Truppen vor Pokrowsk: Resignation, Trotz und Hilflosigkeit
Russische Truppen im Anmarsch:Hilflosigkeit und Trotz in Pokrowsk
von Luc Walpot, Ukraine
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Die Stadt Pokrowsk im Donbass steht seit Wochen unter heftigem russischen Beschuss. Die Stadt riskiert, eingekesselt zu werden.
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"Was soll ich machen?" antwortet Olena auf unsere Frage, warum sie in der schwer umkämpften Stadt Pokrowsk trotz der Lebensgefahr weiter ausharrt. Die 41-Jährige wohnte mit ihrem Mann in der Nachbarstadt Myrnohrad, bis ihr Haus bei einem Granateinschlag im August komplett zerstört wurde. Sie zogen 20 Kilometer weiter, eben nach Pokrowsk.
"Mein Mann und ich haben hier Arbeit gefunden. Unsere Kinder sind erwachsen, die sind nach Lwiw weiter. Aber bei uns reicht das Geld einfach nicht. Wir können uns keine Wohnung in Lwiw oder Kiew leisten. Und Arbeit hätten wir dort auch nicht." Olena zuckt mit den Schultern. Es ist eine Mischung aus Resignation, Trotz und Hilflosigkeit.
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Ukrainer: Misstrauen gegen viele
Im Hintergrund hämmern die Artilleriegeschütze. Man hört ständig Explosionen. Die Frau im Supermarkt will nicht mit uns reden. Auch der alte Mann, der sein Fahrrad durch die schneebedeckte Straße schiebt, nicht.
Die Ukraine habe zwar ein massives Rekrutierungsproblem, doch beim Thema Drohnen sei der Innovationszyklus in der Ukraine sehr schnell, sagt Militärexperte Fabian Hinz. 02.01.2025 | 28:24 min
"Sie sind misstrauisch gegenüber der Presse. Besonders der ausländischen", erklärt uns ein Offizier. Was er nicht sagt: Manch einer hier ist auch misstrauisch gegenüber der eigenen Streitkräfte.
Sehnsucht nach der alten Zeit
Die Umgangssprache in Pokrowsk ist meist Russisch. Früher, zu Sowjetzeiten, genossen Kommunen und Bewohner im Kohlerevier Donbass zahlreiche Privilegien. Die Zeiten sind lange vorbei, doch nicht wenige - vor allem betagte Rentnerinnen und Rentner - sehnen sich nach der alten Zeit, die im Rückblick gerne verklärt wird.
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Niemand sagt das offen, aber das Misstrauen in den Gesichtern spricht Bände. In einem Dorf nördlich von Pokrowsk traut sich der 69-jährige Dorfvorsteher Hromylo Wolodymyrowych doch offen zu sprechen. "Es gibt hier im Dorf unterschiedliche Stimmungen. Das ist etwa 50:50."
Für die ukrainischen Soldaten, die im Dorf Stellung bezogen haben, macht das den Kampf gegen die feindlichen Truppen nicht einfacher. An der Front selbst häufen sich die schlechten Nachrichten.
Russische Angreifer drängen die Ukrainer zurück
Russische Panzerverbände konnten in den letzten drei Wochen immer weiter südlich, westlich und östlich von Pokrowsk vorrücken. Dorf um Dorf müssen die ukrainischen Verteidiger zurückweichen. Es fehlen Kampfverbände, und die Soldaten sind erschöpft, weil sie nicht ausgetauscht werden können.
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Pokrowsk droht eingekesselt zu werden. Dann müssten die letzten Verteidiger Richtung Norden abziehen. Zugleich rücken russische Verbände weiter auf den angrenzenden Bezirk, die Oblast Dnipro, vor. In aller Eile heben ukrainische Pioniereinheiten dort Schützengräben und Panzersperren aus. Der Feind ist nur noch zehn Kilometer entfernt.
"Ich weiß nicht, wie es hier weitergehen wird", sagt uns Oleksandra, die in Pokrowsk noch einen kleinen Laden betreibt. Im Angebot sind Brot, Kekse, Kaffee und sogar Fertigtorten.
In der Ukraine werden russische Angriffe, die als Kriegsverbrechen eingestuft werden, genau dokumentiert. So sollen die Täter eines Tages vor Gericht gestellt werden können.20.12.2024 | 1:44 min
Oleksandra ist schon zweimal vor den vorrückenden russischen Truppen geflohen. Jetzt weiß sie nicht mehr wohin.
Luc Walpot ist als ZDF-Reporter in der Ukraine unterwegs.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.