PiS-Gründer wird 75:Kaczynski: Polens Machtfigur im Hintergrund
von Natalie Steger & Milena Drzewiecka
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Er polarisiert Polen, hypnotisiert Wähler. Jetzt, ohne Regierungsmacht, ist er allerdings nicht ohne Einfluss – eine Art Orban im Hintergrund. Die PiS-Partei ist sein Königreich.
Jaroslaw Kaczynski gilt als einer der einflussreichsten Politiker Polens, obwohl er keine Regierungsmacht besitzt. Seine politische Karriere reicht einige Jahrzehnte zurück.
Quelle: epa
"Retter der Nation im Ruhestand" - so war die Antwort Jaroslaw Kaczynskis im Jahr 1994, als ihn die polnische Journalistin Teresa Toranska nach seinem Ziel fragte, und er sagte weiter: "am liebsten wäre ich der Chef einer starken, sehr einflussreichen, mitregierenden oder regierenden Partei."
Kaczynski: Gründervater der PiS-Partei
30 Jahre danach ist das Ziel zum Teil erreicht. Kaczynski ist zweifellos der Chef einer starken national-konservativen Partei PiS in Polen. Die PiS regierte von 2015 bis 2023, bis zum Sieg von Donald Tusk. Diesen Juni hat sie zum ersten Mal seit zehn Jahren Wahlen auf Landesebene, die Europawahlen, verloren. Der 75-jährige Kaczynski könnte längst in den Ruhestand gehen, will es aber nicht.
Geboren 1949 in Warschau hat er sein ganzes Leben der Politik gewidmet. Studierter Jurist, aktiv als Intellektueller in der polnischen Opposition in den 80er Jahren, wird er Mitglied im ersten demokratischen Parlament und will schon damals das neue Polen gestalten.
Zwei Brüder an der Macht in Polen
Seine erste Partei ist Porozumienie Centrum (Zentrumsallianz). Doch wirkliche Macht bringt ihm die PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, deutsch: Recht und Gerechtigkeit), die er 2001 mit seinem Bruder Lech gründet, und die 2005 bis 2007 zum ersten Mal an der Regierung ist.
In diesen Jahren wird sein Name im Ausland bekannt. Wegen seiner polarisierenden Politik und eines Phänomens: Zwillingsbrüder an der Machtspitze. Lech als Staatspräsident und Jaroslaw als Chef der regierenden Partei, später auch Regierungschef.
Über die EU-Osterweiterung reden viele Politiker und Experten. Doch was hieß es für diejenigen, die damals im Osten aufgewachsen sind? Ein Erfahrungsbericht aus Polen.
Milena Drzewiecka, Warschau
mit Video
2010 kommt Lech, mit 95 anderen, bei einem Flugzeugsabsturz im russischen Smolensk ums Leben. Seitdem trägt Jaroslaw fast immer schwarzen Anzug und schwarze Krawatte. Seitdem verschärft sich sein politischer Kurs. In Tat und Ton. Aus seiner Sicht sind Identität und Souveränität Polens in Gefahr. Und er sieht nicht nur militärische Gefahr. Sondern auch gesellschaftliche, wie LGBT, "Multikulti" oder Migranten.
"Retter der Nation"
"Jaroslaw, Jaroslaw", skandieren seine Anhänger egal, wo er auftritt. Für sie ist der PiS-Chef ein "Retter der Nation". Kaczynski ist konservativ. Und er will längst eine Revolution, eine sogenannte vierte Republik: stolzer Staat, ohne Korruption, ohne Kommunisten, mit der "neuen, besseren Ordnung des öffentlichen Lebens". So die Parolen.
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Seine Ordnung hat, laut Kritikern, autokratische Züge. Man vergleicht ihn oft mit Orban oder Erdogan. Ein wichtiger Unterschied: die beiden sind an der Staatsspitze, Kaczynski war nur kurz in der Regierung. Er bevorzugt vom hinten zu steuern. Und er sucht sich solche Mitarbeiter, die er steuern kann.
Nachfolge für Kaczynski kein Thema
Die Bilanz nach der PiS-Regierung von 2015 bis 2023? Zerstörte Justiz und öffentlich-rechtliche Medien, Flirt mit der katholischen Kirche und Nationalisten, Personal mit fragwürdigen Kompetenzen, Korruptionsskandale und eine gespaltene Gesellschaft.
Trotzdem haben Kaczynski und seine PiS eine stabile Kernwählerschaft von etwa 30%. Er hat schwarz-weiße Narrative gefunden, die vielen nah sind. Noch vor dem Ukraine-Krieg sah er seinen Hauptfeind im Ausland in Moskau. Der Feind Nummer eins im Land heißt Donald Tusk. Er schätzt die deutsche Wirtschaft, kritisiert aber Berlin für eine Dominanz in der EU und fordert Kriegsreparationen.
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Auch seine Kritiker geben zu: Kaczynski ist intelligent, kann stundenlang frei reden, diskutiert gerne. Wenn er will, kann er charmant oder sogar witzig sein. Eines ist sicher: die PiS wäre nicht die PiS ohne Kaczynski. Zwar gab es nach den verlorenen Parlamentswahlen 2023 im Umfeld der PiS Fragen, ob sein Kurs der richtige ist, aber niemand traut sich, dem Parteichef den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
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