Russische Propaganda: Wie Putin Immanuel Kant für sich nutzt

    300 Jahre Immanuel Kant:Wie Putin Kant für sich nutzt

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    Der deutsche Philosoph der Aufklärung ist in Russland so beliebt wie nie. Man ist stolz auf den Sohn Kaliningrads. Das versucht der Kreml für seine Propaganda zu nutzen.

    Der russische Präsident Putin sitzt auf einem Stuhl auf einer Veranstaltung in Kaliningrad.
    Bei seinem Besuch in Kaliningrad im Januar spricht der russische Präsident Putin vor Studierenden über seinen Lieblingsphilosophen: Immanuel Kant.
    Quelle: Reuters

    Kaliningrad ist eine russische Exklave an der Ostsee. Jahrhundertelang war die Stadt und die dazu gehörige Provinz deutsch und bekannt unter dem Namen Königsberg. Sie war eines der wichtigsten geistigen Zentren Preußens. An der weltberühmten Universität Albertina studierten unter anderem der Dichter Johann Gottfried Herder und der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann.
    Doch der wohl berühmteste Sohn des heutigen Kaliningrad ist eindeutig Immanuel Kant. Der Philosoph der Aufklärung und Verfasser der "Kritik der reinen Vernunft." Vor 300 Jahren wurde er im damaligen Königsberg geboren. Vom historischen Königsberg steht heute nur noch wenig. Die Stadt wurde im zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört. Trotzdem ist Kant auch heute in der ganzen Stadt präsent. Das russische Kaliningrad ist stolz auf ihren Sohn.
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    Automaten-Kant spricht russisch

    Vor der Kathedrale kann man einem lebendigen Kant ganz nah kommen. Aus einem Automaten grüßt uns Immanuel Kant auf Russisch: "Ich begrüße Sie, mein Name ist Immanuel Kant. Ich freue mich, Sie zu sehen. Dann mach mal ein Foto."
    Der Erfinder des Automaten-Kant Alexej Poljakow steht stolz daneben. Er ist eigentlich aus Sibirien, doch er hat schon lange von Kaliningrad geträumt, von der Nähe zum Meer und von dem wissenschaftsfreundlichen Umfeld. Seit zehn Jahren lebt er jetzt hier. Schon als kleiner Junge hat er sich an Hologrammen versucht, begeistert zeigt er seine Erfindung.
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    Der Automaten-Kant hebt das Telefon und bittet Alexej zu einem Selfie. "Habt Mut, Freunde. Stellen wir uns zusammen. Enger. Drei, zwei, eins. Aufgenommen. Ich denke, es ist ein wunderschönes Foto. Wenn Sie ein Foto erhalten möchten, folgen Sie der Anweisung." Nur kurze Zeit später kommt das Selfie mit Kant und Alexej aus dem Automaten. Der Automat stehe hier seit zwei Jahren und erfreue sich größter Beliebtheit, so Alexej Poljakow.

    Meinung über Immanuel Kant geteilt

    Kaliningrad ist Kant und Kant ist Kaliningrad. So wirkt es, doch so sieht es längst nicht jeder. Vor fünf Jahren gab es einen Farb-Anschlag auf die berühmte Kant-Statue und erst vor kurzem gab der Gouverneur von Kaliningrad dem Philosophen der Aufklärung eine Mitschuld am Ukraine-Krieg. Erst sie hätten im Westen eine Ethik der Verantwortungslosigkeit ausgelöst, die ihn von den von Russland vertretenen ewigen ethischen Werten unterscheiden würden, so Anton Alichanow, Gouverneur von Kaliningrad. Kant sei verantwortlich für "das globale Chaos und die globalen Umstrukturierungen".
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    Doch viele hier sind stolz auf ihn. Auch Maria Iwanowna ist eine glühende Anhängerin des Philosophen. Sie hat an dem Ort, wo früher Kants Geburtshaus stand, ein kleines Café eröffnet. Sie will das 18. Jahrhundert wieder aufleben lassen. Das Café heißt, "zu Gast bei Kant."

    Auf der anderen Straßenseite, befand sich das Sankt-Georgs-Hospital, dort gab es eine Schule, auf die Kant ging, als er kein großer und mächtiger Begründer der deutschen klassischen Philosophie war, sondern einfach der kleine Kant, den man zum Lesen und Schreiben lernen geschickt hatte.

    Maria Iwanowna, Besitzerin Kant-Café

    Maria sagt, dass vor dem Ukraine-Krieg viele deutsche Touristen in die Stadt gekommen seien. Sie hätten sich auf die Spuren des alten Königsbergs gemacht. Deswegen habe sie sich darauf spezialisiert. Es gibt hier auch Strudel und Streuselkuchen. Sie hoffe, erklärt sie, dass man sich so das alte Königsberg zumindest ein bisschen vorstellen könne.
    Immanuel Kant liegt in Kaliningrad begraben. An der Rückseite des Königsberger Doms auf der Kneiphof-Insel ist das Grab ein Touristenmagnet. Auch heute noch, allerdings kommen die Touristen jetzt vor allem aus Russland.
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    Putin will Kant russifizieren

    Das weiß auch Wladimir Putin. Er nennt Kant einen seiner Lieblingsphilosophen. Er hat im Januar sogar Kaliningrad besucht, um sich über den aktuellen Stand der Festvorbereitungen zu informieren. Vor Studierenden der Universität sagte er:

    Sowohl für die damalige Zeit als auch für unsere Zeit ist er ein grundlegender Denker. Und natürlich ist sein Aufruf, nach dem eigenen Verstand zu leben, so gut, wie es nur geht. Ist heute noch aktuell. Das ist es, was wir zu tun versuchen. In der Praxis bedeutet das für uns, dass wir nach unserem eigenen Geist leben müssen, das Land muss nach seinem eigenen Geist leben. Das Land sollte sich von seinem nationalen Interesse leiten lassen.

    Wladimir Putin, Präsident Russlands

    Es ist eine bekannte Taktik, die der Kreml bei Kaliningrad und seinem berühmtesten Sohn anwendet: die Umkehrung des Narrativs. Putin will den berühmten Philosophen russifizieren, für sich einnehmen und benutzt ihn in seinem Jubiläumsjahr dafür, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu rechtfertigen.
    Sebastian Ehm berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien

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