Litauens Außenminister Landsbergis zum Kursschwenk der Nato

    Interview

    Litauen zu Nato und Ukraine:"Nichts sollte vom Tisch genommen werden"

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    Eskaliert die Nato gegenüber Russland? Litauens Außenminister Landsbergis kontert im Interview mit ZDFheute. Er fordert, über den Einsatz von Soldaten in der Ukraine nachzudenken.

    Gabrielius Landsbergis am 31.05.2024 in Prag.
    Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis sieht keine Eskalation der Nato gegenüber Russland - im Gegenteil.
    Quelle: AFP

    ZDFheute: Herr Minister Gabrielius Landsbergis, die wichtigsten westlichen Nato-Verbündeten erlauben der Ukraine, mit den von ihnen gelieferten Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Führt dies nicht womöglich zu einer Konfrontation zwischen der Nato und Russland?
    Gabrielius Landsbergis: Ehrlich gesagt ist es ein wenig seltsam, so eine Frage zu hören. Denn was wir seit geraumer Zeit beobachten, ist eine Eskalation von Seiten Russlands.
    Jeden Tag ist das Erste, was ich in meinen Nachrichten sehe, ein weiteres ziviles Haus, das angegriffen wurde - gerade heute Morgen, mit zwei Kindern. Und wie nennen Sie das? Einen normalen Tag im Büro? Russland eskaliert immer weiter. Wir haben deeskaliert.

    Aber jetzt nichts zu tun: ich glaube, das wäre eine Einladung an Russland, weiterzumachen.

    Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis

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    ZDFheute: Nun sagen Kritiker, mit Gegenangriffen weitet die Ukraine den Krieg auf russisches Gebiet aus - und wird dabei noch vom Westen unterstützt.
    Landsbergis: Die Ukraine hat seit dem 24. Februar 2022, dem Angriff Russlands, ein Recht auf Selbstverteidigung. Das ist in der Charta der Vereinten Nationen verankert. Wir müssen uns über die Fakten im Klaren sein. Russland exportiert diesen Krieg, die Ukraine verteidigt sich und die UN-Charta gibt ihr die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
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    ZDFheute: Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident, sagt, die Nato rücke jede Woche einem Krieg mit Russland näher. Orban ist bekannt als Quertreiber - aber immerhin Regierungschef eines Nato-Landes.
    Landsbergis: Nun, ich glaube nicht, dass Orban der beste Anwalt ist, um diesen Krieg zu erklären. Ungarn ist den Befürwortern des Krieges so nahe, wie man nur kommen kann. Wissen Sie, was mein Vorschlag an die Ungarn ist?
    Sie haben immer noch offene Kanäle zu Herrn Putin. Sie sollten die Möglichkeiten nutzen - und die Botschaft des Friedens überbringen. Aber an die Russen.
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    ZDFheute: Was ist also Ihre rote Linie, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht?
    Landsbergis: Meine rote Linie ist ganz einfach: Dass Russland wieder hinter die Grenzen der Ukraine zurückgeht.
    ZDFheute: Und dafür haben Sie keine roten Linien, was die Nato betrifft? Etwa den Einsatz von Nato-Truppen vor Ort?
    Landsbergis: In dieser Frage steht Litauen auf der Seite von Frankreich: Nichts sollte vom Tisch genommen werden.

    Denn wir sind noch weit von einem Sieg entfernt.

    Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis

    Wenn man ein Jahr zurückschaut, ist die Ukraine heute in einer schlimmeren Situation als zuvor - obwohl wir viele starke Reden halten im Westen. Aber wenn Russland weiter eskaliert, bedeutet das, dass wir uns Optionen überlegen müssen, wie wir zurückschlagen können.
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    ZDFheute: Und wenn Nato-Soldaten in der Ukraine im Einsatz sind, würde das nicht bedeuten, dass die NATO in eine direkte Konfrontation mit Russland tritt?
    Landsbergis: Wenn Sie davon reden, dass die Nato Truppen in die Ukraine schickt: Das würde bedeuten, dass sich 32 Länder auf einen gemeinsamen Einsatz in der Ukraine einigen. Ich glaube nicht, dass dies geschehen wird.
    Es gibt lediglich bestimmte Länder, die sich für die Zukunft der Ukraine verantwortlich fühlen, und diese Länder denken über bestimmte Dinge nach. Ich würde das nicht ausschließen.
    ZDFheute: Und das wäre eine gute Idee?
    Landsbergis: Wenn es eine gute Idee ist, die Ukraine bis zu ihrem Sieg zu unterstützen, dann ist das die beste Idee, die ich Ihnen anbieten kann.
    Das Interview führte ZDF-Korrespondent Florian Neuhann am Rande des Nato-Außenministertreffens in Prag.
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