Interview
Aktivistinnen in Polen:Abtreibungen: Neue Anlaufstelle, alte Sorgen?
von Roksana Ruther und Milena Drzewiecka
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Eine Anlaufstelle für Abtreibungen, wenige Meter vom Parlament entfernt: Solange die Politiker das Recht nicht liberalisieren, nehmen Aktivistinnen das Thema selbst in die Hand.
"Abtreibung ist normal": In Polen ist sie in den meisten Fällen illegal.
Quelle: ddp
AboTak - so heißt die Anlaufstelle. Eine Kombination aus dem polnischen Wort für "Abtreibung" (aborcja) und "Ja" (tak). Der Name ist kein Zufall, das polnische Recht sagt zu Abtreibungen in fast allen Fällen "Nein".
Dem will die Initiative "Aborcja Dream Team" (Abtreibung Dream Team) etwas entgegensetzen und eröffnete deswegen zum internationalen Frauentag dieses neue Beratungszentrum.
Beraten und beim Abbruch begleiten
Die Aktivistinnen möchten hier vor allem den Zugang zu Informationen ermöglichen und beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch beraten und begleiten. Man wolle zeigen, dass betroffene Personen unterstützt werden und nicht alleine seien, erklärt die Aktivistin Justyna Wydrzynska am Tag der Eröffnung.
Es ist die Erfüllung all unsere Träume, so ein Zentrum zu haben, wo die Frauen hinkommen und sich informieren und mit uns die Abtreibungen durchführen können.
Aktivistin Justyna Wydrzynska, Aborcja Dream Team
Wer in Polen Abtreibungspillen ohne Rezept herausgibt, kann ins Gefängnis kommen. Wydrzynska stand wegen einer solchen "Beihilfe" bereits vor Gericht.
Sie und ihre Kolleginnen lassen sich aber nicht einschüchtern und erhalten Unterstützung von vielen Frauen, unter anderem bei der Eröffnung des Zentrums. "Für mich ist das ein historischer Moment", sagt uns Agata. "Ich hoffe, dass das Abtreibungsrecht in Polen verändert wird und dass die Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche legalisiert wird", so Julia.
Abtreibungsgegner protestieren vor Zentrum
Vor dem Gebäude hörte man am Tag der Eröffnung aber auch die Stimmen der Abtreibungsgegner: laute Parolen und Baby-Geschrei vom Band. Sie blockierten den Eingang. Interessierte mussten sich einen Weg durch die Gruppe bahnen. Polizei und Sicherheitsdienste waren im Einsatz. Ein kleiner Einblick, welche Emotionen das Thema weckt.
Vor dem neuen Abtreibungszentrum in Warschau hat es Proteste gegeben.
Quelle: Roksana Ruther
Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Abtreibungen sind nur in zwei Fällen erlaubt: bei einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung oder Inzest. Oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr ist.
Bis 2020 war eine Abtreibung auch dann möglich, wenn beim Fötus Krankheiten festgestellt wurden. Das wurde unter der national-konservativen PiS-Regierung abgeschafft. Daraufhin folgten Massendemonstrationen.
Mit Tusk-Regierung neue Hoffnung auf Legalisierung
Mit der neuen Regierung von Donald Tusk kamen neue Hoffnungen. Tusk selbst hatte sich für eine legale Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche ausgesprochen. Soweit der Wahlkampf. Und die Realität? Seine Koalitionsregierung kann sich nicht einigen. Konkrete Gesetzesänderungen fehlen. Tusk selbst sagt:
Da wir im Parlament dieses Tor im Moment nicht weit öffnen können, öffnen wir eine Tür […] Wir suchen solche Möglichkeiten, natürlich im Einklang mit dem Recht, die in der Realität den Frauen Zugang zu legalen Abtreibungen ermöglichen.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk
Die Regierung veröffentlichte eine Leitlinie, die Ärzten die Angst vor rechtlichen Konsequenzen aufgrund von Abtreibungshilfe nehmen soll. "Die Gewissensklausel kann keine Rechtfertigung für die Unterlassung von Tätigkeiten sein, die das Leben oder die Gesundheit einer Frau retten", machte Tusk im vergangenen Jahr deutlich.
Kein großes Thema im Wahlkampf
Im Mai wählen die Polen den nächsten Präsidenten. Dieser kann mit seinem Veto-Recht neue Gesetze blockieren. So hat zum Beispiel der amtierende Staatspräsident Andrzej Duda einen rezeptfreien Zugang zur "Pille danach" verhindert. Auch wenn Sicherheit derzeit das Thema Nummer eins im Wahlkampf ist, bleibt Abtreibung eine wichtige Frage.
Rafal Trzaskowski, der Kandidat der Bürgerplattform von Tusk betonte, er würde eine entsprechende Liberalisierung unterscheiben. Derzeit führt er in den Umfragen. Auf dem zweiten Platz liegt der von der PiS unterstützte Kandidat Karol Nawrocki. Er sagt, er sei "für das Leben". Vergessen wird das Thema in der polnischen Politik also nicht und für die Parlamentarier gibt es jetzt unweit ihrer Arbeitsstelle eine zusätzliche Erinnerung.
Quelle: dpa
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