Experte zu Nahost-Einigung: "Nicht zu hoch bewerten"
Interview
Hamas und Fatah:Experte: "Versöhnung nicht zu hoch bewerten"
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Zwölf Palästinensergruppen haben sich auf eine Interimsregierung geeinigt. Warum die Fatah bereit war, ihren Streit mit der Hamas beizulegen, erklärt Nahost-Experte Daniel Gerlach.
Das Abkommen zwischen Fatah und Hamas ist ein "erster Schritt", jedoch sollte die "Versöhnung nicht zu hoch bewertet werden", sagt der Nahostexperte Daniel Gerlach.24.07.2024 | 8:07 min
Kurz vor der USA-Reise des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu hat die chinesische Regierung einen vermeintlichen Coup verkündet: Peking will erfolgreich zwischen der palästinensischen Gruppierung Fatah und der palästinensischen Terrororganisation Hamas vermittelt haben. Das Ergebnis sei die Versöhnung der Gruppen und die Einigung auf eine Interimsregierung.
Im ZDF-Morgenmagazin sprach Nahost-Experte Daniel Gerlach über die Bedeutung dieser Ergebnisse für die Palästinenser, die Reaktion des Westens und den Zusammenhang zwischen dem Abkommen und Netanjahus USA-Besuch.
Sehen Sie das gesamte Gespräch und weitere Einordnungen oben im Video oder lesen Sie hier die wichtigsten Auszüge.
Das sagte Gerlach über...
... die Gründe für die Einigung zwischen Hamas und Fatah
Immer wieder hat es Annäherungsversuche zwischen den palästinensischen Regierungen gegeben. Den Grund, warum es diesmal zu einer Einigung gekommen sein dürfte, sieht Gerlach vor allem bei Mahmud Abbas, dem Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde und führenden Fatah-Politiker.
Um an der Macht zu bleiben, die er de facto derzeit im Westjordanland hat, sei Abbas "eigentlich zu allem bereit". Gleichzeitig sei die Gefahr sehr groß, dass die Situation im Nahostkonflikt durch das Abkommen weiter eskalieren und der Krieg auf die Westbank und auf Ost-Jerusalem überschwappen könnte.
Das Interesse sei da, was sich auch darin zeige, dass es zuletzt auch in Europa einige Staaten gegeben habe, die Palästina als Staat anerkannt haben.
Die bisher verfeindeten, palästinensischen Gruppen Hamas und Fatah streben eine Einheitsregierung in den palästinensischen Gebieten an. China hatte bei den Gesprächen vermittelt.24.07.2024 | 2:02 min
... die Bedeutung des Abkommens für die Palästinenser
Die verkündete "Versöhnung" der Gruppen wollte Gerlach aber "nicht zu hoch bewerten". Er erinnerte an gescheiterte Versöhnungserklärungen, die in der Türkei und in Algerien abgegeben worden waren.
Insofern sei ein solches Abkommen, an dem neben Fatah und Hamas auch andere palästinensische Gruppen beteiligt sind, "vielleicht ein erster Schritt, aber es ist natürlich noch kein Schritt zu einer Regierung und zu einem Staat".
... Chinas Rolle als Vermittler im Nahen Osten
Die Chinesen hätten "lange darauf gewartet, dass sie im Nahost-Konflikt in irgendeiner Form eine vermittelnde Rolle einnehmen können. Sie wussten aber nicht genau, wie", so der Experte.
Obwohl die Initiative aus China komme und der Westen "alles sehr kritisch sieht, was aus China kommt", habe Gerlach den Eindruck, dass die Initiative in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten "mit großem Interesse verfolgt" werde. Der Westen habe immer wieder betont, dass man eine vereinte palästinensische Seite als Ansprechpartner benötige.
Die EU-Staaten Spanien und Irland sowie Norwegen haben Palästina als eigenständigen Staat anerkannt - trotz Protesten aus Israel. Sie hoffen, dass nun auch andere Länder folgen.28.05.2024 | 2:24 min
Derweil glaube Gerlach nicht, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abkommen und Netanjahus Besuch in den USA ein Zufall sei. Der Termin für den Besuch sei schließlich weit im Voraus bekannt gewesen.
... die erwartete Israel-Politik der künftigen US-Regierung
In einer Regierung unter Kamala Harris, die bei den US-Wahlen für die Demokraten antreten will, würde sich an der Israel-Politik der Vereinigten Staaten "nichts Grundlegendes" ändern, so der Experte.
... Netanjahus Ziele bei seinem USA-Besuch
Der Besuch sei für den israelischen Premier "eine Chance". Nach seiner geplanten Rede vor dem US-Kongress sei er der ausländische Führer, der am häufigsten vor den beiden Kammern gesprochen haben wird.
Das helfe dem Premier, den viele politisch wegen seiner Verantwortung für das Sicherheitsdebakel in Israel schon abgeschrieben gehabt hätten.
Die Fatah und die Hamas sind die beiden größten Palästinenserorganisationen und erbitterte Rivalen. Im Jahre 2006 gewann die Hamas die letzte palästinensische Parlamentswahl. Im Jahr darauf riss sie mit Gewalt die Kontrolle im Gazastreifen an sich und vertrieb die Fatah aus dem Gebiet. Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und Vorsitzender der Fatah, regiert seitdem de facto nur noch im Westjordanland.
Die USA wollen, dass die im Westjordanland regierende Autonomiebehörde auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernimmt, und damit auch eine Zweistaatenlösung als umfassenden Ansatz zur Befriedung des Nahen Ostens vorantreiben. Israel lehnt die Pläne ab.
In ihrer Charta fordert die Hamas die Zerstörung des Staates Israel und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer. Zuletzt hat sie signalisiert, dass sie der palästinensischen Dachorganisation, der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), beitreten und daraufhin Teil einer Einheitsregierung in allen palästinensischen Gebieten werden könnte. Der palästinensische Außenminister Riad Malki sagte zu Jahresbeginn, dies sei nur denkbar, falls die Hamas das Existenzrecht Israels anerkenne und den bewaffneten Kampf aufgebe.
Quelle: dpa
Netanjahu und US-Präsident Joe Biden seien mittlerweile zwar nur noch "in herzlicher Abneigung verbunden". Aber: "Ich wäre trotzdem nicht so ganz optimistisch an seiner Stelle, was eine mögliche Trump-Administration betrifft, denn ich glaube auch, die Republikaner könnten ihre Haltung unter Trump gegenüber Israel ändern, weil sie mittlerweile andere Interessen haben, als vielleicht noch vor vier, fünf Jahren."
Das Interview führte ZDF-Moderatorin Dunja Hayali. Zusammengefasst hat es ZDF-Redakteur Torben Heine.