist zugleich deutlich geworden, wie zerbrechlich die Demokratie in Brasilien ist, ausgerechnet zum 60. Jahrestag des Putsches vom 31.3.1964, sagt Politikwissenschaftler Filipe Campante gegenüber der ZDFheute.
Und so wirken sich die Eskapaden Bolsonaros trotz juristischer Verfolgung unmittelbar auf das Gedenken aus, denn Vorsicht scheint geboten.
Ursprünglich hatten Teile der Regierung geplant, eine Entschuldigung bei den Opfern im Namen des Staates zu verkünden. In einem Aktionsplan, den das Ministerium für Menschenrechte entworfen hat, ist von umfangreichen Wiedergutmachungen, Aufklärung und öffentlichen Bekenntnissen die Rede. "Erinnerung betrifft nicht nur die Vergangenheit, sie betrifft vor allem die Zukunft", heißt es in dem Papier.
Lula besorgt: Militär könnte sich provoziert fühlen
Doch Präsident Lula da Silva hat sein Veto gegen die Pläne eingelegt. Er wolle die Vergangenheit nicht mehr "aufwärmen", sagt er in einem TV-Interview und fügt hinzu: "Ehrlich gesagt werde ich nicht weiter darauf eingehen, sondern versuchen, dieses Land voranzubringen."
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In Wahrheit, so berichten brasilianische Medien aus Regierungskreisen, habe Lula Sorge, das ohnehin angespannte Verhältnis zum Militär weiter zu strapazieren. Teile der Militärführung seien verärgert wegen des harten Vorgehens der Justiz gegen Bolsonaro und Komplizen in den Streitkräften. Eine öffentliche Entschuldigung und demonstrative Buße für die Untaten der Diktatur könnte als Provokation empfunden werden.
Sorge vor erneutem Putsch in Brasilien
Im eigenen Lager wird Lula für die Entscheidung kritisiert. Andererseits zeigt sie einmal mehr, dass Lula, als Hoffnungsträger der Linken angetreten, ein eher pragmatisches Verhältnis zu ethischen Fragen pflegt, wie er dies auch beim Thema Menschenrechte im Umgang mit China, Russland und Venezuela zeigt.
60 Jahre nach dem Putsch hält Brasilien inne, wissend, dass die Geister der Vergangenheit zurückkehren können. Bolsonaro ist der jüngste Beleg dafür, egal, ob er eines Tages verurteilt wird, oder nicht.
Christoph Röckerath ist Südamerika-Korrespondent und Leiter des ZDF-Studios Rio de Janeiro.
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