Ukraine: Warum starb Kywa? Was sagt sein Tod über den Krieg?
Ukrainischer Politiker tot:Warum starb Kywa? Was sagt es über den Krieg?
von Katja Belousova
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Er war ukrainischer Politiker - und pro Putin. Nun ist Ilja Kywa tot. Was verrät das Attentat über den Stand des Kriegs in der Ukraine? Und was sagen Kiew und Moskau?
Wurde tot in der Nähe von Moskau gefunden: Ilja Kywa (Archivbild).
Quelle: imago images
Er wurde in einem Moskauer Vorort gefunden - ermordet mit einem Kopfschuss: Der prorussische Politiker und ehemalige ukrainische Abgeordnete Ilja Kywa ist tot. Auch wenn es noch kein offizielles ukrainisches Bekenntnis zu der Tat gibt: Mehrere Nachrichtenagenturen und Zeitungen wie die "Ukrainskaja Pravda" zitieren anonyme ukrainische Quellen aus dem Verteidigungsapparat, denen zufolge sich der ukrainische Geheimdienst für den Mord verantwortlich zeigt.
... hatte eine wechselvolle politische Karriere: Aus dem rechtsextremen ukrainischen Spektrum stammend, trat er 2019 erfolglos als Präsidentschaftskandidat für die Sozialistische Partei der Ukraine an. Aufgrund ihrer Verbindungen zu Russland wurde die Partei im März 2022 nach der russischen Invasion verboten - Kywa floh nach Russland und bat Präsident Wladimir Putin dort Berichten zufolge um politisches Asyl und einen russischen Pass.
Der 46-jährige Kywa war schon Russlands Einmarsch für seine prorussische Position bekannt. In Russland war er zuletzt regelmäßiger Gast kremltreuer politischer Propaganda-Talkshows. Im November 2023 verurteilte ihn ein Kiewer Gericht wegen Hochverrats in Abwesenheit zu 14 Jahren Haft.
"Bei Kywa handelte es sich nicht um einen der mächtigeren prorussischen Politiker in der Ukraine, er war erst in den Jahren unmittelbar vor dem Krieg stärker in Erscheinung getreten", erklärt André Härtel, Ukraine-Experte und Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Nicht das erste Attentat auf Kollaborateur
Warum aber erfolgte Kywas Tod jetzt, mehr als ein Jahr nach seiner Flucht? Und was sagt es über die politische Situation in der Ukraine aus?
Es sei nicht das erste Attentat dieser Art, so Härtel. "Gezielte Anschläge auf Kollaborateure, russische Ultranationalisten, Militärblogger gehören seit Kriegsbeginn auf ukrainischer Seite zur Kriegsführung - auch um eigene militärische Nachteile durch spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Taten etwas auszugleichen", erklärt er ZDFheute.
Die EU und die USA hätten das bisher auch akzeptiert. "Eine rote Linie wären sicher ukrainische Attentate auf Angehörige der russischen politischen Führung", ergänzt er.
Schwierige militärische Lage der Ukraine
Interessant sei seiner Ansicht jedoch, dass es seit Monaten kein so spektakuläres, erfolgreiches Attentat von ukrainischer Seite gab. "Das könnte darauf hinweisen, dass man jetzt gegen Kywa vorgegangen ist, um von der für die Ukraine immer unvorteilhafteren militärischen Lage etwas abzulenken und Erfolge vorweisen zu können", sagt Härtel.
Die Einschätzung, dass Kywas Tod in eine Zeit fällt, in der Kiew mit Problemen an der Front zu kämpfen hat, teilt auch ZDF-Korrespondent Timm Kröger: "Die Situation für die ukrainischen Streitkräfte im Krieg gegen Russland ist schwieriger geworden. Es mangelt an Waffen und Munition", berichtet er aus Kiew.
Ukrainische EU-Ambitionen
Passt aber ein solches Attentat, wenn es denn vom ukrainischen Geheimdienst begangen wurde, mit Kiews Streben nach mehr Rechtsstaatlichkeit und einem möglichen EU-Beitritt zusammen? "So sehr die Ukraine die Integration in die Wertegemeinschaft EU vorantreiben will, hat hier das Kriegsziel - das Überleben des eigenen Staates - zunächst Priorität", analysiert Härtel.
Gleichzeitig gibt Experte Härtel zu bedenken: Attentate wie das auf Kywa seien dabei nur bedingt vergleichbar etwa mit dem Tiergartenmord, hinter dem Russland steckte. Denn die Ukraine und Russland befänden sich - anders als Russland und die Bundesrepublik - in einer offenen Kriegssituation.
Michael Gahler, CDU-Politiker und deutscher Stellvertreter im Verteidigungsausschuss des EU-Parlaments, fordert dennoch Aufklärung. "Es sind schon irritierende Berichte, trotz der schwierigen Lage, in der sich die Ukraine befindet. Zumindest der zuletzt Getötete war Zivilist, und Zivilisten gehören vor ein Gericht und nicht vor ein Standgericht, bei allem Verständnis für die schwierige Lage", sagt er dem ZDF zum Fall Kywa.
Auswirkungen des Attentats auf Russland
Und wie sind die Reaktionen in Russland? Dort habe das Attentat zweierlei bewirkt, berichtet ZDF-Korrespondent Armin Coerper aus Moskau. "Seit der Abwendung Kiews von Moskau 2014 sind zahlreiche pro-russische Politiker, Vertreter der Justiz und der Sicherheitskräfte, aber auch Musiker und Künstler nach Russland geflüchtet. Das prominenteste Beispiel ist Ex-Präsident Viktor Janukowitsch. In deren Community macht sich jetzt natürlich Unsicherheit breit", sagt Coerper.
Gleichzeitig sei es der ukrainischen Regierung, wenn sie denn wirklich dahintersteckt, gelungen, der Bevölkerung Russlands zu zeigen, dass der Krieg auch sie direkt betreffen und auch ihre persönliche Sicherheit gefährden kann.
Der stellvertretende Sprecher des russischen Föderationsrates, Konstantin Kosachev, verspricht nun Maßnahmen zum Schutz prorussischer Ukrainerinnen und Ukrainer im Land. Doch Zweifel an ihrer Effektivität dürften angesichts des Falls Kywa durchaus angebracht sein.
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