Weniger irreguläre EU-Migration 2024: Das sind die Gründe

    Analyse

    Frontex-Zahlen zu EU-Migration:Warum irreguläre Einreisen 2024 zurückgingen

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Im vergangenen Jahr sind weniger Menschen illegal in die EU eingereist. Doch auf manchen Fluchtrouten spitzt sich die Lage weiter zu. Was sind die Gründe dafür?

    Flüchtlingsboot vor den Kanarischen Inseln wird geschleppt
    Hotspot für irreguläre Migration nach Europa: Ein Flüchtlingsboot auf den zu Spanien gehörenden Kanaren. (Archivbild)
    Quelle: epa

    Irreguläre Migration in die Europäische Union ist 2024 deutlich zurückgegangen. Es seien 239.000 illegale Grenzübertritte festgestellt worden, 146.000 oder 38 Prozent weniger als im Jahr zuvor, teilte die europäische Grenzschutzagentur Frontex am Dienstag in Warschau mit. Zuvor waren die Zahlen über drei Jahre in Folge kontinuierlich angestiegen.
    Für Frontex sind das gute Zahlen, aber kein Grund zur Euphorie. "Jedes Jahr begegnen wir einzigartigen Herausforderungen an unseren Grenzen, die konstante Wachsamkeit und Anpassungsfähigkeit verlangen", sagte Frontex-Direktor Hans Leijtens. Trotz der deutlich gesunkenen Zahlen habe das Jahr auch verdeutlich, wie anpassungsfähig Schmugglernetzwerke seien.
    Niederlande führen verschärfte Grenkontrollen ein
    Die Grenzkontrollen sind zurück im Schengenraum und sollen auch 2025 weiter fortgesetzt werden. Ziel ist es die illegale Migration in die EU zu verringern.13.01.2025 | 2:52 min

    So haben sich die Migrationszahlen verändert

    Die neuen Frontex-Zahlen sind aufgeschlüsselt nach den verschiedenen Fluchtrouten, über die Menschen in die EU kommen, inklusive der Veränderung zum Vorjahr:
    • Zentrale Mittelmeerroute: 66.766 Einreisen (-59 Prozent)
    • Westliche Mittelmeerroute: 17.026 Einreisen (+1 Prozent)
    • Östliche Mittelmeerroute: 69.436 Einreisen (+14 Prozent)
    • Westafrikaroute: 46.877 Einreisen (+18 Prozent)
    • Westbalkanroute: 21.520 Einreisen (-78 Prozent)
    • Russland und Belarus: 17.001 Einreisen (+192 Prozent)
    Als Hauptgrund für den Rückgang auf der zentralen Mittelmeerroute führt Frontex eine verbesserte Zusammenarbeit mit Partnerstaaten in Nordafrika an. Die italienische Regierung von Giorgia Meloni war eine treibende Kraft hinter diesen Vereinbarungen, die von Flüchtlingsorganisationen teils hart kritisiert werden. Frontex-Direktor Leijtens sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Dienstag:

    Die Zusammenarbeit mit Tunesien ist ein wichtiger Faktor für die Zerschlagung der Schleusernetze.

    Hans Leijtens, Frontex-Direktor

    Auch entlang der Balkanroute hatten mehrere EU-Staaten in den vergangenen Jahren die Grenzkontrollen deutlich ausgebaut. Für die verantwortlichen Politiker in mehreren Staaten belegen die sinkenden Zahlen einen Erfolg. Der Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück ist aber skeptisch, ob das zu einer dauerhafte Lösung führt: "Grenzkontrollmaßnahmen treffen nur eine Minderheit der irregulären Einreisen und haben oft auch nur eine kurzfristige Wirkung", so Düvell zu ZDFheute. "Zum anderen suchen sich Migrierende und Schmuggler immer neue Mittel, Wege und Ziele. Beispielsweise scheinen die Zahlen in anderen EU-Mitgliedstaaten gerade hochzugehen."
    Kontrollen könnten also lediglich zu einer Verschiebung der Routen führen. Auch Frontex betonte am Dienstag, dass der Migrationsdruck nach Europa hoch bleibe.

    Während die unrechtmäßige Einreise beziehungsweise der unrechtmäßige Aufenthalt in einem Land illegal ist, sprechen Fachorganisationen nicht pauschal von "illegaler", sondern von "irregulärer Migration". Auch die deutschen Behörden nutzen diesen umfassenderen, differenzierteren Begriff. Denn irreguläre Migration umfasst auch Personen, deren Entschluss zur Migration keine freie Wahl war - etwa Flüchtlinge, Opfer von Menschenhandel, oder unbegleitete Minderjährige.

    Wird illegal eingereisten Personen ein Schutzstatus zuerkannt, mit dem sie sich legal aufhalten dürfen, fallen sie dennoch weiterhin unter irreguläre Migration. "Die Tatsache, dass [Personen] irregulär migrieren, entbindet Staaten nicht von der Pflicht, ihre Rechte zu wahren", schreibt die zu den Vereinten Nationen gehörende Internationale Organisation für Migration.

    Welche Zahlen werden fürs laufende Jahr erwartet?

    Laut Düvell sei unklar, ob man im laufenden Jahr wieder mit steigenden Zahlen rechnen müsse. "Innerhalb der Türkei, von wo die meisten Personen kommen, ist die Zahl der Flüchtlinge im Laufe der Zeit stark zurückgegangen. Deshalb machen sich von dort weniger auf den Weg in die EU", sagt Düvall mit Blick auf die Westbalkanroute. "Viele, die fliehen mussten, haben dies bereits getan." In Libyen, der Türkei und vor allem Syrien würden Fluchtursachen aktuell abnehmen.

    Eine große Unbekannte ist derzeit die mögliche Flucht aus dem Gazastreifen, zumal viele Palästinenser Angehörige im Westen haben.

    Franck Düvell, Universität Osnabrück

    Die mit rund 12 Millionen Menschen derzeit größte Flüchtlingsgruppe komme aus dem Sudan. Sie gelangten bislang aber nur selten als Schutzsuchende in die EU, so Düvell.
     Flüchtlinge aus dem Sudan warten nach der Überquerung der Grenze in den Südsudan auf einen Transport in das Transitlager der grenznahen Stadt Renk.
    Im Sudan tobt ein blutiger Bürgerkrieg, der 12 Millionen Menschen in die Flucht trieb. Viele von ihnen flohen in den Südsudan. Aber auch dort ist die Lage verzweifelt.18.12.2024 | 1:45 min

    Russland und Belarus setzen Migration weiter gezielt ein

    Die Frontex-Statistik verdeutlicht auch, wie sehr die Migrationslage in Europa von außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen abhängen. Den prozentual stärksten Zuwachs gab es aus Russland und Belarus - beide Länder setzen Migranten seit Jahren gezielt ein, um die EU-Staaten unter Druck zu setzen. Polen und die baltischen Staaten haben darum seit 2021 Grenzzäune und andere Anlagen errichtet.
    Geflüchtete nach Herkunftsland

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    Auch bei der demografischen Zusammensetzung gibt es Veränderung - etwa sei der Anteil von Minderjährigen unter den Migranten auf 16 Prozent gestiegen, ein Plus von drei Prozent gegenüber 2023. Frauen machen rund 10 Prozent der irregulären Migranten aus.
    Die EU-weiten Trends spiegeln sich auch in den Zahlen für Deutschland wieder. 2024 hatte Deutschland weniger illegale Einreisen verzeichnet, nach einem deutlichen Anstieg im Jahr zuvor. Gleichzeitig hat die Zahl der Grenzkontrollen und Abschiebungen zugenommen. Hier die Zahlen im Überblick.
    Asylanträge pro Jahr

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    Flucht nach Europa bleibt gefährlich, Lage auf Kanaren spitzt sich zu

    Die Routen über das Mittelmeer bleiben weiterhin eine tödliche Außengrenze. Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass 2024 rund 2.300 Migranten bei der Überfahrt ums Leben gekommen sind. Die tatsächliche Zahl der Opfer könnte höher sein und umfasst auch nicht die von Menschenrechtsorganisation als erheblich höher geschätzte Zahl der Menschen, die jedes Jahr bereits auf der gefährlichen Reise zum Mittelmeer sterben.
    Eine Gruppe von Männern, in rote Decken gehüllt, stehen dicht beisammen
    Über die tödlichste Flüchtlingsroute der Welt erreichten in den letzten Tagen 1.700 Migranten aus Afrika die Kanarischen Inseln. Rund 45.000 waren es über das Jahr verteilt.29.12.2024 | 0:25 min
    Auch Inseln wie die zu Spanien gehörenden Kanaren vor der westafrikanischen Küste sind Ziel von Migrationsströmen - auf den über 100 Kilometern Wegstrecke vom Festland sollen laut der spanischen Menschenrechtsorganisation "Caminando Fronteras" im vergangenen Jahr fast 9.800 Menschen ertrunken sein, 131 Boote seien mit allen Passagieren verschwunden.

    Die Atlantikroute zu den Kanaren bleibt die tödlichste [Fluchtroute] weltweit.

    Caminando Fronteras

    Auch die Frontex-Daten verzeichnen einen Anstieg - mit fast 47.000 irregulären Einreisen auf den Kanaren 2024 seien das die höchsten Werte seit Beginn der Datenerfassung 2009. 170 Frontex-Mitarbeiter waren im vergangenen Jahr auf den Kanaren im Einsatz, um Spanien zu unterstützen.
    Während staatliche und private Initiativen auf dem Mittelmeer manche tödlichen Vorfälle verhindern konnten, ist das Netzwerk zur Seenotrettung vor der marokkanischen oder mauretanischen Küste weniger ausgebaut. In 69 Prozent der untersuchten tödlichen Vorfälle habe es keine ausreichenden oder rechtzeitigen Such- oder Rettungsversuche gegeben, schreibt Caminando Fronteras in einem im Dezember 2024 erschienenen Bericht.

    Leere Flüchtlingszentren
    :Meloni hält am Albanien-Modell fest

    Auf ihrer Jahrespressekonferenz inszeniert sich Italiens rechte Regierungschefin als Führungsfigur in Sachen Migration. Das Gericht werde ihr beim Albanien-Modell noch recht geben.
    von Barbara Lueg
    Giorgia Meloni
    mit Video

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