Wahlen in Österreich: FPÖ erstmals stärkste Kraft

    Analyse

    Historischer Tag für Österreich:FPÖ erstmals stärkste Kraft

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert, Wien
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    Erstmal seit 1945 geht eine rechtspopulistische Partei als stärkste Kraft aus einer österreichischen Parlamentswahl hervor. Die einen freut's, andere sorgen sich.

    General election in Austria
    Österreich hat ein neues Parlament gewählt - und rückt nach rechts: Erstmals wurde die FPÖ stärkste Kraft. Die Kanzlerpartei ÖVP muss hingegen eine Niederlage verkraften. 29.09.2024 | 3:01 min
    Es ist ein historischer Tag in Österreich, denn so rechts zeigte sich die zweite Alpenrepublik noch nie: Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ging mit fast 30 Prozent als stimmenstärkste Partei aus der Parlamentswahl.
    FPÖ-Parteichef Kickl nennt es ein "Machtwort der Wähler" - ein riesiger Denkzettel ist es auf jeden Fall. Und für manche ein Horrorszenario: Kurz nach der Schließung der letzten Wahllokale gab es bereits eine Demo gegen rechts vor dem österreichischen Nationalrat.
    Demonstranten in Österreich halten Plakate. "Nazis raus" ist auf einem gut zu lesen.
    Erste Proteste in Österreich nach der Wahl.
    Quelle: epa

    Viele Wähler landen bei populistischen Krisen-Rezepten der FPÖ

    Fünf Jahre schwarz-grüne Koalition hatten viele Wähler vergrätzt: Politskandale um den früher so populären Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), strenge Corona-Maßnahmen, Ukraine-Krieg, Krise, Inflation, und dann die ständigen Streitereien der beiden thematisch so weit entfernten Koalitionspartner.
    SGS Hilpert+Schäfers Gellinek
    Folge rechter Zugewinne in den Ländern sei "eine rechtere EU-Politik", so Korrespondentin Schaefers.29.09.2024 | 3:37 min
    Viele Österreicher wollten etwas anderes. Da sich die Sozialdemokraten in der Opposition permanent zerstritten zeigten und bei dem Hauptthema Migration außerdem - sagen wir mal - sehr differenzierte Positionen vertraten, landeten aber viele Wähler bei der FPÖ und ihren populistischen Krisen-Rezepten.

    Gerade Kickls Erfolg könnte seine Kanzlerschaft verhindern

    Der Macher des FPÖ-Erfolges ist Herbert Kickl: Er will "Volkskanzler" werden. Er propagierte im Wahlkampf eine "Festung Österreich", er konnte "nichts Böses" am Wort Remigration finden, er will Asylrechte mindestens einschränken. Er gilt als EU-kritisch und russlandfreundlich.
    Damit erlangte Kickl rund 30 Prozent - keine Mehrheit! Er braucht also einen Partner. Doch gerade dieser historische FPÖ- Erfolg könnte das größte Hindernis für Kickl auf seinem Weg zum Kanzleramt werden.

    Die Verfassung gibt nur wenige Regeln für die Bildung der Regierung vor. Es ist gelebte Praxis, dass der Bundespräsident einer Person den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt. Er orientiert sich in der Regel an der Person, dessen Partei die stärkste Kraft ist und die eine stabile Regierungsmehrheit aufstellen kann. In Ausnahmefällen, etwa weil der Wahlausgang zu unklaren Mehrheiten geführt hat, kann der Bundespräsident vor dem Auftrag zur Bildung eine Regierung die Parteien zunächst sondieren lassen. Kann die beauftragte Person eine mögliche Regierungs-Mannschaft stellen, wird sie vom Bundesspräsidenten vereidigt – in Österreich heißt das angelobt. Eine reguläre Legislaturperiode beträgt fünf Jahre. Anders als in Deutschland benötigen die Parteien vier Prozent der Stimmen, um ins Parlament einzuziehen.

    Denn die ÖVP schließt eine Koalition vielleicht nicht mit der Partei FPÖ - denn das gab es schon mal - aber mit der Person Kickl aus. Undenkbar ist aber, dass der Held dieses FPÖ-Wahlerfolges freiwillig beiseite tritt. Undenkbar aber auch, dass die ÖVP des amtierenden Kanzlers Nehammer als Junior-Partner unter Kickl in eine Koalition geht. Und Nehammer scheint fest im Sattel zu sitzen, ihm gelang mit rund 26 Prozent am Sonntagabend ein Achtungserfolg.
    Wien, Österreich: Ein zerstörtes Wahlplakat des amtierenden Kanzlers Nehammer (ÖVP)
    Vor der Parlamentswahl in Österreich zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der FPÖ und der ÖVP ab.28.09.2024 | 1:42 min

    Unsicher, ob Bundespräsident Kickl mit Regierungsbildung beauftragt

    Es geht darum, eine Mehrheit zu bilden, das betonte auch das Österreichische Staatsoberhaupt Alexander van der Bellen (Grüne) am Abend. Er hatte im Vorfeld einmal Bedenken geäußert, einen Politiker vom Schlage Kickls mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Da es aber keine Partei über 50 Prozent geschafft hat, nimmt sich der Präsident nun seinerseits das Recht, auszuloten, wo und wie eine Mehrheit gebildet werden kann.
    Und das, so betont er, mit Respekt für Grundrechte wie Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz. Das klang nicht danach, als würde Herbert Kickl mit einer Regierungsbildung beauftragt.

    Fraglich ist, ob der Bundespräsident einzelnen Personen den Amtseid verweigern kann. Dies hat Bundespräsident Alexander van der Bellen für die Person Herbert Kickl angekündigt.

    Gegen eine mögliche Verweigerung könnte der juristisch vorgehen. Dann entscheidet der Verfassungsgerichtshof. Allerdings muss sich van der Bellen dies gut überlegen, denn er würde eine Verfassungskrise vom Zaun brechen, die zu instabilen politischen Verhältnissen führen könnte.

    So lange van der Bellen in der Hofburg diese Meinung vertritt und so lange Kickl und Nehammer Vorsitzende ihrer jeweiligen Parteien bleiben, ist es undenkbar, dass Kickl sein selbstgestecktes Ziel "Volkskanzler" zu werden, erreicht. Wahrscheinlicher ist eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ, vielleicht mit einem dritten Partner wie den liberalen Neos.
    Sicher aber ist das nicht. Und Österreich war schon immer für politische Überraschungen gut.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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