Militärökonom Keupp: Auf "Nachkriegs-Russland" vorbereiten

    Interview

    Militärökonom zum Ukraine-Krieg:Keupp: Auf "Nachkriegs-Russland" vorbereiten

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    Der Westen hat sich, so Experte Keupp, lang ein "Russland-Bild schön gestrickt", vor allem in Deutschland. Jetzt schon müsse Europa sich auf das "Nachkriegs-Russland" vorbereiten.

    Markus Keupp via Zoom
    Nach dem Fall von Awdijiwka muss Russland in Richtung Westen über weites, offenes Gelände ziehen, ein Vorteil für die Ukraine, sagt Militärökonom Marcus Keupp.07.03.2024 | 29:16 min
    Tote Soldaten und Zivilisten, Zerstörung, Folter, Flucht: Fast kein Tag vergeht, an dem keine russischen Angriffe auf ukrainische Städte gemeldet werden. Immer wieder steht die Frage zu westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine im Raum. Wie weit die Unterstützung gehen kann und warum der Westen jetzt schon das "Nachkriegs-Russland" im Blick haben muss, darüber spricht Militärökonom Marcus Keupp bei ZDFheute live.
    Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Marcus Keupp ...

    ... zum Umgang mit Russland nach dem Ukraine-Krieg

    Der Gedanke sei laut Keupp natürlich sinnvoll, der Ukraine so viel Munition abzugeben, wie es die Nato kann. Allerdings müsse man auch bedenken, dass die Nato "sich ja sicher vorbereiten muss, auf den nächsten Konflikt mit einem 'Nachkriegs-Russland' - wie auch immer das aussehen wird."
    Wenn man nun das gesamte Material in die Ukraine schicken würde, sei das "ziemlich riskant". Ein Großteil der russischen Landarmee stehe zwar in der Ukraine. Russland verfüge aber über Reserven, gibt der Experte zu bedenken und nennt dabei die Raketenbasis in Kaliningrad und die Nordflotte.

    Nachdem Russland im Dezember von offiziellen Entscheidungsträgern den permanenten Krieg gegen den Westen erklärt hat, kann man natürlich nicht komplett ohne alles dastehen.

    Marcus Keupp, Militärökonom

    Ukrainischer Soldat
    Der Ukraine fehlt es nicht nur an Munition, sondern auch an Soldaten. Zehntausende von ihnen sind gefallen. Das Land sucht dringend weitere Soldaten für die Front.07.03.2024 | 1:32 min
    In diesem Krieg gehe es um viel mehr als um die Ukraine, erläutert Keupp weiter. Die Front habe man nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Baltikum und auch in Polen.

    Es ist eine welthistorische Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus, der wieder versucht, nach Europa vorzudringen.

    Marcus Keupp, Militärökonom

    In Europa ernte man nun die "Quittung für 30 Jahre Appeasement". Und weiter: "Man hatte sich ein schönes Russland-Bild gestrickt, gerade in Deutschland, das ist so typisch".

    Marcus Keupp sitzt an seinem Schreibtisch im Anzug und spricht in die Kamera, der Hintergrund ist verpixelt.
    Quelle: ZDF

    Marcus Keupp arbeitet als Militärökonom an der Militärakademie der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Dort werden die Berufsoffiziere der Schweizer Armee aus- und weitergebildet. Die ETH Zürich ist ein international anerkanntes Kompetenzzentrum für Militärwissenschaften.

    ... darüber, welches Signal Schwedens Nato-Beitritt aussendet

    "Die Aufnahme Schwedens ist natürlich ganz wichtig", sagt Keupp. Die Ostsee werde dadurch nämlich zu einer "Nato-Badewanne". "Also zu einem Binnenmeer, das vollständig unter Nato-Kontrolle ist", erläutert er. Dadurch werde nicht nur die "Beweglichkeit der baltischen Flotte" reduziert, sondern auch die "Einfahrt der [russischen] Nordflotte in die Ostsee" verhindert. Außerdem:

    Mit Schweden kommt die Insel Gotland ins Spiel und von der aus können Sie im Prinzip die gesamte Ostsee kontrollieren.

    Marcus Keupp, Militärökonom

    Das sei ein "sehr, sehr wichtiger Baustein in der Abschreckung Russlands." Auch die schwedische Marine und Luftwaffe seien beide "sehr gut aufgestellt".
    Das werde darüber hinaus auch ein "Schlüsselraum" sein mit Blick auf die "Auseinandersetzung mit Nachkriegs-Russland". Vor allem auch wegen der Datenleitungen, die dort verlaufen, und den Pipelines zwischen den baltischen Staaten und Finnland, erläutert der Experte. Man dürfe nicht wie in den letzten 30 Jahren eingestellt sein, sondern müsse sich einstellen, "auf eine harte Konfrontation mit einem revanchistischen Land, das sich nicht abrücken wird von seinem revisionistischen Anspruch."
    General Ramms zum NATO-Beitritt Schwedens
    Der Beitritt der beiden Länder mache die Ostsee quasi zum Binnenmeer und bringe das Bündnis damit in eine „militärstrategisch sehr starke Position“, so NATO-General a. D. Ramms.26.02.2024 | 4:49 min

    ... zu der Bedeutsamkeit des Taurus-Marschflugkörpers für die Ukraine

    Als eines der wenigen Waffensysteme könne Taurus zum einen die Krim zu erreichen, erläutert Keupp. Die Halbinsel sei das logistische Operationszentrum, von dem aus die gesamte Kriegsführung stattfinde. Zum anderen rolle über die Kertsch-Brücke der gesamte Nachschub aus dem russischen Militärbezirk Rostow heran.
    Es seien viele Argumente aufgeführt worden, warum der Marschflugkörper Taurus angeblich nicht geliefert werden könne, sagt Keupp weiter. Die hält er aber für vorgeschoben.

    Wenn Sie das aus einer rein technischen Perspektive betrachten, dann sind diese Argumente vorgeschoben.

    Marcus Keupp, Militärökonom

    GERMANY-DEFENCE-MILITARY
    Die Forderungen bleiben vehement – doch Bundeskanzler Scholz will keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Was kann das viel diskutierte Waffensystem?05.03.2024 | 3:23 min
    Das beste Beispiel liefere Südkorea, so der Experte. Das Land verfüge über einige Taurus-Marschflugkörper und dort würden keine deutschen Luftwaffen-Offiziere in der Armee "herumspringen" und "Feintuning" betreiben.

    Man gibt den Leuten einmal eine Schulung, wie das System funktioniert - das kann man außerhalb der Ukraine machen - und dann übergibt man der Ukraine das System.

    Marcus Keupp, Militärökonom

    Russland sei entschlossen, Reserven für sich nachzuschieben, erklärt der Militärökonom. Die beste Art und Weise diesen Nachschub zu unterbinden, besteht laut Keupp darin, die logistischen Wege zu unterbinden. "Taurus ist eine Waffe, mit der Sie das machen können." Die Frage rund um die Lieferung sei außerdem eine Frage des Wollens - also eine politische, resümiert der Militärökonom.
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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
    Liveblog
    Quelle: ZDF

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