Österreich: Nun doch Koalition aus SPÖ und ÖVP?

    Regierungsbildung in Österreich:ÖVP und SPÖ: Liebe auf den zweiten Blick?

    von Benedikt Karl und Christian von Rechenberg, Wien
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    Noch nie musste Österreich nach einer Wahl so lange auf eine neue Regierung warten. Nun könnten sich ÖVP und SPÖ bald auf eine Koalition einigen. Es ist ihr zweiter Versuch.

    ÖVP-Chef Christian Stocker steigt aus einem Auto aus.
    Zuerst hatte es die ÖVP unter Christian Stocker mit der FPÖ versucht, nun doch noch mit der SPÖ.
    Quelle: dpa

    Österreich erlebt seit dem 29. September letzten Jahres einen "Noch-nie-Tag" nach dem anderen. Noch nie war die rechtsnationale FPÖ nach einer Parlamentswahl stärkste Kraft. Noch nie hat der Bundespräsident danach nicht die Wahlsiegerin, sondern die zweitplatzierte Partei, die christdemokratische ÖVP, mit der Regierungsbildung beauftragt; weil keine Partei mit dem teils rechtextrem auftretenden Chef der FPÖ, Herbert Kickl, koalieren wollte. Noch nie dauerten die Verhandlungen im Anschluss so lange, und scheiterten so oft.
    Zuerst versuchte es die "Zuckerlkoalition" aus ÖVP, den Sozialdemokraten der SPÖ und den liberalen NEOS. Und scheiterte nach 96 Tagen. Die ÖVP wechselte danach ihren Chef aus. Der Neue, Christian Stocker, hatte keine Vorbehalte gegen Kickl. Doch auch die anschließenden Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP platzen. 144 Tage wartet Österreich nun schon auf eine neue Regierung.
    Demonstrationen in Wien gegen Rechtsrtuck und eine Koalition von FPÖ mit der ÖVP
    In Wien haben rund 20.000 Menschen gegen den Rechtsruck in Österreich demonstriert. Hintergrund sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der rechtspopulistischen FPÖ und der ÖVP.05.02.2025 | 0:19 min

    Experte über Koalitionsverhandlungen in Österreich: "Gemeinsame Angst"

    Vier Optionen blieben: Neuwahlen, Experten- oder Minderheitsregierung - oder doch noch einmal verhandeln. ÖVP und SPÖ entschieden sich für Letzteres.
    "Es war die gemeinsame Angst vor den Alternativen", sagt Politikberater Thomas Hofer: "Gerade die ÖVP kann sich Neuwahlen schlicht und ergreifend nicht leisten." In Umfragen führt die FPÖ mit großem Vorsprung.
    Die Angst vor einer FPÖ-Regierung habe in der SPÖ "die Bereitschaft in den eigenen Reihen erhöht, noch einmal zu reden", meint Hofer. Vor allem weil geleakte Verhandlungsprotokolle von ÖVP und FPÖ ein irritierendes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat seitens der FPÖ offenbarten. Die ÖVP dagegen sei froh, nicht in die Juniorrolle zu kommen. Und für eine Expertenregierung hätte es eine Mehrheit - und somit die Stimmen von ÖVP und SPÖ - im Parlament gebraucht, allerdings ohne Posten.
    Parteichef der FPÖ, Herbert Kickl, anlässlich der Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP in Wien.
    In Österreich scheiterte FPÖ-Chef Kickl kurz vor dem Kanzleramt und zog nach dem Abbruch der Koalitionsgespräche mit der ÖVP den Auftrag zur Regierungsbildung zurück.12.02.2025 | 1:16 min

    Keine "große" Koalition

    Also, zweiter Versuch. Und diesmal scheint es besser zu laufen. Einst strittige Punkte, wie eine Bankenabgabe, scheinen gelöst, weitere Kompromisslinien erkennbar. "Beide Seiten meinen es ernst", so Hofer. Aber, es sei "die kleinstmögliche Koalition", eine Stimme von der Minderheitsregierung entfernt. Daher verbiete sich der Begriff "große Koalition".
    Die "kleinstmögliche Koalition" steht auf dünnem Eis, auch weil ihr die Zeit im Nacken sitzt. Österreichs Haushalt ist tief in den Miesen, in Brüssel droht ein Defizitverfahren. Auch das Thema Migration hat spätestens seit dem Anschlag von Villach an Brisanz gewonnen. Auf einen sorgsam geschnürten Koalitionsvertrag können ÖVP und SPÖ nicht länger warten. Letzte offene Streitpunkte würde man daher aus einer Regierung heraus abräumen, so Hofer.
    Nun gab es ein erstes wichtiges Signal: Beide Parteien einigten sich auf den sogenannten Budgetpfad, den bereits die Verhandler von FPÖ und ÖVP nach Brüssel gemeldet hatten. Demnach wolle man in den kommenden zwei Jahren rund 15 Milliarden Euro einsparen. Von Banken und Energiekonzernen sollen zudem weitere je eine Milliarde kommen - verteilt auf vier Jahre. Und beim Thema Migration zeichnen sich schärfere Maßnahmen ab.
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    Herbert Kickl, Chef der rechten FPÖ, will Österreichs Kanzler werden.08.01.2025 | 6:14 min

    NEOS und Grüne könnten helfen

    Mit nur einer Stimme Mehrheit, eine riskante Angelegenheit. Sogenannte Themenpartnerschaften könnten die Lage etwas entschärfen, also die fallweise Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen. Neos und Grüne haben bereits Zustimmung signalisiert. Von der FPÖ, die sich nun mehr denn je als Gegner der Mitteparteien versteht, sei das nicht zu erwarten, so Hofer.
    Haushalt, Migration, Sicherheit - so viele Bälle "in der Luft zu halten und diese Probleme auch noch zu lösen, das ist eine Mammutaufgabe", sagt Politik-Experte Thomas Hofer, und ergänzt: "Nochmal mehr für eine Koalition, die unter diesen Umständen zusammen gezimmert wird". Allein Kickl verhindert zu haben, dürfte nicht reichen. Seiner Einschätzung nach fehlt eine gemeinsame Zukunftserzählung. Aber:

    Die Chance der beiden ist möglicherweise, dass sie von kaum jemandem eine große Chance bekommen.

    Thomas Hofer, Politikberater

    Für Herbert Kickl könnte die abermalige Oppositionsrolle gar nicht allzu unwillkommen sein. Zwar sei auch sein Macher-Image angekratzt, sagt Hofer, aber angesichts der zu erwartenden unpopulären Sparmaßnahmen könnten die Freiheitlichen die anderen Parteien vor sich hertreiben - und in der Wählergunst weiter steigen.

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    Quelle: dpa

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