Sicherheitskonferenz: Die leeren Worthülsen von München
Kommentar
Fazit zur Sicherheitskonferenz:Die leeren Worthülsen von München
von Elmar Theveßen, München
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Auf der Münchner Sicherheitskonferenz stärkten führende westliche Politiker der Ukraine den Rücken. Doch ihre Worte klingen hohl. Fehlende Entschlossenheit könnte Putin ermutigen.
In München ist die 60. Sicherheitskonferenz zu Ende gegangen.18.02.2024 | 2:58 min
Stellen wir uns mal vor, Kamala Harris hätte bei der Münchner Sicherheitskonferenz folgende Worte gesprochen: Es gibt Zeiten in der Weltgeschichte, in denen Handeln viel klüger ist als Zaudern. Jedes Handeln birgt ein gewisses Risiko - das gibt es immer. Aber das Risiko ist viel größer, wenn wir es unterlassen zu handeln.
Jeder - auch der Diktator in Moskau - hätte gewusst: Da kommt was, diesen Worten werden Taten folgen. Aber genau da liegt das Problem: Weder die USA noch Europa und schon gar nicht die Bundesregierung in Berlin haben die passenden Taten parat, geschweige denn einen Plan, um Wladimir Putin zu stoppen.
Die Münchner Sicherheitskonferenz blickte auf den Zustand der Welt und zeigte ein Amerika, das sich als Schutzmacht Europas und der Ukraine erneut zu verabschieden droht.
19.02.2024 | 1:30 min
Deshalb sagte Kamala Harris nur: "Wir stehen an der Seite der Ukraine." Und der vermeintlich starke Satz des Bundeskanzlers - "einen Diktatfrieden auf Geheiß Moskaus wird es nicht geben" - bleibt eine leere Worthülse, solange die Ukraine nicht die Waffen bekommt, die sie braucht, um die russischen Streitkräfte zu besiegen.
Welche Optionen dem Westen gegen Putin und für die Ukraine bleiben
Eigentlich gibt es doch nur drei Möglichkeiten:
Man liefert die notwendige Artilleriemunition, um wenigstens die Stellungen zu halten. Ja, die Vorräte an Granaten sind knapp in Europa und den USA, aber in Südkorea, Südafrika und der Türkei könnte man Hunderttausende Geschosse kaufen, wenn man nur wollte.
Oder: Man meint es endlich ernst mit dem Druck auf Putin, damit er wenigstens ein Stück weit von seinen Maximalforderungen abrückt. Dafür müsste man alle Waffen liefern, mit denen die russischen Nachschubwege von der Krim zerstört werden könnten - also auch die deutschen Taurus-Systeme.
Oder: Man lässt es jetzt so laufen, wie es läuft, und maximiert das Risiko - durch Unterlassen.
"Alle sehen, wie die Gefahr gewachsen ist", sagt Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz - "es ist fünf vor zwölf".18.02.2024 | 6:49 min
Einige Politiker, die ich bei der Sicherheitskonferenz traf, darunter auch Mitglieder der Bundesregierung, kochen vor Wut über ihre Ohnmacht und ihre Unfähigkeit, auf das tägliche Sterben in der Ukraine und den Tod von Alexej Nawalny mit unmissverständlichen Taten zu antworten.
Ein Putin mit Weltraum-Waffe hätte dramatische Folgen
Das Nichthandeln wird die Ohnmacht möglicherweise schon bald unumkehrbar machen: Wladimir Putin, so besagen Erkenntnisse der US-Nachrichtendienste, will eine Nuklearwaffe in den Weltraum schicken. Auch weitere amerikanische und europäische Quellen bestätigen das am Rande der Sicherheitskonferenz. Mit ihr wäre er möglicherweise in der Lage, bei Bedarf Kommunikations- und Überwachungssatelliten komplett auszuschalten und die Informationsnetzwerke auf der Erde lahmzulegen - mit dramatischen Folgen für die Weltwirtschaft.
Die Stationierung, für die Russland offenbar 2022 eine Reihe von Tests durchführte, wäre ein Bruch des Internationalen Vertrags über das Kernwaffenverbot im Weltraum. Am Rande der Sicherheitskonferenz hat US-Außenminister Blinken seine Amtskollegen aus China und Indien aufgefordert, Putin mit vereinten Kräften an der Ausführung seines Plans zu hindern.
Russland entwickelt laut US-Regierung militärische Fähigkeiten zum Einsatz gegen Satelliten im All.16.02.2024 | 0:19 min
Wohlstand und Sicherheit der Welt werden vom Despoten in Moskau bedroht, und wenn er die Waffe platziert hat, kann er mit ihrem Einsatz drohen und sie als Hebel für einen Diktatfrieden in der Ukraine nutzen. Wer sollte ihn dann noch an weiteren Einmärschen - zum Beispiel ins Baltikum - hindern?
Erinnerung an Kennedy und die Kubakrise
Dieser Moment erinnert an die Kubakrise von 1962, als die Sowjetunion Raketenbasen in Reichweite der USA baute. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy erzwang mit einer Seeblockade und der Androhung eines Einmarsches auf Kuba, dass Moskau von dem Vorhaben abließ. Diese Entschlossenheit und diesen Druck braucht es auch jetzt.
Als Putin seinen Krieg in der Ukraine begann, hatte er nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste fest mit einer Seeblockade Kaliningrads gerechnet. Dass sie ausblieb, war für ihn sicher ein weiterer Beweis für die Schwäche seiner Gegner.
Nawalny ist im russischen Straflager gestorben. Seine Witwe erfährt auf der Münchner Sicherheitskonferenz von seinem Tod.17.02.2024 | 3:26 min
US-Soldaten riskierten ihr Leben für Freiheit Berlins
Manche in Berlin glauben wohl immer noch, man müsse sich die Chance auf die Wiederaufnahme von Wirtschaftsbeziehungen mit Russland offenhalten; und manche glauben deshalb wohl auch, deutsche Waffen wie Taurus dürften nicht zur Rückeroberung der Krim dienen, weil sie für Putin historische Bedeutung hat.
All jene sollten sich daran erinnern, dass die Sowjetunion 1948/49 Berlin vom Rest der Welt abschotten wollte. Damals riskierten amerikanische Soldaten ihr Leben, um die Freiheit der deutschen Stadt zu sichern.
Zeit zu handeln statt zu zaudern
US-Präsident Harry S. Truman handelte nach der Erkenntnis, die er einst in einem Brief an seinen Außenminister formuliert hatte:
Von Harry S. Truman stammen auch die eingangs erwähnten Worte, die Kamala Harris hätte sagen können. Er sprach sie am 12. März 1947, als er in seiner berühmten Rede vor dem amerikanischen Kongress die nach ihm benannte Doktrin formulierte. Damals folgten Taten, allem voran die Gründung der Nato. Jetzt ist es wieder an der Zeit zu handeln statt zu zaudern, weil das Risiko bei Untätigkeit um ein Vielfaches größer wäre.
Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Studios Washington.
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